Berlin-Türkei-
Roman im
Studio Я
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Die Ungehaltenen am Maxim Gorki Theater Berlin - Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Gerade noch als junger, politisch interessierter Berliner Deutsch-Türke Cem im Film Nachspielzeit von Andreas Pieper auf dem Achtung Berlin Filmfestival - nun ist Mehmet Atesci am Maxim Gorki Theater in einer ganz ähnlich gelagerten Rolle zu sehen. Er spielt den wütenden, mit sich und der Welt hadernden Elyas aus Kreuzberg, die Hauptperson aus dem Roman Die Ungehaltenen. Die gleichnamige Bühnenfassung des Debuts von Autor und Freitext-Herausgeber Deniz Utlu hat Regisseur Hakan Savaş Mican gemeinsam mit Necati Öziri für seine neue Inszenierung im Studio Я erarbeitet.
Ungehalten ist Elyas aus mehreren Gründen. Schon zu Beginn schwitzt sich Mehmet Atesci dessen Wutmonolog auf Touristen, Zugezogene und die ganze Pseudoszene der Partystadt Berlin förmlich aus dem Bauch heraus. Den Live-Soundtrack dazu spielen auf Geige, Oud, Gitarre und Schlagzeug Elmira Bahrami, Volkan T. und Mehmet Yilmaz, die auch als ständige Sidekicks und Nebendarsteller zur Verfügung stehen. Elyas treibt selbst aber auch haltlos zwischen ungeliebtem Jurastudium, Bars und Clubs, schmeißt schließlich die Uni und kapselt sich von Freunden und den Eltern ab, deren Erwartungen er nicht erfüllen kann und will. Wie der Cem aus Nachspielzeit kämpft hier ein junger, in Deutschland geborener Türke gegen seine unbestimmte Herkunft an und die Werte der Elterngeneration, die sich noch nach Jahren im Ausland über die alte Heimat definiert. Als Sinnbild dessen erzählt Elyas vom großen Kleiderschrank des Vaters mit den stets gebügelten Sachen und einem Handbuch für Türken im Ausland.
Kontakt pflegt Elyas nur noch sporadisch zu einem alten Freund (Mehmet Yılmaz) des Vaters, der sich in seiner Hausgemeinschaft politisch betätigt und dessen Berufung gegen eine Räumungsklage gerade abgewiesen wurde oder einem skurrilen Rapper und Taubenzüchter (Volkan Türeli), der trotz Rückschlägen beharrlich weiter an seinen Musiker-Karriere arbeitet. Was Elyas im Gegensatz zu den Beiden und auch zu Cem fehlt, ist ein Lebenssinn, ein Ziel, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Das scheint sich erst zu ändern, als Elyas auf der Jubiläumsfeier zum 50. Jahrestag des Deutsch-Türkischen Anwerbeabkommens die junge Ärztin Aylin (Elmira Bahrami) kennenlernt, die ihn mit ihrer direkten unangepassten Art fasziniert. Nur verliert er sie schnell wieder aus den Augen, da Aylin für unbestimmte Zeit in die Türkei fährt. Nach dem Tod seines Vaters beschließt Elyas schließlich alle Brücken in Berlin abzubrechen und selbst nach Istanbul zu reisen, um Aylin zu suchen.
Angekommen in diesem Land, das er nur aus Geschichten kennt, fallen Zorn, Selbstmitleid und Berlin („Die Stadt klebt an uns wie Hundescheiße“) nach und nach von ihm ab. Elyas beginnt über seine Jugend und das problematisches Verhältnis zum Vater zu reflektieren. Erste Heimatgefühle entwickelt der junge Mann beim Erinnern an bestimmte Gerüche aus der Kindheit. Leider tritt auf der Reise mit Aylin ans Schwarze Meer die eigentliche Liebesgeschichte etwas in den Hintergrund. Auch politische Themen wie Wende, Alltagsrassismus oder der NSU-Skandal werden nur am Rande gestreift, wenn Mehmet Atesci kurz zur Empörung aufruft. An der Rückwand flimmern dafür schöne Bilder von Stadt-Silhouetten Berlins und Istanbuls, alte Fotos und eine lange bewegte Road im Movie.
Die Inszenierung bleibt fast ausschließlich auf die Entwicklung Elyas konzentriert, der schließlich vor dem Grab des Vaters angekommen, ein letztes Zwiegespräch über Würmer und Gedanken mit dem Toten hält. Hier kommt auch endlich mal die Bühneninstallation von Sylvia Rieger mit den lang an der Wand aufgereihten Sesseln richtig zur Geltung, deren Polsterkissen Mehmet Atesci zu einem großen Steingrab aufhäuft. Wie bereits in Schwimmen lernen, seiner Auftaktinszenierung im Studio Я vor zwei Jahren, gelingt es Hakan Savaş Mican, selbst Experte für Geschichten mit Migrationshintergrund (On My Way Home), die Zerrissenheit junger Menschen zwischen zwei Kulturen und Heimatländern mit von den Darstellern eingespielter Livemusik und berührendem Gesang mitreißend in Szene zu setzen. Als Gefühlsverstärker wirkt das wunderbar, und der überragende Mehmet Atesci trägt dazu das Spiel und den starken Text von Deniz Utlu fast im Alleingang. Ein gutes, sehenswertes Stück Bühnenarbeit, das den rauen, poetischen Sound der Vorlage in 80 kurzweiligen Minuten einzufangen versucht.
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Stefan Bock - 15. Juni 2015 ID 8703
DIE UNGEHALTENEN (Studio Я , 14.06.2015)
Regie: Hakan Savaş Mican
Bühne und Kostüme: Sylvia Rieger
Musik: Volkan T.
Video: Benjamin Krieg
Dramaturgie: Necati Öziri
Mit: Mehmet Ateşçi, Elmira Bahrami, Volkan Türeli und Mehmet Yılmaz
Premiere war am 30. Mai 2015
Weitere Termine: 29. + 30. 6. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de
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