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Von Menschen, Gutmenschen und Göttern



Der gute Mensch von Sezuan an der Schaubühne Berlin | Foto © Gianmarco Bresadola

Bewertung:    



Es wird musiziert, was das Zeug hält, sich dramatisch in Pose geworfen, und Figurendynamiken werden eindringlich durchexerziert. Immer wieder werden Rollen getauscht und wird auf neue Rollen neu reagiert. Mit viel Elan, Vitalität und Temperament inszenierte Peter Kleinert an der Berliner Schaubühne mit Eleven der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Brechts Klassiker Der gute Mensch von Sezuan.

Das Drama von 1943 behandelt den Konflikt zwischen Moral und miserablen Lebensbedingungen. Kann ein einzelner Mensch trotz einer ausbeuterischen Lebenswirklichkeit gut sein? Kann er sich ethisch vorbildlich verhalten, wenn er sein eigenes Überleben sichern muss? Drei Götter kommen auf die Erde, um in Sezuan nach einem guten Menschen zu suchen. Der Ort des Dramas, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Sezuan, ist fiktiv und kann für alle Orte dieser Welt stehen.

In einer Zeit, in der ein Prozent der Weltbevölkerung beinahe die Hälfte der verfügbaren Ressourcen besitzt, manifestiert sich ein gesellschaftliches Bild von Ungleichheit, Unverhältnismäßigkeit und Ungerechtigkeit. Wieviel Wert kann es heutzutage noch haben, gut zu sein und anderen Menschen Hilfe anzubieten, wenn so viele Menschen teils erfolgreich vor allem auf Eigennutz bedacht scheinen? Gerade für junge Menschen gilt es etwas, offen ins Leben zu gehen. Beim Sich-Ausprobieren haben Fragen wie "gut sein oder nicht" eine andere Bedeutung, als wenn sie bereits mitten im Leben stehen. Trifft der Spruch eigentlich zu, dass gute Mädchen in den Himmel kommen, böse jedoch überallhin? Die jungen Darsteller – allen voran Laura Balzer in der zentralen Titelrolle der Shen Te - verkörperten auf der Studiobühne einen Geist der Offenheit und Unbedingtheit in ihrem Tun. Die für das Drama komponierten kurzen Songs von Paul Dessau wurden rhythmisch in Punk-Musik übertragen. Arg aktionistisch gingen die Darsteller auch während der musikalischen Performances kraftvoll an ihre Grenzen. Insbesondere Mayla Häuser, Lea Ostrovskiy und Tiffany Köberich setzten als gelangweilte und desinteressierte Götter Akzente und überzeugten auch in anderen kleineren Rollen. Jan Bülow spielte den Zukünftigen Shen Tes ekelhaft selbstsüchtig mit grausamer Härte. Jan-Eric Meier übertrieb mimisch-gestisch etwas mit seiner zugewandten Darstellung des großzügigen Mäzens und Förderers Shen Tes. In Erinnerung blieb auch Lukas Walcher als Wasserverkäufer und Erzähler, der die Regieanweisungen sprach.

Das Bühnenbild von Céline Demars zeigte stylish die Kühlschrankreihe von Shen Tes Ladenkiosk, und später wurde hier anhand Berliner Kindl-Bierkisten die unmenschlichen Arbeitsbedingungen von Shen Tes Cousin Shui Ta anhand einer industriellen Produktionsserie vorgeführt. Peter Kleinert traute sich (ähnlich wie Thomas Dannemann mit seiner 2011 am Staatstheater Stuttgart dargebotenen Neuinszenierung dieses Stückes) neue Deutungen von Brechts Werk herauszufordern. Dannemann ließ seiner Zeit den Großteil der Schauspieler in hautengen Lackfetischkostümen auftreten. Ideen und Meinungen bekamen somit einen fetischmäßigen Charakter, wurden beliebig und austauschbar. Dies erschien nicht banal, sondern spiegelte die Geisteshaltung unserer Zeit wider. Dagegen mutete Moritz Sostmanns Inszenierung des Dramas von 2013 am Schauspiel Köln mit dem Einsatz von Handpuppen als die Handlung zu sehr verniedlichend an. Bei der Vorführung an der Berliner Schaubühne blieb insbesondere die jugendliche Frische in Erinnerung, mit der die Figuren die Offenheit der zentralen Grundsatzfragen Brechts effektvoll verkörpern.



Der gute Mensch von Sezuan an der Schaubühne Berlin | Foto © Gianmarco Bresadola

Ansgar Skoda - 14. Mai 2018
ID 10697
DER GUTE MENSCH VON SEZUAN (Studio, 02.05.2018)
Regie: Peter Kleinert
Bühne: Céline Demars
Kostüme: Susanne Uhl
Musik: Hans-Jürgen Osmers
Dramaturgie: Nils Haarmann
Mit: Laura Balzer, Jan Bülow, Mayla Häuser, Jan Meeno Jürgens, Tiffany Köberich, Jan Eric Meier, Lea Ostrovskiy, Frederik Rauscher, Leander Senghas und Lukas Walcher
Premiere an der Schaubühne Berlin: 15. November 2017
Koproduktion mit der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Berlin


Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de/de/produktionen/der.html/m=360


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