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Theaterkritik

Zwischen Delirium und abgründiger Grausamkeit

Stephan Kimmig inszenierte - mit AUGUST: OSSAGE COUNTRY. EINE FAMILIE - Tracy Letts pulitzerpreisgekröntes Drama von 2007 temporeich und unterhaltsam mit einem gut aufgelegten Ensemble und skurril-witzigen Einfällen


August: Osage County. Eine Familie am Schauspiel Stuttgart - v.l.n.r.: Sheriff Deon Gilbeau (Robert Kuchenbuch), Violet Weston (Astrid Meyerfeldt), Barbara Fordham (Anja Schneider) und Jean Fordham (Svenja Liesau) - Foto (C) Bettina Stöß

Bewertung:    



In Trümmer zerfällt das Ideal einer heilen Familie. Effektvoll tragen es eine Mutter und ihre Töchter zu Grabe, zusammen mit dem Vater, der sich das Leben nahm. Auch andere Familienmitglieder ergehen sich in Schlagabtäuschen, scharfzüngigen Abrechnungen und grausamen Enthüllungen und erwehren sich dabei auch immer der eigenen Haut. Der Dreiakter mit 13 auftretenden Figuren unterhält über dreieinviertel Stunden virtuos. Eine düstere Erkenntnis von Heimito von Doderer stellt das Schauspiel Stuttgart seiner Inszenierung im Programmheft voran: „Wer sich in die Familie begibt, kommt darin um.“

*

Der plötzliche Tod des Patriarchen bringt die hinterbliebene Violet Weston und ihre drei Töchter mit deren Männern, einer Enkeltochter, Tante Mattie Fae und deren Familie nach Jahren wieder alle zusammen. Es ist heiß und die Atmosphäre angespannt. Zu Beginn von Stephan Kimmigs Inszenierung sinniert Violet Weston (Astrid Meyerfeldt) noch, ob sich nach dem Sterben die Welt weiterdreht, oder ob diese zu einem Hohlraum wird, an dem nichts mehr ist, weil alles verschwindet: „Dieses Land, dieses Experiment, all die Hybris. Heute noch da, morgen fort.“ Zu guter Letzt ist die krebskranke und tablettenabhängige Provinzdiva tatsächlich alleine, weil sich nichts und niemand mehr um sie dreht.


Verlustängste werden zelebriert


Oliver Helf entwirft ein möbelarmes, weiß lasiert kaltes, dreistöckiges Holzhaus mit Küche, Bad und Wohnzimmer als Bühnenbild. Diese Bretterbude dreht sich regelmäßig um sich selbst - wie auch die Figuren, die wie die kargen und ärmlichen Räume ebenfalls keine Geborgenheit zu geben vermögen. Als Violet darf Astrid Meyerfeldt theatralisch eine ganze Palette an extremen Gefühlszuständen verkörpern und bedient sich dabei komödiantischer Tonfälle. Sie weint und lacht, torkelt und stolziert, flucht oder tanzt auf dem Tisch. Wenn sie ihrer ältesten Tochter Barbara (Anja Schneider) vorwirft, die Eltern verlassen zu haben und Barbara trotzig derbe Widerworte gibt, eröffnen sich stets neue Lebenslügen. Das Aneinandervorbeireden und Unverständnis füreinander - so sehr auch auf der Bühne geschrien wird – zermürbt die Beziehungen. Von dem Ensemble durchweg nuanciert dargerstellte Gefühlsmomente der Trauer, Wut, Hilflosigkeit oder von Mitgefühl schaffen Augenblicke von berührender Intensität und versorgen die Inszenierung stets mit neuer Spannung. Sandra Gerling brilliert als mittlere Tochter Ivy. Als einzige half sie ihren Eltern viele Jahre und darf sich nun auch nach dem Verschwinden ihres Vaters zusammen mit ihrer Mutter tobend unkontrollierter Hysterie beim Karaokegesang zu James Brown hingeben. Später weist sie jedoch verhärmt ihre beiden Schwestern zurück, um sich – wie diese – fernab der kranken Mutter selbst verwirklichen zu können. Auch Svenja Liesau hat in der Rolle von Barbaras 14jährige Tochter Jean großartige Auftritte, etwa wenn mit einer Marihuana-Wasserpfeife durch das Haus schleicht und Pocahontas spielt und in ihr Spiel eine sie beobachtende Hausangestellte mit einbezieht.



August: Osage County. Eine Familie am Schauspiel Stuttgart - Foto (C) Bettina Stöß


Das oft schwarzhumorige, handlungs- und wortreiche Drama macht Anleihen bei Tschechows Drei Frauen und steht in bester Tradition mit Gesellschaftsdramen von Tennessee Williams über Eugene O’Neill bis hin zu Thornton Wilder. Stephan Kimmigs Inszenierung ist mindestens so bewegend und unterhaltsam wie John Wells erfolgreiche Verfilmung von 2013 [s.u.: Link zur Filmkritik].
Ansgar Skoda - 19. Februar 2015
ID 8451
AUGUST: OSAGE COUNTY. EINE FAMILIE (Schauspiel Stuttgart, 10.02.2015)
Regie: Stephan Kimmig
Bühne: Oliver Helf
Kostüme: Johanna Pfau
Musik: Michael Verhovec
Licht: Gregor Roth
Dramaturgie: Bernd Isele
Besetzung:
Violet Weston … Astrid Meyerfeldt
Beverly Weston/ Charlie Aiken … Elmar Roloff
Mattie Fae Aiken … Rahel Ohm
Little Charles Aiken … Sebastian Röhrle
Ivy Weston … Sandra Gerling
Karen Weston … Birgit Unterweger
Steve Heidebrecht … Horst Kotterba
Barbara Fordham … Anja Schneider
Bill Fordham … Michael Stiller
Jean Fordham … Svenja Liesau
Sheriff Deon Gilbeau … Robert Kuchenbuch
Johnna Monevata … Marietta Meguid
Premiere war am 7. Februar 2015
Weitere Termine: 27. 2. / 4., 18., 21. 3. / 3., 19., 24. 4. 2015


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-stuttgart.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de

Filmkritik zu Im August in Osage County



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