Erfrischend wie Wasser, leicht wie eine Brise
ÁGUA von Pina Bausch
|
Regina Advento in Água von Pina Bausch, am Opernhaus Wuppertal | Foto (C) Ursula Kaufman
|
Bewertung:
Wie wogende Wellen wechseln weite wonnige Wallungen wirkungsvoll weltenthoben. Am Tanztheater Wuppertal blicken die Tänzer in Pina Bauschs Água auf der Bühne versonnen ins Publikum, äußern verschmitzt Nichtigkeiten, um sich erst verspielt und dann ganz dem effektvollen Tanze zu aufpeitschenden brasilianischen Trommelrhythmen hinzugeben. Es sind kleine Details, die oft Auslöser tänzerischer Bewegungen und schließlich ganzer Tanzsequenzen sind. Die Wimpern eines Mannes kitzeln die Oberarme mehrerer Frauen. Männer provozieren und geben sich bei der Partnersuche ebenso wählerisch wie die Frauen. Tänzerisch werden die den jeweiligen Geschlechtern zugeschriebene Rollen stimmungsvoll und gelassen illustriert, wenn es in genau aufeinander abgestimmten Ensemble-Szenen um die Anziehungskraft zwischen Mann und Frau geht. Frauen steigen auf die Schultern der Männer, um dann in deren Arme zu fallen. In einer anderen Szene werden Frauen von Männern auf ihren Stühlen geschaukelt. Oft kommt es erst nach geschmeidig und gestenreich ausufernden Tändeleien zum spritzigen Stelldichein. Bald schon lüften sich die farbigen, wallenden Kleider der Frauen, wenn sie ein Rad über die Rücken kniender Männer schlagen. Auch ein Mann trägt einen – wenn auch schwarzen - Rock.
Palmenblätter wiegen sich im Wind. Großräumig werden Videobilder auf die halbkreisförmige, weiße Bühnenwand projiziert, die Detailaufnahmen von Stränden, Wasserszenen, Landschaften und Tieren aus Brasilien zeigen. In seltenen Momenten fallen die auf die Tänze wirkungsvoll abgestimmten Projektionen weg. Dann kann sich das Auge des Betrachters ganz auf die vorgeführte Tanzdarbietung konzentrieren. Neben brasilianischer Musik von u.a. Antonio Carlos Jobim oder Caetano Veloso untermalen auch populäre Klassiker von Tom Waits bis hin zu PJ Harvey die collagenhaft einander abwechselnden Tanzperformances. Sprechszenen mit episodischem Charakter unterbrechen die im schnellen Tempo aufeinander folgenden Choreographien. Eingangs schält eine Frau eine Apfelsine, ein Mann hält ihr ein Mikro hin und stöhnt für sie lustvoll „Mmmh“ und „Aaah“. Julie Shanaham sinniert in einer längeren Sequenz darüber, was sie nun gerne vorführen möchte, aber leider nicht kann. Sie erklärt, sie bringe trotzdem ihr Bestmögliches zur Darstellung. Hier überlagern sich die Ebenen von Realität und Theater wirkungsvoll. Ein absurdes Schönheitsideal wird in einer anderen starken Szene ironisch zur Schau gestellt, wenn das Ensemble gemeinschaftlich mit auf Strandhandtüchern dargestellten, nackten Frauenkörpern posiert.
Pina Bausch schaffte mit ihrem Stück völlig neue Assoziationsräume. Zwei Tänzerinnen zeigen vor dem Hintergrund einiger Videoprojektionen von Flamingos ihre Beine. Eine andere Frau bürstet sich ihre Beine und singt dabei. Eine Tänzerin wird wiederholt von anderen gestört. Ein Mann macht einer Frau Komplimente, die diese nicht annimmt, weil sie nichts Gutes an sich selbst finden kann. Eine Frau kritisiert die Kleidung eines Mannes, bis sich dieser vor ihr entblößt. Daraufhin bemäkelt sie seine Rundungen. Ihre beeindruckendsten und stärksten Momente hat die Vorführung, wenn zwei anzugtragende Männer völlig synchron tanzen. Später tanzt dann eine ganze Gruppe von Männern mitreißend synchron. Sicherlich hat Pina Bausch schon anspruchsvollere Themen choreographisch packend bebildert, wie etwa Verlassenheitsgefühle in Café Müller/ Das Frühlingsopfer und Melancholie in Dánzon). Unbeschwerter und augenzwinkernder vermittelt die durchweg schwungvolle Ensembleleistung in Água vor allem brasilianisches Flair von „laissez faire“ und „savoir vivre“.
|
Ensemble in Água von Pina Bausch, am Opernhaus Wuppertal | Foto (C) Oliver Look
|
Ansgar Skoda - 4. Mai 2016 ID 9295
ÁGUA (Opernhaus Wuppertal, 23.04.2016)
Inszenierung und Choreographie: Pina Bausch
Bühne und Video: Peter Pabst
Kostüme: Marion Cito
Musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert und Andreas Eisenschneider
Mitarbeit: Marion Cito, Irene Martinez-Rios und Robert Sturm
Mit: Pablo Aran Gimeno, Rainer Behr, Andrey Berezin, Damiano Ottavio Bigi, Rudolf Giglberger, Ditta Miranda Jasjfi, Nayoung Kim, Daphnis Kokkinos, Eddie Martinez, Thusnelda Mercy, Pascal Merighi, Cristiana Morganti, Helena Pikon, Julie Shanahan, Michael Strecker, Fernando Suels Mendoza, Aida Vainieri, Anna Wehsarg und Tsai-Chin Yu
Uraufführung am Opernhaus Wuppertal war am 12. Mai 2001
Weitere Termine: 7., 8., 10., 11., 14., 15. 5. 2016 (im Théâtre de la Ville, Paris)
Koproduktion mit Brasilien, dem Goethe Institut Sao Paulo und Emilio Kalil
Weitere Infos siehe auch: http://www.pina-bausch.de
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|