Geben sie dem Mann am Klavier
noch ein Bier
ONKEL WANJA am Staatstheater Cottbus
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Bewertung:
Jo Fabian, der neue Schauspieldirektor am Staatstheater Cottbus, gibt dem Publikum seiner ersten Inszenierung für die Große Bühne eine Art Selbstvergewisserung in Sachen Kunstverständnis mit auf den Weg. „Ich will verstehen, was die Künstler mir sagen wollen. Dazu benutze ich die mir verliehene Gabe der Interpretation. Aber auch Fehlinterpretationen werde ich mich nicht verschließen.“ Damit schlägt der Regisseur gewissermaßen zwei Fliegen mit einer Klappe. Erstens soll sich das Publikum selbst Gedanken zum Stück machen, was auch bedeutet, dass ihm die Erkenntnis nicht vorbestimmt sei, und zweitens entschuldigt sich der Regisseur auch für die Möglichkeit, missverstanden zu werden. Fehldeutung seitens des Publikums sind aber durchaus gewollt und zu akzeptieren. Klingt zunächst durchaus interessant. Der Wunsch, das Theater am Ende unversehrt und unbehelligt wieder verlassen zu können, beschränkt sich demnach nur aufs rein Körperliche, nicht aber auf den Geist.
Derart gewappnet begibt sich also das Cottbuser Publikum in die Aufführung des Dramas Onkel Wanja, das auch als melancholische Komödie, 1896 vom russischen Schriftstellers und Dramatikers Anton Tschechow geschrieben, weltweit bekannt ist. Den unglücklichen, in ihrem als sinnlos empfundenen Leben gefangenen Charakteren des Stücks die Tragik mit entsprechender Komik auszutreiben, ist so neu nicht. Jo Fabians Inszenierung zielt allerdings auf einen möglichst breit angelegten Ansatz, in dem Bühnenbild, Musik, Ton und Schauspiel durch die dynamische Wahrnehmung des Zuschauers selbst zu einem möglichst vergnüglichen Gesamtkunstwerk verschmelzen sollen. Das Publikum als treibende Kraft der bildlichen Assoziation.
Und zu sehen gibt es auf der von Pascale Arndtz gestaltenden Bühne recht viel. Das Ensemble sitzt an einer Tafel inmitten eines alten Salons, der zum Zuschauerraum durch eine bröckelnde Wand mit kaputten Fenstern und großer Terrassentür abgegrenzt ist, durch die nicht von jedem Platz im Saal alles einsehbar ist. Amadeus Gollner als Telegin muss da schon mal erklärend einspringen. Ansonsten wird auch ein Perspektivwechsel durch Kartentausch in der Pause angeboten. Im Saloninneren ragen zwei kahle Birken in den Bühnenhimmel, es grasen Ziegen im Hintergrund, und eine große Uhr zeigt 5 nach 12, als wäre die sich anbahnende Katastrophe schon geschehen. Zunächst herrscht jedoch für ein Tschechow-Stück bemerkenswert langes Schweigen. Rockmusik setzt ein, und das Geräusch eines vorbeifliegenden Flugzeugs lässt die Figuren kurz aufhorchen. Ein Mann mit Bart und Melone schaut aus einem Spiegelfenster heraus, stellt sich als Onkel Wanja vor und beginnt damit, die Ausgangssituation des Stücks ins Mikrofon zu erzählen.
Axel Strothmann gibt seinen Onkel Wanja als ironisch-trockenen, mit russischem Akzent sprechenden Conférencier des Geschehens, die weiteren Figuren treten nach und nach aus dem Hintergrund. Auf Original-Tschechow muss man allerdings noch eine Weile warten. Mehr beiläufig ergibt sich aus diesem recht statischen Spiel so etwas wie eine Handlung, bei der sich Wanja und Arzt Astrow (Gunnar Golkowski) darüber streiten, ob das Wetter schwul oder schwül ist. Regisseur Fabian hat allen DarstellerInnen das gebrochene Deutsch verordnet, nur die alte Marina (Michaela Winterstein) darf auch ein paar Brocken auf Russisch sagen. Über allem schwebt eine hin und wieder unterbrechende Off-Stimme, die wie ein Regisseur bei den Proben Spielanweisungen gibt. Dass Fabian als stummes Faktotum mit Sonnenbrille selbst durch die Szenerie streift, verleiht dem Ganzen doch etwas den Anschein einer vagen Versuchsanordnung, die des ständigen Eingriffs bedarf.
