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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Kleines Tänzchen über der Abraumhalde

Karin Beier inszenierte ONKEL WANJA


Bewertung:    



Manchmal kommt es einem so vor, als hätte Anton Tschechow nur ein einziges Theaterstück geschrieben und dieses dann immer wieder klug variiert, um die eine oder andere Person ergänzt und einige wenige Nuancen bereichert. Die Grundstimmung bleibt fast immer die gleiche. Die Figuren ringen allesamt in unablässigen Lamentos mit ihren unerfüllten Sehnsüchten sowie einer unüberwindbaren, alles lähmenden Antriebslosigkeit und der inneren Verzweiflung darüber. Tschechow hat mit allen seinen Stücken einzigartige Klassiker der ironisch gebrochenen Melancholie entworfen. Er nannte sie darum selbst auch meist Komödien. Dem trägt dann neuerdings die Regie auch immer mehr Rechnung, indem das Komische der Figuren fast bis zur Lächerlichkeit herausgekehrt und die allem innewohnende leise Melancholie weginszeniert wird. Was die allgemeine Inszenierungstradition im deutschsprachigen Raum betrifft, ist man da schon versucht zu behaupten, dass dem auch nicht mehr allzu viele neue Facetten in der Kunst der Darstellung abzugewinnen wären.

*

Und so scheint es dann auch zunächst mit der neuen Inszenierung der Intendantin des Deutschen Schauspielhauses, Karin Beier, zu sein. Sie hat sich innerhalb des schon in die zweite Runde gehenden Russen-Schwerpunkts an ihrem Hamburger Theater - nach Stücken von Fjodor Dostojewskij und Maxim Gorki - nunmehr Anton Tschechows Tragikomödie Onkel Wanja) angenommen. Die Grundstimmung ist auch hier zu Beginn eher düster. Auf der von Johannes Schütz gestalteten Bühne ist ein langer, schmaler Holzsteg gebaut, der über ein den Boden komplett ausfüllendes, wüstes Feld von torfähnlicher Erde führt. Auf dieser öden Abbruchhalde mit vereinzelter Baggerschaufel im Hintergrund sammelt ein einzelner Arbeiter (Alexej Mir), die gesamte Zeit über auf dem Boden liegend, Müll in einen Sack. Ab und an schlägt er an zwei metallene Klangstäbe, was wie die Glockenschläge der unablässig verstreichenden Zeit wirkt. Die alte Kinderfrau Marina (Juliane Koren) wandelt wie im Wachtraum mit einem Samowar erst von links nach rechts über den Steg, dann in die umgekehrte Richtung, dabei Unverständliches auf Russisch vor sich hin murmelnd.

Die Zeit auf dem Landgut der Serebrjakows ist aus den Fugen geraten. Unermüdliche Betriebsamkeit ist in lähmende Lethargie umgeschlagen. Man sitzt am Rand des Stegs, lässt die Beine mit den klobigen Gummistiefeln und die Seele baumeln. Es wird über das sinnlos vergangene Leben schwadroniert, bis sich die Langeweile breit macht. Der emeritierte Professor Serebrjakow (Oliver Nägele) hat die streng strukturierten Tagesabläufe der Landgemeinschaft an sein intellektuelles Stadtleben angepasst. Schlafen bis Mittag, der Tee ist schon fast kalt, und zu Mittag isst man erst am Abend. Nachts verlangt der launische, schlaflose Alte dann wieder nach Tee. Die Angst vor dem Alter lässt ihn ständig das russische Wort für Tod (Smert) stammeln.

Nur Sonja (Lina Beckmann), die noch unverheiratete Tochter des Professors, erhält das Gut noch am Leben. Ihr Onkel Wanja (bärbeißig: Fernsehkommissar Charly Hübner), Bruder der verstorbenen ersten Frau Serebrjakows, hat sich mit dem Arzt Astrow (Paul Herwig) dem Suff ergeben. Seine Lebensenergie scheint am Ende. Um die Karrierepläne des Professors zu unterstützen, hat er sein Leben nicht gelebt. Sich selbst einst als angehenden Schopenhauer oder Dostojewskij wähnend, sieht sich Wanja nun um die Früchte betrogen und gibt dem Alten die ganze Schuld an seinem Dilemma. Die drückend schwüle Stimmung scheint hier jederzeit in ein Donnerwetter umzuschlagen.

