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Ursula Werner als Die Mutter an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

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Alleine musst du gehen. Alleine musst du stehen. Solch existentielle Gedanken verursachen manchmal ein Gefühl von Unsicherheit, Angst und Gelähmtheit. Für Heranwachsende ist der Loslösungsprozess von den Eltern so oft schwer. Gerne versichert man sich in der Familie der möglichen Fürsorge füreinander. Wie kann man das Alleinsein überwinden und sich in einen Gruppenzusammenhang einfügen? In Die Mutter (1932) gibt Bertolt Brecht eine paradigmatische Antwort am Beispiel einer alleinerziehenden und arbeitslosen Arbeiterwitwe: indem man für eine gemeinsame Sache kämpft. Die Zeitgeschichte belegt, dass weniger Einzelkämpfer für ihre eigene Sache in Erinnerung blieben; vielmehr Bedeutung haben heute meist die Theorien von Vordenkern für das Gemeinwohl. Denn manchmal übernehmen Persönlichkeiten nicht nur eine Fürsorge für sich und ihre Familien, sondern auch für ganze Gruppen. Brechts Lehrstück nach dem gleichnamigen halbdokumentarischen Roman von Maxim Gorki von 1907 behandelt das Leben der Arbeiterwitwe Pelagea Wlassowa im russischen Twer zu Anfang des 20. Jahrhunderts. 14 Szenen veranschaulichen, wie die gottesfürchtige Arbeiterfrau zunächst unter der möglichen Arbeitslosigkeit und möglichen Lohnkürzungen für ihren Sohn leidet und unzufrieden wird. Sachzwänge fördern ihre politische Agitation, und sie stellt sich schließlich als entschiedene Kommunistin auf die Seite ihres revolutionären Sohnes.

Peter Kleinert inszeniert Brechts mit Ideologien behaftetes Drama im Studio der Berliner Schaubühne erfrischend experimentell mit Schauspielstudierenden der Hochschule Ernst Busch. Wenn die jungen Darsteller temporeich und pointiert in Publikumsansprachen im heutigen Hip-Hop-Slang Kapitalismuskritik an der Gegenwart üben, Sprech- und Singchöre im Publikum provozieren und als Live-Band die Originalkompositionen von Hanns Eisler performen, brechen sie ironisch den belehrenden Duktus von Brechts Vorlage. Gleichzeitig schafft die Inszenierung stets auch eine Balance zwischen einer amüsierten Kritik an dem Agitationsdrama für eine kommunistische Revolution aus der Endphase der Weimarer Republik und dem Ernstnehmen der Brecht‘schen Vorlage. Sorge für letzteres trägt nicht zuletzt als ruhender Pol die 72jährige Ursula Werner - bekannt als preisgekrönte Hauptdarstellerin aus Andreas Dresens Wolke 9 (2008) und jüngst aufgefallen in Fritz Katers gerade für den Mülheimer Theaterpreis nominierten Buch (5 Ingredientes de la Vida) - in der Titelrolle.

Werner spielt die geknechtete Arbeiterwitwe Pelagea mit großer Konzentration. Sie lenkt wiederholt durch ihre plötzliche Präsenz das Augenmerk des Theaterbesuchers zurück auf die Hauptgeschichte, wenn einige der jüngeren Darsteller durch überraschende Solo-Performances neue Geschichten erzählen möchten - etwa Felix Witzlau im Glitzerkostüm als personifizierter, verführerischer Kapitalismus einzelne Besucher im Publikum befragend oder Elvis Clausen, der lieber einen Klassiker von Kleist zur Vorführung bringen möchte, um das Publikum noch mehr von seinem augenscheinlichen Talent zu überzeugen. Einen wirkungsvollen Verfremdungseffekt lösen schließlich auch mehrfach eingesetzte Gesichtsmasken von Kostümbildnerin Susanne Uhl aus, bilden doch die Masken die Gesichtszüge der tatsächlichen Darsteller nach - jedoch maskenhaft sorgenvoll-faltig und aschgrau geworden. So bringt Kleinerts Inszenierung insgesamt zentrale und essentielle Gedanken Brechts zu den Auswirkungen von Krieg, Armut oder Leistungsdruck auf den Einzelnen und die Gesellschaft wirkungsvoll zu Geltung, ohne je einseitig das Publikum beeinflussen oder belehren zu wollen.



Die Mutter an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Gianmarco Bresadola

Ansgar Skoda - 17. Mai 2016
ID 9312
DIE MUTTER (Studio, 16.05.2016)
Regie: Peter Kleinert
Bühne: Peter Schubert
Kostüme: Susanne Uhl
Musikalische Leitung: Mark Scheibe
Dramaturgie: Nils Haarmann
Mit: Elvis Clausen, Daniel Klausner, Benjamin Kühni, Thimo Meitner, Celina Rongen, Rosa Thormeyer, Ursula Werner und Felix Witzlau
Premiere an der Schaubühne Berlin war am 13. Januar 2016
Weitere Termine: 17. - 19. 5. / 3. - 5., 7., 17., 18. 6. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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