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Das Paradies der Damen am Schauspiel Stuttgart - Foto (C) Bettina Stöß
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Bewertung:
Ein ungeheuer großes Kaufhaus verursacht Beklemmungen und zieht doch die ungeteilte Aufmerksamkeit auf sich. Mareike Mikat adaptiert Das Paradies der Damen (nach dem 1883 erschienen Roman von Émile Zola) am Schauspiel Stuttgart dicht und kraftvoll mit agilen Darstellern, die auch das zu beiden Seiten des Theatersaals sitzende Publikum mit einbeziehen. „Bemächtigen Sie sich der Frauen und Sie können die ganze Welt verkaufen“, ruft der von seinem Charme völlig eingenommene Octave Mouret (ausdrucksstark und beweglich: Matti Krause) aus. Der Besitzer und Erfinder des Warenhauses ist davon überzeugt, mit diesen Worten einen möglichen Geldgeber für sein Projekt gewinnen zu können. Offensiv flanieren reizvolle Verkäuferinnen (herrisch-offensiv: u.a. Abak Safaei-Rad und Birgit Unterweger) durch ein imaginäres Kaufhaus auf der Bühne und präsentieren die neuesten Auslagen. Den Kunden raten sie schmeichelnd stets zu den besten und teuersten Konsumgütern. Gleich zweimal werde auch ich (= der Autor dieser Besprechung) von weiblichen Figuren während der Vorstellung beinahe in ein Gespräch verwickelt. Ein im Theatersaal platzierter Miniaturkaufhauspalast symbolisiert das Warenhaus und dominiert die Bühne. Bühnenbildnerin Simone Manthey lässt später auch bunte Stoffe von der Bühnendecke fallen, welche genussvoll vor den Augen potenzieller Käuferinnen aufgebahrt werden.
Die Romanvorlage spielt im Paris des 19. Jahrhundert. Erfrischend zeitlos setzt das Stuttgarter Schauspiel sie in der Spielstätte Nord mit wechselnden Rollen für die Bühne um. Denise Baudu (Sandra Gerling) reist mit ihren Brüdern Jean (Christian Schneeweiß) und Pépé (Christian Czeremnych) zu ihrem Onkel, um bei ihm Arbeit und eine Unterkunft zu finden. Doch Onkel Baudu (Horst Kotterba) steckt mit seinem eigenen Geschäft in der Krise, da ihm „Das Paradies der Damen“, ein gegenüberliegendes Warenhaus, seit kurzem mit günstigeren Angeboten die Kunden abgräbt. Denise ist fasziniert von dem schillernden Monstrum gegenüber dem Laden ihres Onkels und bewirbt sich schließlich dort, da ihr der Onkel kein Kost und Logis gewähren kann. Sie wird eingestellt und trifft auf Octave Mouret, einem Frauenhelden und Charmeur und - wie sie später erfährt - Besitzer des hiesigen Konsumtempels. Beide hegen bald Gefühle füreinander, die sie zunächst geheim halten.
Mareike Mikats Adaptation hinterfragt auf originelle Weise Konsummechanismen, ausbeuterische Arbeitsbedingungen im Warenhaus und den Wandel der Stadt durch das Wegbrechen des traditionellen Einzelhandels. Oftmals wird den Waren assoziativ eine Bedeutung verliehen, wenn Kundinnen oder Verkäufer über sie sprechen. Im Mittelteil der Inszenierung werden Videoaufnahmen auf die Bühne projiziert, die einige der Darsteller schwer mit Einkaufstaschen bepackt durch einen scheinbar endlosen, modernen Gebäudekomplex schreiten lassen. Geschritten wurde hier durch das Einkaufszentrum Milaneo, das mit 43.000 Quadratmetern Verkaufsfläche nahe dem Stuttgarter Hauptbahnhof jüngst eröffnet wurde. Die Stuttgarter nutzen die gigantische Shoppingmall mittlerweile rege. Nicht von ungefähr kann man Das Paradies der Damen so ein Stück der Stunde nennen, wenn es etwa in „Paradies“-Leuchtschriften und -Einkaufstaschen an das Logo der umstrittenen Billig-Textilkette Primark erinnert. Seinen vierzehnten Standort in Deutschland hat Primark nun im Milaneo. Wenn es im Drama schließlich auch darum geht, die Rechte der Mitarbeitenden zu stärken, mag sich der eine oder andere Zuschauer daran erinnern, dass es mit der globalen Verantwortung internationaler Konzerne oft nicht so weit her ist, wenn es um die Menschenrechte von Arbeitnehmern geht.
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Das Paradies der Damen am Schauspiel Stuttgart - Foto (C) Bettina Stöß
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Ansgar Skoda - 25. Februar 2015 ID 8463
DAS PARADIES DER DAMEN (Nord, 22.02.2015)
Regie: Mareike Mikat
Bühne: Simone Manthey
Kostüme: Katharina Müller
Musik: Moritz Krämer
Dramaturgie: Katrin Spira
Besetzung:
Denise Baudu … Sandra Gerling
Octave Mouret … Matti Krause
Bourdoncie/ Colomban/ Jean Baudu/ Madame Guibal … Christian Schneeweiß
Madame Desforges/ Clara … Abak Safael-Rad
Geneviève Baudu/ Madame Aurélie/ Madame de Boves … Birgit Unterweger
Baron Hartmann/ Onkel Baudu/ Madame Marty … Horst Kotterba
Henri Deloche/ Pépé Baudu … Christian Czeremnynch
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 12. Dezember 2014
Weiterer Termin: 22. 3. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-stuttgart.de/
Post an Ansgar Skoda
http://www.ansgar-skoda.de
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