Wagalaweia! Auweia!
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(C) Thalia Theater
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Bewertung:
Sei es die Opern-Tetralogie Richard Wagners oder das blutrünstige Trauerspiel Friedrich Hebbels, die Nibelungen - nach Heiner Müller der Deutschen deutschestes Drama - lässt neben den Musiktheatern auch die deutsche Sprechtheaterlandschaft nicht zur Ruhe kommen. Und so ruht denn nach Sebastian Nüblings ziemlich plattgefahrenen Hebbel-Nibelungen am Berliner Maxim Gorki Theater auch das Thalia Theater Hamburg nicht und gräbt just eine Woche später den Ring des Nibelungen wieder aus. Der talentierte Regie-Tausendsassa Antú Romero Nunes stellt ihn als Sprechvariante nach Wagners Libretto und altväterlichen Sagentexten frech auftrumpfend auf die Bühne an der Alster.
Und tief im Mythendreck vergraben erscheint auch der von Nunes frei auf die Drehbühne hinassozierte Beginn der Inszenierung. Da buddelt sich erst unter Klagelauten Cathérine Seifert in einen aus Blumenerde aufgeschütteten Haufen, um dann den anderen, aus dem Dunkel erscheinenden Zottelwesen ein aus besagtem Dreck gegrabenes Goldbündel zu präsentieren. Dabei geht das Licht immer wieder an und aus, Tag und Nacht als Ablauf der Zeit, in der sich diese Urmenschen langsam aber sicher wegen der goldglänzenden Habe in die Haare bekommen und an die Wäsche gehen. Stanley Kubrick lässt grüßen. In machohaften Machtspielchen und Unterwerfungsszenen mit Gegrunz, Feuerschein und Hammerschlag wird eine Art archaische Welt- und Menschheitsentstehungsphantasie als Vorgeschichte des eigentlichen Dramas um die Gier nach Wollust, Gold und Macht erzählt.
Vor die Macht aber hat Wagner in seinem Text den Verzicht auf Liebeslust und Minne gesetzt. Und nur wer dies beherzigt, soll mit dem aus rotem Gold geschmiedeten Reif eine neue Welt erschaffen können. In etwas pantomimischem Klamauk erzählen sich die der Sprache noch nicht Mächtigen ihre ersten Heldentaten. Wobei die anderen gebannt starren. Und was nach einer guten halben Stunde bei der Performance von Peter Jordan den ersten Szenenbeifall gibt. Doch wer ist hier nun eigentlich wer? Genau das ist am Anfang auch das Problem, bis sich nach und nach aus dem wortkarg grunzenden Haufen die ersten Charaktere herausschälen und zu wagalaweiern beginnen und aus dem ersten Wort dann Werk, Weisheit und Wissen entstehen, dass alles was ist, auch endet.
Wo es bis auf kleine angedeutete Klangzitate an der Musik fehlt, tritt nun von Anbeginn die stabgereimte Wagner'sche Alliteration in den Vordergrund, die bestimmt manch Opernfreund in ihrer Gänze noch nie so blank und bloß vernommen hat. Und obwohl die eigentliche Komödie der Tetralogie mit dem Siegfried ja noch kommt, nutzt Nunes, um seine Ringversion szenisch aufzupeppen, das vielleicht auch ungelenk und unfreiwillig Komische des Textes für eine recht ironische Sicht auf die Story, in der es ordentlich kiest und kirrt, die dabei aber nie gänzlich in die Klamotte abrutscht. Das große Gefühlige in Wagners Text und Musik ersetzt der Regisseur mit mal düster dräuenden oder auch elektrisch wummernden Sounds, für die Johannes Hofmann verantwortlich zeichnet.
Die Götter-Personage des Rings hat Nunes etwas eingedampft und arbeitet auch mit Doppelbesetzungen. So heißt Göttin Erda hier Kriemhild (Cathérine Seifert) - bei Wagner zeugt sie mit Alberich den Hagen - und Bärbel Schwarz als Wotans Frau Fricka übernimmt auch die Rolle der vertraglich an den Riesen Fafner verschacherten Freia, was für einige lustige Eheszenen mit dem arg geplagten Wotan (Alexander Simon) sorgt. Das Programmheft gibt hier einen kleinen Abriss der Figuren. Das Who is Who im sagenumwobenen Mythenmatsch. „Wotan Who?“ Genau dazu kann man sich dann noch im Logenrang Die Nibelungen verstehen in drei Fragen - Ein Versuch ansehen.