Ansonsten lässt der Regisseur sein Ensemble aber mehr an der langen Leine agieren. Immer wieder gibt es Slapstickeinlagen, wenn sich z.B. Wanja und Astrow zu "Sympathy for the Devil" notgeil um Jelena (Lisa Schützenberger), die junge Frau des Phrasen dreschenden Professors (Thomas Harms), prügeln, der völlig betrunkene Arzt mit Hilfe der unglücklich in ihn verliebten Sonja (Lucie Thiede) in seine Hose steigen will oder der von ihm vergötterten Jelena seine „Röllchen“ mit der Verteilung von Wald und Wildtier im Landkreis zeigt. Es werden schlüpfrige Witze erzählt bzw. das Geschehen auf der Bühne geistreich kommentiert. Die Figurenzeichnung liegt oft nah an der Karikatur. So wird die Mutter Wanjas, Maria Wassiljewna Wojnizkaja, auf einem Rollbrett umhergeschoben. Sigrun Fischer darf hier mit Liedern aus Winterreise ihr Gesangstalent beweisen. Ansonsten ist sie mehr eine senile, in der Vergangenheit lebende Diva. Begleitet wird sie vom sich ständig verbeugenden Pianisten Hans Petith, der auch recht pathetisch Satie oder Tschaikowski einstreut.
Der Tschechow-Plot passiert hier irgendwie mehr nebenbei. Dann aber umso intensiver. Große Aufregung gibt es noch einmal nach der Bekanntgabe des Professors, dass er das Gut verkaufen will. Was dann allerdings wie der Schuss aus der vom Regisseur gereichten Pistole verpufft. Wozu es des übrigen Klamauks bedarf, bleibt gut behütetes Geheimnis des Regisseurs genau wie der Running Gag, bei dem ständig nach einer schwarzen Katze gesucht wird, die man an der Garderobe abgeben soll, wie es Sonja nach ihrem berühmten Schlussmonolog über das Weitermachen sagt. Dass es sich dabei nur um einen etwas schrägen MacGuffin handeln könnte, der die Handlung zwar antreiben soll, selbst aber nie zu sehen ist, dürfte in Cottbus nicht so geläufig sein. Ein Spiel mit der Fantasie des Publikums, das sich trotz Kurzweil dann vielleicht doch etwas unter Niveau amüsiert haben dürfte.
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Stefan Bock - 28. Dezember 2017 ID 10445
ONKEL WANJA (Staatstheater Cottbus, 26.12.2017)
Regie: Jo Fabian
Bühne & Kostüme: Pascale Arndtz
Dramaturgie: Jan Kauenhowen
Regieassistenz: Lukas Pohlmann
Besetzung:
Alexander Wladimirowitsch Serebrjakow ... Thomas Harms
Jelena Andrejewna ... Lisa Schützenberger
Sofja Alexandrowna (Sonja) ... Lucie Thiede
Maria Wassiljewna Wojnizkaja ... Sigrun Fischer
Iwan Petrowitsch Wojnizkij (Wanja) ... Axel Strothmann
Michail Lwowitsch Astrow ... Gunnar Golkowski
Ilja Iljitsch Telegin ... Amadeus Gollner
Marina ... Michaela Winterstein
Tänzerinnen ... AnnaLisa Canton und Mandy Krügel
Pianist ... Hans Petith
Premiere war am 4. November 2017.
Weitere Termine: 20.01. / 06., 16.02.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.staatstheater-cottbus.de
Post an Stefan Bock
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