Sebastian Nübling und das Exil Ensemble am Maxim Gorki Theater benutzen Die Hamletmaschine, Heiner Müllers persönliche Abrechnung mit dem zaudernden Intellektuellen in der DDR, als Folie für die kürzlich gescheiterten Revolutionsversuche im arabischen Raum
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(C) Esra Rotthoff
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„Ich war Hamlet. Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung BLABLA, im Rücken die Ruinen von Europa.“ sind die vielleicht meistzitierten Textzeilen aus dem Werk von Heiner Müller. Die Hamletmaschine, 1977 geschrieben und 1979 im Théatre Gérard Philipe in Saint Denis bei Paris uraufgeführt, konnte erst 1990 in der untergehenden DDR gezeigt werden - vom Autor am Deutschen Theater Berlin selbst inszeniert. Es ist neben Der Auftrag sicher eines der Schlüsselwerke Müllers als seinem dramatischen Vermächtnis zur Aufarbeitung ostdeutscher Geschichte. Im Angesicht der politischen Wende und deutschen Wiedervereinigung hatte Müller dann eine Schreibblockade befallen. Über Nacht war ihm sein Thema - die Abarbeitung an der DDR und den Kinderkrankheiten des Kommunismus wie dem Stalinismus und der real existierenden sozialistischen Staatsbürokratie - abhanden gekommen. Was blieb, war der Blick auf den im Westen aufgehenden Mercedesstern. „Ich Dinosaurier nicht von Spielberg sitze / Nachdenkend über die Möglichkeit / Eine Tragödie zu schreiben Heilige Einfalt“ dichtet Müller 1995 in Ajax zum Beispiel und reflektiert damit sein künstlerisches Versagen.
Auch die Die Hamletmaschine ist eine große, wenn auch nur 9seitige intertextuelle Reflexion, die sich anhand von Shakespeares Tragödie Hamlet mit dem für Müller eigenen „konstruktiven Defaitismus“ mit der deutschen Tragödie des Zweiten Weltkriegs, dem sich anschließenden Stalinismus und dem Ungarnaufstand, der eigenen Biografie, der Rolle des zögerlichen Intellektuellen in der DDR im Allgemeinen und der Rolle der Frau im Speziellen beschäftigt. Eine wilde Collage aus Zitaten, Monologen und Prosapassagen als Symbol für das Ende des Dialogs und repräsentativen Theaters.
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Nun hat am Maxim Gorki Theater der für seine recht körperbetonten Inszenierungen bekannte Regisseur Sebastian Nübling gemeinsam mit dem Exil-Ensemble eine Spielfassung entwickelt, die Müllers Stücktext um Texte des syrischen Autors und Exil-Ensemble-Mitglieds Ayham Majid Agha ergänzt. Die Rezeption Heiner Müllers in den arabischen Staaten ist nicht unbedeutend. Auch die Hamletmaschine gibt es in arabischer Übersetzung. Sie flimmert an diesem Abend immer wieder über den Gazevorhang auf der leeren, in Schwarz gehaltenen Bühne. Schon zur 2016er Inszenierung von Heiner Müllers Stück Der Auftrag. Erinnerungen an eine Revolution am Gorki schrieb Ayham Majid Agha im Spielzeitheft: „Heiner Müller war in der arabischen Welt ein Held, noch bevor seine Stücke übersetzt waren. (...) Der Auftrag schien für mich geschrieben worden zu sein. Ich suchte nach einem Weg, am Stück teilzuhaben. Das war in Syrien vor der Revolution im Jahr 2011.“
Was seitdem geschah, ist weitestgehend bekannt. Die syrischen Mitglieder des Exil-Ensembles sind infolge des Bürgerkriegs, der seit der Niederschlagung des Arabischen Frühlings in ihrem Heimatland tobt, nach Deutschland geflohen. Vermutlich hätte es sich Heiner Müller nicht träumen lassen, dass seine Reflexionen zum Ungarnaufstand 1956 im 5. Abschnitt der Hamletmaschine einen syrischen Autor 40 Jahre nach Entstehung des Stücks aus aktuellem Anlass zu einem Prosakommentar inspirieren würden. Insgesamt drei dieser Kommentare hat Ayham Majid Agha zur Inszenierung beigesteuert. Ein weiterer behandelt die Geschichte der Hauptstadt Damaskus aus Sicht der biblischen Legende von Kain, der seinen Bruder Abel erschlug. Hier ist Damaskus eine Abel von Gott versprochene Frau, die ihm der Bruder neidet. Im übertragenen Sinn ist sie eine Metapher für das immer größer werdende Grab, „das Naher Osten heißt“.
