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Glück der Einsamkeit

DER FREMDE in der Schaubühne am Lehniner Platz

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Es gibt nur die eine Gewissheit: Nichts ist von Bedeutung. Diese fragwürdige Erkenntnis wird im Studio der Berliner Schaubühne immer wieder zelebriert. Der Ich-Erzähler Meursault - hier aufgeteilt auf drei Personen - lässt emotional abgestumpft niemanden und nichts wirklich an sich heran. Der antriebslose Tunichtgut knüpft ohne Rücksicht auf Verluste oberflächliche Kontakte. Er wird so scheinbar ohne eigenes Zutun zum Handlanger eines zwielichtigen Nachbarn. Alles scheint ihm gleich und er bildet sich nur ungerne eine eigene Meinung.

Die ebenerdige Bühne wird durch dreiseitige Leuchtstoffröhrenbeleuchtung gefängnisartig begrenzt. Die Röhren leuchten im Verlauf der Vorführung unterschiedlich stark und blenden auch einige Male heftig. Die Figuren drehen sich inmitten der leuchtenden Begrenzung gedankenverloren im Kreis oder gehen nebeneinander ziellos auf und ab. Die Zeitebenen verwirren sich in einem Erinnerungsmonolog mit verschiedenen und doch immer wieder gleichen Stimmen. Die drei Darsteller Bernardo Arias Porras, Iris Becher und Felix Römer verkörpern im fliegenden Wechsel unterschiedliche Charaktere; sind jedoch vor allem eines - der introvertierte Ich-Erzähler aus Albert Camus Roman Der Fremde (1942).

Wiederholungen von Satzfragmenten entbehren jeder Sinnstiftung. Auch kleine und sinnentleerte Gesten reüssieren in zärtlicher Zwanghaftigkeit. Manchmal fällt es schwer, die Darsteller akustisch zu verstehen. Vielleicht ist es aber auch gar nicht so wichtig, was sie sagen, sondern wie sie es sagen. Eine mitleidlose Leere und Perspektivlosigkeit bricht sich hier Bahn. Die Mimik und Gestik der Darsteller bezeugt eindrucksvoll eine fehlende Anteilnahme der Figuren. Flüchtig und unvorbereitet küsst einer den anderen intensiv. Dann streicheln die Darsteller einander zärtlich durch das Haar, gucken dabei jedoch alle ausdruckslos wie gebannt in das Publikum. Iris Becher zielt plötzlich mit zur Pistole gefalteten Händen hinein in die Zuschauerreihen, und es fallen laut vier Schüsse. Einige Zuschauer schrecken hoch.

Meursault erschießt in Camus Der Fremde ohne triftigen Grund einen Araber und wird daraufhin selbst zum Tode verurteilt. Allen Fragen, die sein Tun auslöst, bleibt er eine Antwort schuldig. Dadurch schafft er eine bedeutungs- und unheilvolle Leerstelle. Regisseur Philipp Preuss hält in seiner Romanadaptation bis zum Schluss die Spannung. Das dichte, temporeiche Zusammenspiel wirkt in seiner Absurdität in sich stimmig.




Bernardo Arias Porras, Iris Becher und Felix Römer in Der Fremde an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Thomas Aurin

Ansgar Skoda - 9. März 2017
ID 9895
DER FREMDE (Studio, 05.03.2017)
Regie: Philipp Preuss
Bühne und Kostüme: Ramallah Aubrecht
Dramaturgie: Bettina Ehrlich
Mit: Bernardo Arias Porras, Iris Becher und Felix Römer
Premiere in der Schaubühne am Lehniner Platz: 13. November 2016
Weitere Termine: 13. + 14.04.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de

Zum Vergleich: Der Fremde am Bonner Euro Theater Central



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