Feminismus
und
Westalgie
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thisisitgirl im Studio der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Bewertung:
Dass die Berliner Schaubühne unter Intendant und Commandeur de L'Ordre des Arts et des Lettres Thomas Ostermeier ausgerechnet mit zwei doch eher dem Genre Kabarett zuzuordnenden Theaterproduktionen die neue Spielzeit eröffnet, ist schon etwas verwunderlich. Mit dem Regisseur Patrick Wengenroth hat man am Lehniner Platz jedenfalls schon länger einen Fachmann in Sachen schräger Satire, Pop und Boulevard; und mit Neuzugang Rainald Grebe zumindest einen passablen Garanten für Stimmung, Spaß und gute Laune eingekauft. Und auch der schwarze Humor ist den beiden Enfant terribles der Hochkultur zu eigen. In jedem Fall erhofft man sich mit dem Reiz-Thema Feminismus (thisisitgirl) und einer nostalgischen Rückschau auf das alte West-Berlin (Westberlin) einen regen Publikumszuspruch.
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Theatermacher und Planet Porno-Erfinder Patrick Wengenroth hat sich also den Feminismus für seinen neuesten Streich thisisitgirl auf der kleinen Studiobühne ausgesucht. „Ein Abend über Frauen und Fragen und Frauenfragen für Frauen und Männer“ soll es sein. Es ist dann aber doch eher ein Abend von Männern über männliche Befindlichkeiten wie Genderstress, Orientierungslosigkeit und Selbstmitleid geworden. Das natürlich nicht ohne eine Portion Selbstironie, sonst wäre es wohl auch kaum über zwei Stunden zu ertragen. Für den Tip hatte Wengenroth sich sogar mit der Spezialistin für Frauenfragen in Literatur und am Theater Sibylle Berg zum Gespräch getroffen. So weit, so gut. Der Regisseur will aufräumen mit dem Maskulinismus und Sexismus vor allem auf der Theaterbühne, und saugt zunächst selbst den Teppich in der kleinen Wohnzimmerlandschaft mit Ledersesseln und biederen Einbauschrankwänden aus Holz.
Sich als „Quotenfrau“ des Abends bezeichnend tritt dann Iris Becher auf und stellt zunächst ihre männlichen Kollegen Ulrich Hoppe, Laurenz Laufenberg und Andreas Schröders mit eindeutig auf Alter und Körper anspielenden Sprüchen vor. Das sitzt als erste Pointe. Danach darf sie die Männer noch der Reihe nach auf die Psycho-Couch legen. Den Dreien macht ihr gestörtes Rollenbild zu schaffen und die Angst sich vor einer Frau zu Fragen der patriarchale Ordnungsgesellschaft, zu Abhängigkeiten und sexuellem Frust zu öffnen. Wir erfahren dann noch etwas von Siggi-Look-alike Ulrich Hoppe über Siegmund Freud und seine Träume, weibliche Öffnungen und den Feminismus als das kleinere Übel in der Gesellschaft. Vom Penisneid der Frauen zum Penisleid der ödipal veranlagten Männer, viel weiter geht’s leider nicht. Wengenroth kommt nicht raus aus der Männerecke.
Matze Kloppe gibt im flauschig-infantilen Einhornkostüm den Musiker des Abends. Das ist die Richtung, in der sich die Nummernrevue dann auch weiterbewegt. Das Kind im Manne, das Bier trinkt, Fußballhymnen grölt und sich verschämt lachend platte Frauenwitze erzählt. Das greift natürlich zu kurz, wenn die drei sich auch die größte Mühe geben, männliche Klischees der Lächerlichkeit preiszugeben. Klaus Theweleits Buch Männerfantasien spielt da eine Rolle - oder auch eine Latte von feministischer Literatur von Sylvia Plath über Judith Butler bis zu Laurie Penny, wie der Programmzettel ausweist, und durch die man sich für diese Produktion wohl auch durchgeackert hat. Allein es hilft nicht, der Schauspielerin Iris Becher einen schönen Pimmel-Wutmonolog über Tradition und strukturelle Ungerechtigkeit zu schenken und sie ansonsten weiter den Frauenbilder projizierenden und ihre patriarchalen Fiktionen als Fetisch in Kleidern und Unterwäsche selbst reproduzierenden Männern auf der Bühne gegenüber zu stellen. Als Frau bleibt sie leider auch hier eklatant unterrepräsentiert.
Und wo die Männer nun die Schubladen (in der Schrankwand) auch aufmachen, überall fällt ihnen ihr männlicher Wortmüll (hier in Form von unzähligen Bierdosen und Minifässern) entgegen und bedeckt schließlich bald den ganzen Bühnenboden. Unsere wackeren Helden kämpfen sich nun scheppernd durch ihr eigenes Blech. Sicher ein schönes Bild, das nur noch durch eine Peter-Pan-Figur des sich zurück in den Mutterschoß wünschenden Ulrich Hoppe getoppt wird. Zum Schluss nimmt Iris Becher die verstörte Herrenpartie unter ihren weiten Reifrock. Mehr als Freud‘sche Symbolik, Pop und ein paar Sprüchen zum Feminismus ist Patrick Wengenroth leider nicht eingefallen. Aber gut, dass wir mal drüber gelacht haben.
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thisisitgirl im Studio der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Gianmarco Bresadola
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Stefan Bock - 13. Oktober 2015 ID 8926
THISISITGIRL (Studio, 12.10.2015)
Realisation: Patrick Wengenroth
Bühne: Mascha Mazur
Kostüme: Ulrike Gutbrod
Musik: Matze Kloppe
Dramaturgie: Giulia Baldelli
Mit: Iris Becher, Ulrich Hoppe, Matze Kloppe, Laurenz Laufenberg, Andreas Schröders und Patrick Wengenroth
Premiere war am 16. September 2015
Weitere Termine: 6. + 8. 11. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
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