Eingebettet sind diese in Arabisch vorgetragenen Texte in eine Performance von meist pantomimisch agierenden Horrorclowns in farbigen, vorn geknöpften Unterwäsche-Bodys und grellen Masken, die schon zu Beginn unter eingespielten Lachern kleine Kunststückchen vollführen. Den oben zitierten Eingangsmonolog quäkt Mazen Aljubbeh mit verstellter Stimme ins Mikro, während er wie beiläufig geräuschvoll einen Bleistift anspitzt. Kenda Hmeidan bläst mit einer Pumpe Luftballonschlangen auf und lässt sie mit lautem Knall zerplatzen. Tahera Hashemi zieht einen großen Hammer hinter sich her. Die im Text beschriebene Gewalt wird hier nur pantomimisch angedeutet. Wenn vom zu engen Hals die Rede ist, würgt man sich in Schleife im Hintergrund. Auch die zynische Äußerung Hamlets „Man sollte die Weiber zunähen, eine Welt ohne Mütter“ wird entsprechend bebildert.
Selbstbewusst zeigen sich die Frauen im Ophelia-Monologteil, wenn sie Müllers Frauenbild kritisch hinterfragen. Dass der Selbstmord einer Frau am Anfang einer Revolution stehen soll, will ihnen nicht einleuchten. Zu Beginn des SCHERZO-Teils spielt Kenda Hmeidan eine ironische Penisnummer mit einer Luftballonschlange, bis sie von einem der Männer verdrängt wird. Zu wilden Ethnobeats entwickelt sich dann ein wildes Tänzchen. Aus Müllers zweitem Clown im kommunistischen Frühling wird in Ayham Majid Aghas Kommentar schließlich der dritte Clown im Arabischen Frühling.
In seinem dritten Kommentar zum Ungarn-Teil „Pest in Buda...“ schlägt Agha dann die direkte Brücke, wenn er von Berlin als Hafenstadt „in einem Meer von Blut, das bis nach Damaskus reicht“ spricht. Es werden die Hamlets und Ophelias unserer Tage aus Syrien, dem Iran, Libanon oder Jemen aufgezählt. Eine Geschichte von Verfolgung, Gefängnis, Folter und Flucht, die bis nach Kanada oder Deutschland führt. Und auch in Tahera Hashemis abschließendem Elektra-Monolog bekommen die Worte aus dem „Herzen der Finsternis. Unter der Sonne der Folter“ „Im Namen der Opfer“ eine ganz aktuelle Bedeutung. Hier wird Heiner Müller als Chronist gescheiterter Revolutionen durch die Erfahrungen des Exil-Ensembles direkt aus der Vergangenheit in die Gegenwart katapultiert.
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Stefan Bock - 27. April 2018 ID 10673
DIE HAMLETMASCHINE (Maxim Gorki Theater, 26.04.2018)
Regie: Sebastian Nübling
Ausstattung: Eva-Maria Bauer
Musik: Tobias Koch
Dramaturgie: Ludwig Haugk
Mit: Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Hussein AL Shatheli, Karim Daoud, Tahera Hashemi, Kenda Hmeidan und Ayham Majid Agha
Premiere war am 24. Februar 2018.
Weitere Termine: 12., 26.05.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de/
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