Hoheitliche Abgründe
KÖNIG UBU am Deutschen Theater Berlin
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Bewertung:
Große, auf der Bühne platzierte Schaumstoffquader erinnern in ihren Ausmaßen an Steine des Berliner Holocaust-Mahnmals. Sie schaffen eine verheißungsvoll graue und düstere Atmosphäre (Bühne: Sigi Colpe). Auf Anraten seiner Frau tötet Vater Ubu die polnische Königsfamilie, wird selbst König und errichtet eine Diktatur. Er tötet alle Adligen, Richter und andere Autoritäten, die gegen ihn aufbegehren. Sein Blutdurst hilft ihm nicht zuletzt, sich an den Hinterlassenschaften der Ermordeten zu bereichern. Da nun im Staat jede Struktur fehlt, treibt er von den verarmten Bauern selbst die Steuern ein. Grausam schlägt er auch ihren Aufstand nieder. Er hat nun das Land völlig ruiniert und muss die Invasion des russischen Zaren fürchten. Der einzige überlebende Sohn des Königs wird bald eine mögliche Gefahrenquelle, die Ubu langsam zu fürchten lernt.
König Ubu wirkt zunächst wie ein grotesk übertriebenes, modernes Theaterstück, das die Grausamkeiten des 20. Jahrhunderts und die Machtgier gegenwärtiger Despoten auf die Bühne bringt. Das Drama wurde jedoch bereits 1896 uraufgeführt. Der Franzose Alfred Jarry (1873-1907) schrieb es in einer Zeit, als er selbst noch Schüler war. Machtgier, Grausamkeit und Tyrannei sind Phänomene, die leider die ganze Menschheitsgeschichte begleiten. Es brauchte vielleicht die im besten Sinne naive Herangehensweise eines Schülers, diese Phänomene ihrer Ideologie oder strategischen Komplexität zu entkleiden und in ihrer bloßen Brutalität zu zeigen.
Diese Groteske aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts hat unverändert Gültigkeit. Auf unsere Gegenwart verweisen zahlreiche Requisiten und Ausrufe. Einige einbezogene Schaumstoffpuppen zieren Gesichter der Rechtspopulisten Marine Le Pen oder Geert Wilders. Auch Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan dürfen natürlich nicht fehlen und erhalten kurzzeitig eine Stimme. Als treffliche Begleiterscheinungen der Historie, die fließende Übergänge zur Jetztzeit bieten, fallen die Stoffpuppen jedoch recht bald der Vergänglichkeit anheim.
Elias Arens, Božidar Kocevski und Linda Pöppel wechseln fliegend die Rollen, agieren mal als Täter und mal als Opfer. So rasant, wie die Handlung abfolgt, wird auch die Darstellung übertrieben und stilisiert. Schaumstoffblöcke dienen als Thron, Tempel, Rüstung oder gar Anus des russischen Zaren, in den es hineinzukriechen gilt. Akustisch verstärkte Stimmen und im Hintergrund ausgelöste Geräusche (Sound: Tamás Matkó) unterstreichen die Bewegungen und Handlungen der gerade agierenden Figur. König Ubu erstarkt zu einer Art Hulk, für den die Kugeln der Feinde nur noch Wattebäusche sind. Er fängt sie auf, um sie den Feinden mit vielfach größerer Kraft zurückzuschleudern. Neben die drastische und vulgäre Sprache des Stückes treten pantomimische Meisterleistungen. Elias Arens stellt etwa mit vollem Körpereinsatz ein vortrefflich knisterndes Feuer inklusive unterschiedlich knackender Holzscheite dar.
Das Publikum wird zum vergnügten Beobachter eines Parforceritts in den Abgrund. Mit dem Eindruck der Inszeniertheit der Katastrophe bleibt man zurück; so wie es uns derzeit allenthalben geht, wenn die Medien uns die neuesten Grausamkeiten kundtun. Auch die Nachrichten werden oft nicht mehr bewusst zur Kenntnis genommen. In einem Monolog spricht Linda Pöppel das Publikum direkt an und gibt mögliche Gedanken dieser Personen wieder, etwa: „Ich hasse Mitmachtheater!“ In seiner naiven und vulgären Brutalität fiel König Ubu seinerzeit durch und zeigt doch, was im 20. Jahrhundert geschah und bis heute geschieht. So grotesk diese reale Geschichte ist, so grotesk ist auch die vortreffliche Inszenierung des ungarischen Regisseurs András Dömötör. Aufgrund der künstlich übertriebenen Karikatur des Grauens entsteht kein Entsetzen oder Mitgefühl. Zum Ende der anderthalbstündigen Vorführung lässt der Effekt etwas nach. Nichtsdestotrotz höchst sehenswert.
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Applaus nach König Ubu in der DT-Box am 3. März 2017 | Foto (C) Ansgar Skoda
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Ansgar Skoda - 6. März 2017 ID 9890
KÖNIG UBU (Box, 03.03.2017)
Regie: András Dömötör
Bühne/ Kostüme: Sigi Colpe
Sound: Tamás Matkó
Dramaturgie: Meike Schmitz
Mit: Elias Arens, Božidar Kocevski und Linda Pöppel
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 30. November 2016
Weitere Termine: 16., 24. + 27.3./ 28. + 29.4.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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