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Premierenkritik

Ungeliebte

Kinder



Verschwunden am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Das abgefetzte Sofa hat schon bessere Tage erlebt. Die übergewichtige Tochter fläzt sich darauf, mit starrem Blick gen Publikum wie in Richtung eines Fernsehers. Die Stiefmutter trägt Leggins mit Leopardenmuster, raucht Kette und giftet laut den Vater an, dass seine Kinder sie nerven. Als neue Frau des Witwers glaubt sie mit seinen Kindern um seine Aufmerksamkeit zu konkurrieren. Der Vater torkelt ungepflegt, unkontrolliert, tumb und enthemmt auf die Bühne. Der Sohn versteckt sich unter einem schwarzen Kapuzenpullover und stiert angespannt lauernd und peinlich berührt in die Ferne. Latente Gewaltbereitschaft liegt in der Luft.

Liebevoll zeichnet Regisseur Theo Fransz das perspektivlose und von unterschwelligen Aggressionen durchwobene Milieu einer Unterschichtsfamilie. Er adaptiert Charles Ways Drama Verschwunden (frei nach dem Grimm’schen Märchen Hänsel und Gretel) als verhängnisvolle Familiendynamik. Mit wenigen, effektvoll eingesetzten Requisiten entspinnt sich ein fesselndes Kammerspiel auf der Probebühne 1 am Theater Bonn. Die diffuse Gefühlswelt der Figuren wird durch farbenreiche Cello-Klänge von Caroline Steiner, Cellistin am Beethoven Orchester Bonn, unterstrichen. Auch ein schemenhaftes Spiel mit Licht und Schatten schafft atmosphärische Raumeindrücke.

Die Figuren sind nuanciert gezeichnet; Felix Strüven als Hans, Lisa Fix als Grete, Maureen Havlena als Stiefmutter und Alexander Steindorf als Vater agieren ausdrucksstark in Mimik und Gestik. Das schlechten Gewissen der Eltern zu wenig für die eigenen Schutzbefohlenen zu tun, steigert sich zur verqueren Angst vor den eigenen Schützlingen. Insbesondere die Stiefmutter wird zunehmend rücksichtsloser und auf ihren eigenen Vorteil bedacht.

Es berührt sehr, wenn man sieht, wie Hans und Grete sich solidarisieren und aufeinander aufzupassen versuchen. Erst langsam begreift Grete, dass ungehemmter Fernsehkonsum und eine nur auf Süßigkeiten basierende Ernährung ihr nicht zuträglich sein können. Sie sucht in ihrer Einsamkeit neue Reize, und sei es auch nur ein Zwiegespräch mit ihrem Schatten. Hans erkennt, dass energisches Zetern, aufgeregtes Sich-Ereifern und Impulsivwerden nur bedingt voranbringen und überlistet bald seine Vormünder mit taktischem Kalkül. In einem Reifungsprozess entsteht eine Verbundenheit zwischen den beiden Geschwistern, die versuchen allen Widrigkeiten, Täuschungen und Gemeinheiten zu trotzen. Eine schöne und temporeiche Inszenierung mit kraftvollen Bildern, auch für die noch jungen Zuschauer.




Verschwunden am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 17. Januar 2018
ID 10476
VERSCHWUNDEN (Probebühne 1, 11.01.2018)
Regie: Theo Fransz
Musik: Markus Reyhani
Ausstattung: Bettina Weller
Dramaturgie: Angela Merl
Besetzung:
Hans … Felix Strüven
Grete … Lisa Fix
Stiefmutter … Maureen Havlena
Vater … Alexander Steindorf
Musikerin … Caroline Steiner
Premiere am Theater Bonn: 11. Januar 2018
Weitere Termine: 17., 19.01./ 20., 21.02./ 13., 14.03./ 24., 25.04.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de


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