Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Repertoire

Nicht ganz dicht,

doch Goethe war

Dichter



Die Leiden des jungen Werther am Schauspiel Stuttgart - Foto (C) JU Ostkreuz

Bewertung:    



Improvisiert werden anfangs noch Verse aus G.E. Lessings Drama Emilia Galotti vorgetragen, das einst auch Goethe inspirierte. Dann ruft ein Darsteller plötzlich aus, sie sollten doch Goethes Werther dem Publikum darbieten und sorgt so für allgemeine Erheiterung im Saal. Flugs werden Rollen festgelegt. Es wird an diesem Abend zum ersten, aber ganz bestimmt nicht zum letzten Mal durcheinander ausgerufen und übereinander geklettert - ziellose Energie, die sich auch sonst in Die Leiden des jungen Werther am Schauspiel Stuttgart ungezügelt Bahn bricht…

Auch die Anziehungskraft zwischen dem jungen Werther (Ole Lagerpusch) und der schönen Lotte (Julischke Eichel), um die Goethes Briefroman kreist, wird auf der Bühne nicht subtil vermittelt. Beim ersten Aufeinandertreffen in den nun neu eingenommenen Rollen funkt es - krawums – zwischen beiden, denn die Vorlage, die bewusst als vorgeführt gespielt wird, hat es so vorherbestimmt. Lotte verführt Werther also ganz unsubtil mit Vesperbrot und gymnastischen Übungen zu Disco-Musik, und Werther stottert sabbernd, wenn er auf sie trifft.

Der Mond ist eine Discokugel. Werther und Lotte singen gemeinsam „If I needed you“ von Townes van Zandt. Doch dann kehrt Lottes Verlobter Albert (Gunnar Teuber) von einer Geschäftsreise zu ihr heim. Lotte strebt mit Albert plötzlich ein konventionelles Eheglück an. Das Ensemble samt Werther singt nun gemeinsam in wechselnden Tonlagen „Wir steigern das Bruttosozialprodukt“ von Geier Sturzflug. Die Trennung von Lotte und Werther scheint vorherbestimmt, und Lotte wendet sich beinahe neuen Herausforderungen zu. Denn plötzlich trägt sie ein Pappschild mit dem Logo der NGO „Brot für die Welt“ und es erklingt die Klaviermelodie von Michael Jacksons „Heal the World“.

Doch Werther lässt nicht locker, und Lotte gewährt ihm weiterhin Besuche bei ihr. Grobmotorisch marodiert er auf der Bühne ziellos hin und her, heftig schwitzend und speichelspuckend scheinbar keine richtigen Begriffe für seine unerfüllten Gefühle findend, unter denen er aber trotzdem offensichtlich leidet: „Ach, diese Lücke! Diese entsetzliche Lücke, die ich hier in meinem Busen fühle!“ Über seine Verfassung unterrichten uns nun eine Base (Hanna Plaß) oder ein Bauersbursch (Matti Krause) in freien Monologen. Um Lotte nicht mehr in seiner unmittelbaren Umgebung zu wissen, tritt Werther nun seinen Kriegsdienst an. Das sparsam ausgestattete Bühnenbild bleibt trotzdem weiterhin das gleiche. Während dichter Theaterrauch auf die Bühne und über die ersten Zuschauerreihen schwelt, projiziert Simon Solberg jetzt plakativ in Wiederholungsschleife einen Bundeswehr-Spot auf die Bühnenwand: “Ich. Diene. Deutschland.“

Dramaturgisch hat Solberg später auch noch interessantere Ideen, etwa wenn er Lottes Gesicht auf Leuchtreklame-Bannern auf die Bühne projiziert, um zu veranschaulichen, dass Werther nur noch sie sieht – auch in den Gesichtern der Models für Parfüm oder Mode.

Obwohl sich die Darsteller sichtlich anstrengen, ermüden die ständigen Referenzen bald, und die heftigen Gefühle der Figuren lassen einen so kalt. Insgesamt bleibt die Adaptation so leider sehr oberflächlich und seicht.

Insbesondere bei den jüngeren Zuschauern – viele Schüler sitzen im Publikum – kommt die moderne Inszenierung trotzdem gut an. Es wird viel gegiggelt, gegluckst und gelacht. Wie bei Werther und Lotte auf der Bühne, nehmen sich die Laute aus dem Publikum dann oftmals wie affektierte Balzrufe aus. Das stört dann zusätzlich, wenn schon von der behutsamen und feinsinnigen Vorlage (immerhin: ein Klassiker der Weltliteratur) nur noch wenig bleibt. Hatte Goethe noch mit diesem Roman die Absicht, die Jugend vor derartigem Liebeswahn zu bewahren, erreichte er damals zu seinem Erstaunen das genaue Gegenteil: eine Vielzahl junger Menschen nahm sich das Leben. In Stuttgart wird nur noch albern darüber gelacht.



Die Leiden des jungen Werther am Schauspiel Stuttgart - Foto (C) JU Ostkreuz

Ansgar Skoda - 22. Februar 2015
ID 8456
DIE LEIDEN DES JUNGEN WERTHER (Schauspiel Stuttgart, 21.2.2015)
Regie: Simon Solberg
Bühne & Kostüme: Maike Storf und Christina Schmitt
Video: Joscha Sliwinski
Musik: Sven Kaiser
Dramaturgie: Anna Haas
Besetzung:
Werther … Ole Lagerpusch
Lotte … Julischka Eichel
Albert … Gunnar Teuber
Base … Hanna Plaß
Bauersbursch … Matti Krause
Wilhelm/ Live-Musik … Sven Kaiser
Herz … Anna Gesche
Premiere war am 18. Januar 2015
Weitere Termine: 16. 3. / 4., 16. 4. 2015

Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-stuttgart.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



  Anzeigen:





THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

RUHRTRIENNALE

TANZ IM AUGUST

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)