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Ernst und Falk am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

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Die laufende Spielzeit des Theaters Osnabrück steht im Zeichen des Stadtprojektes „Nathan“, das sich schwerpunktmäßig mit den Werken des Schriftstellers Lessing beschäftigt. Seine Vision von einem selbstbestimmten Leben im Zeichen von Toleranz und Menschlichkeit gemäß der Ideale des Humanismus und der Aufklärung sind heute noch von der gleichen Brisanz und Aktualität wie zur Zeit seines Wirkens vor 200 Jahren.

Aufgrund seines gesellschaftlichen Engagements war Lessing Mitglied bei den bis heute von abenteuerlichsten Gerüchten umrankten Freimaurern. Angesichts dieses Aspekts hat sich nun für eine Inszenierung der außergewöhnlichen Art eine Kooperation ergeben. Für die gleichnamige Adaption des Werks Ernst und Falk – Gespräche für Freimaurer, welches kaum als dramaturgische Vorlage für Literaturtheater zu taugen scheint – entbehrt es doch jeglicher Handlung und gibt lediglich philosophierende Gespräche zweier Freunde wieder -, öffnet die Osnabrücker Freimaurerloge „Zum Goldenen Rade“ ihre Pforten. Entgegen dem Brauch wird so Nicht-Mitgliedern Zutritt in die Loge im Lortzinghaus gewährt, um dem textuellen Stoff, der zum Kanon der Freimaurer zählt, einen adäquaten Raum zu bieten.

Der eigentliche Text wirkt häufig etwas sperrig, da facettenreich und häufig nicht wirklich fassbar, aufgrund verschiedenster Denkansätze, die man als Leser versucht zu einen. Ein schwieriges Unterfangen, jedoch aber auch eine ganz besondere Herausforderung für die beiden Darsteller Janosch Schulte (Ernst) und Stefan Haschke (Falk) wie auch für die Verantwortlichen Birga Ipsen (Regie) und Milena Kowalski (Dramaturgie). Ein Besuch der Inszenierung in der Loge zeigt, dass diese Herausforderung mit Bravour gemeistert wurde. Überraschend zugänglich sind die Inhalte aufbereitet worden und bieten einen Theaterabend der besonderen Art.

Momentaufnahmen sind es, die die Gesprächssituationen begleiten und das Publikum, das sich als stummer Teilnehmer der Diskussion um Idealismus widerfindet, durch das gesamte Gebäude der Loge bis ins Allerheiligste führen. Die Darbietung Schultes und Haschkes wirkt wie eine intensive Auseinandersetzung mit dem Selbst, eine Art Selbstbefragung hinblicklich einer Verortung oder der Einnahme eines Standpunkts, welche direkt auf die Zuschauer weitergegeben werden. Ein Denkanstoß, der jeden still fordert ohne aber eine verbalisierte Stellungnahme zu erwarten.

Die Gesprächssituationen zwischen Ernst und Falk greifen zutiefst existenzielle Fragen nach einem menschlichen Miteinander auf, das gelingen kann, ohne dass dieses utopisch erscheint. Nach und nach ergibt sich aus dem anregenden Wortwechsel ein fruchtbarer Diskurs. Ernst wird zunehmend suggestiv an die Bedeutung der Freimaurerschaft nach Falks Verständnis herangeführt. Das kaum vorhandene und dennoch gezielt eingesetzte Bühnenbild (Janine Hagedorn), das lediglich aus einigen wenigen Requisiten besteht, weiß hier anzusetzen. Wortwörtlich spinnt Falk ein Netz aus Andeutungen und lockt seinen jüngeren Weggefährten, bis dieser schließlich in diesem Gedankenkonstrukt gefangen ist.

Textpassagen Lessings werden mühelos in die Gegenwart transferiert: Im Zuge einer Brunnenkur, während der die beiden Männer Heilwasser konsumieren, tauschen sie sich über die „fancy“-Ausstellung der Freimaurer in einer Berliner Galerie aus. Großzügig wird den Zuschauern Platz für Interpretationen des Gesprochenen mit deutlichem Aktualitätsbezug geboten, welche durch die Einspielung von vorurteilsbehafteten O-Tönen, welche in der Fußgängerzone aufgezeichnet wurden, getriggert werden. Während einige Befragte der Meinung sind, dass es sich bei den Freimaurern um eine Sekte handle, weiß ein junger Mann von dem Selbstmord eines Dorfarztes aufgrund einer verlorenen Losung zu berichten, die einmal jährlich unter den Logenmitgliedern veranstaltet würde.

Der Klimax der Darbietung führt schließlich auf beeindruckende Weise das Ganze ad absurdum. Das Szenario wird auf eine Metaebene überführt, auf der Ernst und Falk Lessings wagemutigen – und historisch völlig unhaltbaren – Erklärungsversuch der Entstehung der Freimaurer mit viel Esprit und sketchartig in Pose gesetzten Fotos, die mit einem Diaprojektor an eine Leinwand geworfen werden, präsentieren. Meint man als Besucher gerade, einen Part inhaltlich völlig aufgeschlüsselt zu haben, so wird man spätestens jetzt eines Besseren belehrt. Das Gedankenkarussell lädt zur nächsten Fahrt ein, um eine neue Perspektive bzgl. der humanistischen Ideale von Toleranz und Freiheit zu ermöglichen, die den Horizont auf ein Neues erweitert. Das angestrebte Ziel sind „gute Taten, die gute Taten entbehrlich machen sollen“, um es mit den Worten des Freimaurers Ernst zu sagen.



Ernst und Falk am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Sina-Christin Wilk - 17. Dezember 2016
ID 9753
ERNST UND FALK (Lortzinghaus, 15.12.2016)
GESPRÄCHE FÜR FREIMAURER

Inszenierung: Birga Ipsen
Bühne und Kostüm: Janine Hagedorn
Dramaturgie: Milena Kowalski
Mit: Janosch Schulte (als Ernst) und Stefan Haschke (als Falk) sowie der Stimme von Valentin Klos
Premiere am Theater Osnabrück: 2. Dezember 2016
Weitere Termine: 27. 1. / 12. 2. 2017
In Kooperation mit der Freimaurerloge „Zum Goldenen Rade“ Osnabrück


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de


Post an Sina-Christin Wilk

scriptura-novitas.de



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