Kein Ziel in Sicht
TRANSIT am Deutschen Theater Berlin
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Bewertung:
Transit (1944) spielt zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und enthält autobiographische Elemente. Die deutsche Schriftstellerin Anna Seghers floh zur Zeit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in die Schweiz, dann nach Paris und schließlich nach Mexiko. Sie schrieb Transit 1941-42 im Exil. Seghers beschreibt die unmenschliche und bedrohliche Situation der Flüchtlinge in Frankreich. Sie versuchen ein fernes, sicheres Land zu erreichen. Elend und Sterbende begleiten sie auf ihrem Weg, ebenso wie die Angst und die Hoffnung.
In der DT-Box entsteht die Spannung aus dem vielschichtigen Text heraus, der sicher von Thorsten Hierse erzählt wird. Mal schreit er, dann wird er wieder leise. In der Rolle des Ich-Erzählers umspielt er immer wieder ausufernd mit seiner Zunge seine Lippen. Aus einer durchsichtigen Flasche trinkt er ab und zu eine rötliche Flüssigkeit, die Rosé-Wein darstellen soll. Bei der vom Regisseur Alexander Riemenschneider überwiegend als Monologinszenierung angelegten Aufführung sorgt Tobias Vethake mit Live-Musik für geräuschvollen Hintergrund.
Soziale Verrohung und Langeweile prägen das Leben des Ich-Erzählers in der Wartezone. Er ist irritiert von den uneinsichtigen Wegen, Schwierigkeiten und langen Prozesse der Behörden, die Leben offensichtlich unterschiedlich bewerten und nicht jedem ein Visum ausstellen. Dies schafft Unmut unter den Geflüchteten. Der Ich-Erzähler betrachtet andere Flüchtlinge in den Unterkünften vor Ort sezierend und ist ihnen gegenüber meist misstrauisch und abweisend. Trotzdem schafft er es geschickt, sich Informationen anzueignen und die Identitäten anderer Männer anzunehmen. Zunächst übernimmt er, um vor den deutschen Besatzern sicher zu sein, Namen und Dokumente eines anderen. Im weiteren Verlauf fällt ihm regelrecht die Identität eines verstorbenen Schriftstellers, der ein Visum für Mexiko erhalten hat, zu. Er verliebt sich sogar in die Witwe des Schriftstellers, die ihren Ehegatten sucht und nichts von dessen Tod weiß. Immer wieder sieht er Marie (Wiebke Mollenhauer), die auf der Bühne suchend auf und abgeht und „Nichts“ ausruft. Er betrachtet sie obsessiv, von Liebe und Sehnsucht nach Erlösung getrieben. Mit diesen Gefühlen nährt er auch seine Hoffnung auf einen Transit zum Glück, um dann sehen zu müssen, dass auf der Flucht unerwartet das bevorstehende Glück verfehlt wird. Was schon zuvor auf der Flucht verloren ging, war zunächst die Heimat und dann sogar die eigene Identität, die mehrfach getauscht wurde.
Transit stimmt nachdenklich und vermittelt einen Eindruck von der plötzlichen Verlorenheit und Einsamkeit Geflüchteter. Das Publikum muss sich jedoch in die komplexe Erzählung Seghers wiederholt neu einfühlen, da nach kurzen Szenen mit Marie die Zusammenhänge nur noch erzählt und nicht dargestellt werden.
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Schlussapplaus für Transit im Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Ansgar Skoda
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Ansgar Skoda - 30. November 2016 ID 9715
TRANSIT (Box, 26.11.2016)
Regie: Alexander Riemenschneider
Bühne und Kostüme: Katharina Kownatzki
Musik: Tobias Vethake
Dramaturgie: Meike Schmitz
Mit: Thorsten Hierse, Wiebke Mollenhauer und Tobias Vethake (Live-Musik)
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 27. September 2014
Weitere Termine: 3., 29. 12. 2016
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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