Irgendwie
documenta-
affin
KREATUR von Sasha Waltz, Iris van Herpen, Soundwalk Collective und Urs Schönebaum
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Kreatur | © Ute Zscharnt/Alexander Krack; Bildquelle: radialsystem.de
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Bewertung:
Sasha Waltz ist designierte Ko-Intendatnin des Staatsballetts Berlin - das sollte man bei jeder neuen Kreation, die sie bis dahin noch mit ihrer "alten" Truppe Sasha Waltz & Guests (die es wohl auch mit/nach der designierten Intendanz, und hoffentlich noch lange, geben wird) zur Uraufführung bringt, im Hinterkopf verankert haben, denn: Bei jedem Mal, sofern es bis zum Intendanzbeginn 2019 nach und nach erfolgt, könnte es immerhin das vorerst letzte Mal gewesen sein - - beides, also das Staatsballett Berlin zu leiten UND die Sasha Waltz & Guests-Truppe mit neuen Stücken zu versorgen, ginge schwer und wäre v.a. interessenkonfliktig; doch das wird sie wohl gewusst haben, als sie diesen verfänglichen Vertrag mit ihrer Unterschrift besiegelte.
Jetzt hat sie sich zum Thema Kreatur - das ist der Titel ihres neuen Stücks - verewigt:
"Kreatur kommt aus dem dunklen, leeren Raum: Befreit von Narration und musikalischer Dramaturgie geht Sasha Waltz, ähnlich wie in der Recherche zu Körper vor mehr als 15 Jahren, mit 14 Tänzern in einen freien Kreationsprozess. Welche Kräfte wirken in einer Gruppe? Wie gestaltet sich Gemeinschaft? Wie trägt die Gruppe den Einzelnen, wann lässt sie ihn fallen? Was macht Isolation mit dem Menschen? Die Choreographie untersucht Phänomene des Seins: Macht und Ohnmacht, Dominanz und Schwäche, Freiheit und Kontrolle."
(Quelle: radialsystem.de)
Der Anfang ist das Beste! Die Hälfte der anwesenden TänzerInnen [alle Namen s.u.] tritt - unter den nachhaltigen Elektronikklängen aus den Werkstätten des Soundwalk Collectives - als Pusteblumen auf die Bühne des Radialsystems; Kostümdesignerin Iris van Herpen hat sich dieses durchsichtige Gruppen-Outfit [s. Foto oben] ausgedacht. Man ahnt, noch weit bevor die derart Kostümiertgewesenen aus ihren scheinbar schwerelosen Hüllen schlüpfen, dass es sich hierbei um eine Art "Geburt" oder Metamorphose jener Kreatur an sich (um die es ja im Stück von Waltz zu gehen scheint) gehandelt haben könnte...
Später, und nachdem nun alle vierzehn Mitwirkenden mit dabei sind, gibt es stark beeindruckende Gruppen- als wie Paar- und Einzelauftritte; im zweiten Bild hat man, gleich zu Beginn, den ungefähren Eindruck, dass vielleicht so ein barocker Bildausschnitt mit einem 'ranstürmenden Griechenheer o.s.ä. für die Choreografin inspirierend war und sie es also in die Neuzeit übersetzte.
Es gibt, völlig unerwartet, auch paar Kurzgeschichten, die von Waltz "erzählt" werden; sie haben freilich einen mehr verallgemeinernden als menschlich nachvollziehbaren (und mich konkret berühren wollenden) Charakter - so wird beispielsweise plötzlich eine Einzelne vom Rest der Kreaturengruppe auf 'ne Treppe hochgetrieben, während sich die Menge gleichsam hinter sie also zu ihr hin drängt oder womöglich ihre Opferung erzwingt; das Bild erinnert stark an Körper, toppt es aber letztlich nicht.
Ein Holzpfahl kommt ins Spiel, mit welchem dann der Eine und die Andere oder der Andere/die Eine dann das Eine oder Andere verrichten, anstellen, symbolisieren; jede(r) konnte sich da jedes vorstellen.
Im vorletzten (und wieder starken) Bild erscheint ein mit zig Scheren oder Messern, jedenfalls mit ziemlich scharfen Stacheln ausgestattetes Igelwesen, das die Kreaturen attackieren (oder töten?) will. Sieht zwar bedrohlich aus, schockt aber nicht.
Danach zerfasert das Geschehen und droht langweilig zu werden.
Und als Schlusslösung lässt Waltz bzw. Soundwalk Collective das weltweit ab- und ausgelutschte Gainsbourg/Birkin'sche "Je t'aime" über die Lautsprecher herabsäuseln, während sich alle Guests darunter räkelnd oder filmstillmäßig hinlagern; aber da hatte man bereits mindestens eine Viertelstunde vorher das Gefühl, das jetzt nichts Weiter- oder Zielführenderes mehr käme.
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Sasha Waltz scheint ihre Truppe mehr und mehr mit documenta-affinen "Nebenbuhlern" dominieren zu wollen, das erachte ich dann mindestens als einen ehrgeizigen Schritt zu viel.
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Kreatur | © Ute Zscharnt; Bildquelle: radialsystem.de
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Andre Sokolowski - 11. Juni 2017 ID 10076
KREATUR (Radialsystem V, 10.06.2017)
Regie und Choreographie: Sasha Waltz
Licht: Urs Schönebaum
Kostüme: Iris van Herpen
Tanz und Choreographie: Sasha Waltz & Guests
Sound: Soundwalk Collective
Bühne: Sasha Waltz und Thomas Schenk
Mit: Liza Alpizar, Jiri Bartovanec, Davide Camplani, Clémentine Deluy, Peggy Grelat-Dupont, Hwanhee Hwang, Annapaola Leso, Nicola Mascia, Thusnelda Mercy, Virgis Puodziunas, Zaratiana Randrianantenaina, Yael Schnell, Corey Scott-Gilbert und Claudia de Serpa Soares
Uraufführung war am 9. Juni 2017.
Weitere Termine: 11., 16.-18.06.2017
Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests in Koproduktion mit Festspielhaus St. Pölten, Grand Théatre de la Ville de Luxembourg, Opéra de Lille und Opéra de Dijon
Weitere Infos siehe auch: http://www.sashawaltz.de
http://www.andre-sokolowski.de
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