Nun ist Onkel Wanja eines der wenigen Stücke Tschechows, in dem niemand zu Tode kommt. Die Schüsse Wanjas - eine Verzweiflungsreaktion auf das Ansinnen des Professors, das Gut als Altersvorsorge zu verkaufen - gehen daneben. Und doch ist die Bühne hier zweifelsohne von lauter Scheintoten bevölkert. Vampirartige Zombies, die verzweifelt nach Leben gieren. Sie bewegen sich zumeist wie in Zeitlupe über die Bühne, schleifen Möbel auf den Steg, erschlaffen in allen möglichen Stellungen, um dann angesichts des Objekts ihrer Begierde kurzzeitig zu neuem Leben zu erwachen. Und dieses Objekt ist für die männlichen Schlaffis die schöne Elena, die zweite wesentlich jüngere Frau des Professors. Anja Laïs spielt sie mal nicht als elitäres, dummes Modepüppchen, sondern durchaus selbstbewusst, manchmal sogar etwas berechnend und sich den Launen ihres Gatten widersetzend. In jedem Fall erwehrt sich Elena mit aller Kunst den Übergriffen der lechzenden und tatschenden Männerriege, die auch schon mal ein kleines Rampenballett für sie aufführt.

Zurück zu den feinen Nuancen bei Tschechow:

Karin Beier versteht es in ihrer Inszenierung ganz gekonnt die Stimmung leicht zu nuancieren. Hier kippt es mal ins Komische, dann gibt es wieder Momente der Tragik, die durchaus zu rühren vermögen. Mal poltert es, dann greint man wieder. Gegen den Phantomschmerz gibt es Lindenblütentee oder einen Wodka von der alten Njanja. Die Szenen werden von Yorck Dippe als Telegin mit melancholischen Klaviermelodien untermalt, es klingen russische Chansons vom Plattenspieler, und das gesamte Ensemble stellt sich auf zum Blasmusikkonzert. Was aber nie zu russisch oder gar zu volkstümelnd wirkt. Auch bei der Charakterzeichnung der einzelnen Figuren übertreibt die Regisseurin nicht. Lediglich Paul Herwig lässt den einstigen Idealismus des Arztes Astrow etwas zu sehr ins Zynische fallen. Der Gag mit dem überlangen Schnauzbart bleibt nicht aus.

Die Sympathie von Karin Beier liegt an diesem Abend jedoch eindeutig bei den Frauen. Lina Beckmann spielt die nicht gerade mit Schönheit verwöhnte Sonja voller kindlich schwärmerischer Naivität. Zärtlich versucht sie Astrow von hinten zu umarmen, während der nur Augen für Elena hat. Anja Laïs wird für ihn sogar körperlich zum fauchenden und Männer verschlingenden Raubtier. Ihr Auftritt ist betont gesetzt. Sie läuft Slalom um die nach ihr Grapschenden. Es grummelt zwar beständig im Hintergrund, jedoch das wirklich reinigende Gewitter bleibt trotz Wanjas Wutanfall aus. Die aufkeimende Begierde endet abrupt. „Finita, la commedia!“ Schaumig flockt der Schnee vom Schnürboden und beginnt alles zu überdecken. In schwere Pelzkappen gehüllt fliehen Elena und der Professor das Land. Wanja bleibt erstarrt zurück. Wie soll man nur weiterleben? Trotz vergeblicher Liebe versenken er und Sonja sich wieder in die Arbeit. Ihre letzten Worte sind die traurige Hoffnung auf das Leben danach. Nackte, waidwunde Seelen, die Karin Beier hier für kurze Zeit barfuß über den Mulch tanzen ließ. Ein kleines, feines Schauspielfest. Dafür viel Beifall und einige Bravorufe.



Onkel Wanja als Plakat im Schaukasten vorm Deutschen Schauspielhaus in Hamburg - Foto (C) Stefan Bock

Stefan Bock - 17. Januar 2015
ID 8371
ONKEL WANJA (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 16.01.2015)
Regie: Karin Beier
Bühne: Johannes Schütz
Kostüme: Greta Goiris
Musikalische Leitung: Jörg Gollasch
Choreografie: Valenti Rocamora i Tora
Licht: Annette ter Meulen
Dramaturgie: Christian Tschirner
Mit: Lina Beckmann, Marlen Diekhoff, Yorck Dippe, Paul Herwig, Charly Hübner, Juliane Koren, Anja Laïs, Alexej Mir und Oliver Nägele
Premiere war am 16. Januar 2015
Weitere Termine: 19., 31. 1. / 11., 20., 26. 2. / 27. 3. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielhaus.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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