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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Wir verurteilen Vorurteile, wenn sie nicht unsere eigenen sind



Wir sind keine Barbaren! am Theater der Keller - Foto (C) MEYER ORIGINALS

Bewertung:    



Der Raum ist dunkel, und leicht verzerrt erklingt die Nationalhymne von Band. Eine gedrückte Stimmung herrscht in der kleinen Spielstätte des Kellertheaters. Endlich tritt ein Chor aus drei jungen Darstellern (Christoph Bertram, Raphaela Kiezka, Patrick Stauffenberg) auf die Bühne. Drei Münder brüllen nun synchron Sätze, die immer mit einem „Wir“ beginnen und eine Zuschreibung enthalten: „Wir achten penibel auf eine saubere Mülltrennung.“ Oder „Wir haben Angst, wenn unser Smartphone bei Regen nass wird.“ Der Zuhörer mag eigene Verhaltensweisen, Sorgen und Ängste im chorisch aggressiven Monolog wiedererkennen. Doch das Gemeinschaftsstiftende des Vortrages bleibt abstrakt, da kein Zusammenhang zu einem Geschehen erkennbar wird - noch nicht.

Erst in der zweiten Szene fläzt sich ein Pärchen auf ein Sofa. Barbara (Susanne Seuffert) und Mario (Arno Kempf) lauschen betreten dem ohrenbetäubenden, orgiastischen Gestöhne ihrer neuen Nachbarn. Bei ihnen sei es früher auch so stürmisch zugegangen, erinnert sich Mario wehmütig. Ihre Liebe scheint eingeschlafen, denn beide langweilen sich heute im schnöden Alltag. Zum Geburtstag schenkt der Elektro-Auto Konstrukteur seiner Frau, einer Vegan-Köchin, deshalb einen großen Fernseh-Flachbildschirm mit Premium-Paket. Barbara weiß noch gar nicht, wie sie sich darüber freuen soll, da klingelt es auch schon an der Tür. Ein Fremder bittet um Einlass und Obdach. Er ist ein Flüchtling, den die gutherzige Barbara nicht abweisen möchte, nachdem dieser bereits bei den weniger hilfsbereiten Nachbarn abgeblitzt ist. Der Flüchtling bleibt für das Publikum unsichtbar, nimmt fortan aber trotzdem regen Anteil an der Wohnung und im Alltag des Pärchens.

Schon bald erweckt dieses selbstlose Asylgewähren Unmut und Misstrauen der neuen Nachbarn Linda (Julia Doege) und Paul (Matthias Lühn), ebenfalls kinderlos. Während ihrer schweißtreibenden, gymnastischen Übungen überzeugt Linda ihren Gatten davon, dass Barbara unverantwortlich handelt, wenn sie einen „illegalen Flüchtling von Weißichnichtwoher“ bei sich wohnen lasse. Was wisse sie denn schon über ihn? Als die beiden ihre Nachbarn besuchen, schaukeln sich die unterschiedlichen Einstellungen der beiden Frauen dem Fremden gegenüber hoch. Mario und Paul erlauben sich keine eigene Meinung und ergötzen sich lieber kumpelhaft am neuen Fernseher. Als es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen Linda und Barbara kommt, werden sie erst sprachlos und schreiten dann besorgt ein, als das Gespräch mit beleidigenden Tendenzen zu eskalieren droht.

Erst als sich der Fremde Linda zeigt, sieht sie in Bobo mehr als eine bedrohliche Gefahr. Die uneigennützige Hilfsbereitschaft Barbaras erscheint ihr plötzlich gar nicht mehr so abwegig, denn der Fremde ist geheimnisvoll, exotisch und verlockend. Der mysteriöse neue Hausbewohner beflügelt bald schon die erotischen Phantasien der Frauen. Linda erklärt, der farbige Fremde dürfe auch einmal bei ihnen nächtigen, wenn Barbara und Paul ihre Wohnung mal für sich alleine bräuchten. Doch Barbara und Bobo scheinen plötzlich nicht mehr auffindbar. Sind sie etwa frisch verliebt über alle Berge? Im Park wird plötzlich Barbaras Leiche gefunden. Die Hinterbliebenen dreschen fortan rabiate und scharfzüngige Phrasen, und der Chor verknüpft eine Fährtensuche gar mit ausländerfeindlichen Parolen. Das Urteil scheint gefällt. Doch ist der Fremde immer auch gleich der Mörder?

*

Wir sind keine Barbaren! ist ein schwarzhumoriges Stück der Stunde in Zeiten der Flüchtlingsdebatte, von AfD und Pegida hierzulande und denkwürdigen Wahlerfolgen der rechtskonservativen Front National im Nachbarland Frankreich. Die Figurenkonstellation erinnert an erfolgreiche Bühnenklassiker wie Yasmina Rezas Der Gott des Gemetzels oder Edward Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf, in denen sich auch die jeweiligen Fronten immer wieder spannungsvoll verschieben. Steffen Jäger zeigt Philipp Löhles 2014 uraufgeführtes Drama pointiert und temporeich mit gut aufgelegtem Ensemble am Kölner Theater der Keller. Insbesondere Julia Doege und Susanne Seuffert glänzen in ihren Rollen, wenn sie sich mal unterschwellig gereizt vehement angiften und ankreischen, um später doch intime Frauengespräche miteinander zu führen.



Wir sind keine Barbaren! am Theater der Keller - Foto (C) MEYER ORIGINALS

Ansgar Skoda - 22. März 2015
ID 8522
WIR SIND KEINE BARBAREN! (Theater der Keller, 13.03.2015)
Regie: Steffen Jäger
Bühne & Kostüme: Christina Hillinger
Dramaturgie: Guido Rademacher
Regieassistenz: Kim Ehinger
Technische Leitung: Thorsten Zietsch
Besetzung:
Barbara/ Anna … Susanne Seuffert
Mario … Arno Kempf
Linda … Julia Doege
Paul … Matthias Lühn
Der Heimatchor … Christoph Bertram, Raphaela Kiezka und Patrick Stauffenberg
Uraufführung am Konzert Theater Bern war am 8. Februar 2014
Kölner Premiere: 13. 3. 2015
Weitere Termine: 26. 3. / 1., 18., 30. 4. / 1., 10., 15. 5. / 20., 28. 6. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-der-keller.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de


Siehe auch die Kritik zu:

Wir sind keine Barbaren! (Staatsschauspiel Dresden)



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