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nachDRUCK # 6

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Rosinenpicken (361 | 362)

Waisen

und

Missionare



Sascha Tschorn in Die lächerliche Finsternis von Wolfram Lotz im Theater der Keller, Köln | (C) MEYER ORIGINALS


Das Kölner Theater der Keller spielt fast nur zeitgenössische also neue oder neuere Stücke. In dieser Spielzeit sind das beispielsweise Wir lieben und wissen nichts (von Moritz Rinke), Die Klasse (nach François Bégeaudau), Die Ereignisse (von David Greig), Verrücktes Blut (von Ulrike Janssen und Marie T. Martin), Vierzig Leben - Kölner Geschichten (nach Navid Kermani), Tschick (nach Wolfgang Herrndorf), Philipp Löhle's Wir sind keine Barbaren und Einer und Eine oder - als einziges "altes" Stück - Das Versprechen (nach Friedrich Dürrenmatt). Und solche Stückauswahlen sind für ein auf Einnahmen auch angewies'nes Off-Theater sehr gewagt also sehr mutig, und sie zeugen erstrangiger Weise davon, dass man gottlob nicht nach irgendwelchen Populärgeschmäckern einer Allgemeinheit schielen muss, um heutzutage DAS Theater aufzuführen, was man halt für legitim und richtig hält. Eine so derart eindeutige Haltung, wie sie halt das TdK unmissverständlich demonstriert, finden wir schon sensationell!

Am letzten Wochenende hatten wir uns Dennis Kelly's Waisen sowie Wolfram Lotz' Die lächerliche Finsternis dort angesehen...



Dennis Kelly | Waisen


"Ein junges Paar macht es sich beim Candlelight-Dinner gemütlich, als plötzlich der Bruder der Frau blutüberströmt im Wohnzimmer steht...

Waisen ist ein Psychothriller, der zeigt, wie dünn der Firnis des Zivilisatorischen ist. Die drei Figuren des Stücks versuchen, eine bürgerliche Lebensweise aufrechtzuerhalten - in einem Viertel, in dem sie sich kaum noch auf die Straße trauen. In ihren Konflikten mit Migranten fühlen sie sich vom Staat alleingelassen und beschwören einen Albtraum der Gewalt herauf.

Der Terror kommt hier nicht von den Rändern, sondern aus der Mitte. Es ist der Hass des guten Bürgers, der nicht mehr weiß, wie ihm geschieht: 'Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist. Ich bin nicht so. Ich bin kein Rassist.'“


(Quelle: theater-der-keller.de)



Moritz Heidelbach spielt einen psychisch völlig instabilen Bruder seiner Schwester (Katharina Waldau). Zwischen den zwei Waisen bandelt es inzestuös, obgleich ihre Geschichte - irgendwas von früher - lediglich dann angerissen und/oder behauptet, weniger erklärt und/oder nachbeschrieben wird. Sie hat sich zwischenzeitlich auf das bürgerliche Eheband (mit Arne Obermeyer) eingeschossen; und obgleich der irgendwie doch "heimatlose" Bruder in der Wohnung der zwei Eheleute ein und aus geht. Um dem Schwager zu gefallen, tut er ihn vor einem Ausländer beschützen und nimmt sich denselben, jenen "kriminellen Molslem", später kurz zur Brust. Versehentlich (wahrscheinlich) schießt er übers Ziel und weiß letztendlich nicht, wohin mit seinem schwer verletzten Opfer; er gesteht die Schandtat seiner Schwester, seinem Schwager - man ist fest entschlossen alle Spuren inkl. das Gewaltopfer endgültig zu entfernen, zu beseitigen...

Kruder und simpel abgestrickter Text mit allerhand Klischees zum aktuellen Fremdenfeindlichkeiten-Thema unsrer Zeit - gut inszeniert als wie geschauspielert.


Bewertung:    




Katharina Waldau, Arne Obermeyer (darunter) und Moritz Heidelbach in Waisen von Dennis Kelly im Theater der Keller, Köln | (C) MEYER ORIGINALS





Wolfram Lotz | Die lächerliche Finsternis


"Hauptfeldwebel Pellner und Gefreiter Dorsch schippern auf einem Fluss durch die 'Regenwälder Afghanistans' mit dem Auftrag, einen irrsinnig gewordenen Deserteur aufzuspüren…

Wolfram Lotz’ postkoloniale Nachschrift von Joseph Conrads Jahrhundert-Erzählung
Herz der Finsternis und Francis Ford Coppolas Neuinterpretation Apocalypse Now zeigt falsche Bilder im echten Elend: eine globalisierte Welt, in der Tragödien nur noch als Farce erscheinen."

(Quelle: theater-der-keller.de)



Müßig, krampfig, sinnlos die Idee (und auch die insgesamte Mache) den Apocalypse Now-Film aktuellpolitisch zu germanisier'n. Matthias Lühn freilich - als der, der dann den deutschen Marlon Brando im geheimen Auftrag sucht - ist sehens- und auch hörenswert! Sein führerstarker Impetus assoziiert dann allerdings auf ein mehr schickelgruberisches Gleichnis. Insgesamt wird man den Eindruck überhaupt nicht los, dass es sich beim Afghanistan-Einsatz unserer Bundeswehrsoldaten um so eine Art von Missionariat gehandelt haben sollte - nicht nur Sascha Tschorn (als Priester) spricht so viel von diesen "Wilden", die man quasi vor der Welt-Scharia retten und bewahren sprich zum Besseren (= heilsbringerischen Abendländischen) bekehren muss o.s.ä.

Klägliches dramatisches Gebilde - doch recht gut [wie schon im Fall des Waisen-Stücks] aufs Brett gedonnert.


Bewertung:    



Doris Plenert (im Papageikostüm) und re. daneben Norman Grotegut in Die lächerliche Finsternis von Wolfram Lotz im Theater der Keller, Köln | (C) MEYER ORIGINALS

Andre Sokolowski - 15. Dezember 2015
ID 9040
WAISEN (Theater der Keller, 11.12.2015)
Regie: Sandra Reitmayer
Bühne und Kostüme: Silvie Naunheim
Mit: Moritz Heidelbach, Arne Obermeyer und Katharina Waldau
Premiere war am 20. September 2013
Weitere Termine: 17. 1. 2016

DIE LÄCHERLICHE FINSTERNIS (Theater der Keller, 13.12.2015)
Regie: Martin Schulze
Bühne und Kostüme: Silvie Naunheim
Mit: Norman Grotegut, Matthias Lühn, Doris Plenert und Sascha Tschorn
Premiere war am 26. November 2015
Weitere Termine: 18. 12. 2015 / 7., 10., 31. 1. 2016

Theater der Keller
Kleingedankstraße 6
50677 Köln

0221-272 20 99-0
info@theater-der-keller.de


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-der-keller.de


http://www.andre-sokolowski.de

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