Reinweiß und unschuldig oder die (Ohn-)Macht der Rede
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Iphigenie auf Tauris am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Eine „reine Seele“ im Dienste des Humanismus - das ist das Bild der Iphigenie auf Tauris, dem Drama der Weimarer Klassik schlechthin. Von Johann Wolfgang von Goethe 1779 in Prosa verfasst und 1786 in fünffüßigen Jamben in den Stand eines ewigen Bildungsbürger-Klassikers gehoben, der bis heute fester Bestandteil des Kanons der deutschen Antikenrezeption ist. Das übermächtige Pathos zu brechen, will man nicht im hohen Ton der Vorlage erstarren, daran brechen sich Theatermacher landauf, landab regelmäßig die Zähne aus. Ivan Panteleev bricht seine Iphigenie jetzt am Deutschen Theater in gut zwei langen Stunden auf das Format einer handwerklichen Kunstanstrengung herunter.
„Das Land der Griechen mit der Seele suchen“ war einmal, heute wird der Klassiker einfach mal kurz renoviert. Doch anstatt Goethes Drama vom übermächtigen Pathos zu befreien, lässt der Regisseur erstmal den schwarzen Bühnenkasten von Johannes Schütz (einst kongenialer Ausstattungspartner von Jürgen Gosch) mit weißer Kalkfarbe übertünchen. Das Ensemble steigt dazu in schwarzen Handwerkeroveralls aus der ersten Reihe auf die Bühne und rollert die Wände mehr schlecht als recht körperhoch aus. Selbst eigene Kleidung, Stühle und ein überdimensionierten Tapeziertisch, auf den man über eine Klappleiter steigen muss, werden dabei nicht ausgelassen. Dort oben noch im Halbdunkel deklamiert Kathleen Morgeneyer (als einzige im unschuldig weißen Hemdchen) den Eingangsmonolog der sich in die Heimat nach Griechenland zurücksehnenden Titelheldin.
Die Agamemnontochter, vom Vater als Opfer für guten Wind gen Troja vorgesehen, wurde von der Göttin Diana in einer Wolke ins Land der Taurer entrückt, wo sie nun den Dienst einer Diana-Priesterin ausübt und sich den andauernden Avancen des Taurenkönigs Thoas erwehren muss. Durch ihr freundliches Wesen und grundehrliches Auftreten hat Iphigenie den König bereits zur Aufgabe des barbarischen Menschenopferkults der Taurer bewegt und ist auch nicht gewillt von der Wahrheit abzulassen, als ihr Bruder Orest mit seinem Gefährten Pylades auftaucht und sie sowie das Bildnis der Diana, das die beiden auf Geheiß des Apollon rauben sollen, nach Griechenland zurück zu führen.
Das wird bei Goethe in mehreren Gesprächen und monologischen Gewissensbefragungen abgehandelt. Man kann dies natürlich auch als einen moralischen Diskurs deuten. Die klassische Überzeugungskraft durch kluge Rede, die natürlich immer auch ein Abwegen von Für und Wider ist, eine der Grundlagen demokratischer Willensbildung sozusagen. Aber all das interessiert die Handwerkergilde auf der Bühne des Deutschen Theaters wenig. Panteleev lässt sie ihren Text relativ emotionslos an der Rampe runterrattern, unterbrochen nur durch einige wütende Ausbrüche, die Moritz Grove als wahnhafter, wegen des Mordes an der Mutter Klytaimnestra (bekannt aus der Orestie des Aischylos) von den Rachegöttinnen verfolgter Orest ins Publikum brüllt.
Camill Jammal in der Rolles des Pylades - sonst im Drama der vernunftgeleitete Stratege - kommt hier eher als realpolitischer Ränkeschmied und religiöser Eiferer daher, während Oliver Stokowski als König Thoas sich unsicher an seiner Malerrolle festhaltend mal wirbt, mal poltert und mit der Wiedereinführung des blutigen Opferkultes droht. Als dunkle Eminenz gibt Barbara Schnitzler den Arkas, Vertrauter des Königs und kühler Vermittler zwischen ihm und der angebeteten Iphigenie. Panteleev versammelt hier die ganze Bandbreite politischen Handels um den großen Tisch, auf den am Ende Thoas die Stühle wie zur Demonstration von Recht und Ordnung stellt.
Letztendlich wird der Plan der beiden griechischen Wanderarbeiter durch die reinweiße Lichtgestalt Iphigenie entdeckt. Mit weiß übermaltem Gesicht wirkt sie dabei wie eine Göttin in Marmor, während Thoas - nun oben auf dem Tisch - aussieht wie ein weiß getünchter Narr, dessen Einlenken von der an der Rampe sitzenden Tantalidenbrut, die ihre fluchbeladene Geschichte von Mord und Krieg mal eben zu ihren Gunsten umdeutet, grinsend zur Kenntnis genommen wird. Der „edle Wilde“ Thoas scheint dann auch nicht wirklich überzeugt zu sein. Sein Mund formt sich nur zögernd zum Lebewohl.
Die Macht und Ohnmacht der Sprache will uns Ivan Panteleev hier vor Augen führen. Den Fluch der wandelbaren Grammatik. So wird im Programmheft auch der Heiner-Müller-Kalauer zu Iphigenies Parzenlied bemüht: „Es fürchte(n) die Götter das Menschengeschlecht.“ Vor diesem Druckfehler, scheint es, zittert sich für Panteleev der Text noch heute ins Ziel. Der gottesfürchtige und selbstlos handelnde Mensch ist mehr denn je ein Mythos. Goethes Klassiker ist in Zeiten von Pegida und Co. kaum noch einen Topf Farbe wert. Für diesen einzigen, recht dürftigen Knalleffekt am Ende muss das Publikum allerdings lange auszuharren. Panteleevs Anstreicherschmiere wirkt über weite Strecken ziemlich bemüht. Humanismus ist halt selbst auf dem Theater zuweilen ein harter, dreckiger Job.
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Stefan Bock - 17. Oktober 2016 ID 9622
IPHIGENIE AUF TAURIS (Deutsches Theater Berlin, 14.10.2016)
Regie: Ivan Panteleev
Bühne / Kostüme: Johannes Schütz
Sound-Design: Martin Person
Dramaturgie: Claus Caesar
Mit: Moritz Grove, Camill Jammal, Kathleen Morgeneyer, Barbara Schnitzler und Oliver Stokowski
Premiere war am 14. Oktober 2016.
Weitere Termine: 19., 28. 10. / 8., 17., 21., 24. 11. / 1., 26. 12. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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