Obergott Wotan, der sich seine Verträge macht und sie bricht wie es ihm gefällt, ist bei Alexander Simon ein eher windiger Schacherer und Macho, der den tumben Riesen Fafner (Thomas Niehaus) übers Ohr hauen will, aber dazu auf die Hilfe eines Schlaueren angewiesen ist. Als große Kraft- und Körpernummer mit knalliger Musik und mit dem Mund erzeugten Geräuschen baut Niehaus' Fafner die Burg Walhall faktisch im Alleingang. Der nächste Szenenapplaus ist ihm damit sicher. Hier glänzt Nunes Einfallsreichtum und sein talentierter Blick für außergewöhnliche Theaterbilder, was er bereits in so manch anderer unkonventionellen Inszenierung auch am Maxim Gorki Theater unter Armin Petras bewiesen hat.
André Szymanski gibt den lüstern lechzenden Alberich als schief gehendes halbglatziges Wesen, das nicht von ungefähr an den Gollum der Tolkin'schen Ring-Saga erinnert, wie sich sicher auch Matthias Koch in Maske und Kostümen von Peter Jacksons Verfilmung der Herr der Ringe-Trilogie oder den endzeitlichen Mad Max-Filmen inspirieren ließ. Alberich verliert hier in einem listigen Frage-Antwort-Spiel um die Mythen der Urwelt seinen Schatz an Wotan und Loge den Listigen, der unter Peter Jordans außerordentlicher Präsenz zur vielleicht interessantesten Gestalt dieser Inszenierung wird.
Dagegen fallen gerade das geschwisterliche Liebespaar Sieglinde (Lisa Hagmeister) und Siegmund (Daniel Lommatzsch) etwas ab, die den noch kommenden Helden Siegfried im Erdbett zeugen. Der finstere Hunding (Thomas Niehaus) bekommt einen Bauch umgeschnallt, wälzt sich sein Gebiet markierend wie ein Köter im Dreck und weist Siegmund, dem verhassten Wölfing, den Platz am Rand der Bühne. Der Kampf ist dann auch wie ein Geheul unter Hunden und Wölfen. Wotans Macht erweist sich hier als eine sehr willkürliche und durch die Eifersucht Frickas geprägte. Die Walküre Brünnhilde zeugt der Gott bei einer Vergewaltigung Kriemhilds (eigentlich Erda). Die Hass-Liebe-Beziehung zu Brünnhilde (Marina Galić) ist ein gezwungen patriarchaler Akt, der immer wieder auch ins Komische abdriftet. Diesen Wotan kann man samt seiner veralberten Schwert- und Walkürenritt-Einlagen nicht wirklich ernst nehmen.
Wo mit den Jahren in der Oper immer wieder neu versucht wurde, Wagners Opus Magnum aktuell zu deuten - wie letztens erst Frank Castorf & Aleksandar Denic im neuen Bayreuther Ring mit dessen sich ums schwarze Gold Erdöl drehenden Welterklärung ganz aus kapitalistischer Sicht - geht es Nunes hier eigentlich nur ums mythologisch Märchenhafte der Entstehung von Gier und Macht. Das lenkt dann schon eher von aktuell-politischen Zusammenhängen ab und den Blick des Publikums rein auf das dramatische Schauspiel. Leider hängt Nunes Ring da trotz großartiger Darsteller doch gerade in der zweiten Hälfte etwas schlaff in den Seilen. Und so beschleicht einen hie und da das garstig' Gefühl, da fehle noch was (außer der Musik).
Im Januar vollendet sich dann mit dem Siegfried und der Götterdämmerung der Ring des Antú Romero Nunes, der an diesem ersten Abend das Potential der Geschichte wohl noch nicht ganz ausgeschöpft hat. Nach oben wähn' ich weidlich Lüfte in neblig' Lichten Nibelheims. Was in etwa heißen soll: Da ist noch reichlich Luft nach oben.
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Der Ring: Rheingold/Walküre am Thalia Theater Hamburg - Foto (C) Armin Smailovic
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Stefan Bock - 2. November 2014 ID 8216
DER RING: RHEINGOLD/WALKÜRE (Thalia Theater Hamburg, 31.10.2014)
Regie: Antú Romero Nunes
Ausstattung: Matthias Koch
Musik: Johannes Hofmann
Dramaturgie: Sandra Küpper
Mit: Marina Galic, Lisa Hagmeister, Peter Jordan, Daniel Lommatzsch, Thomas Niehaus, Bärbel Schwarz, Cathérine Seifert, Alexander Simon und André Szymanski
Premiere war am 25. Oktober 2014
Weitere Termine: 15. + 16. 11. / 4., 13., 25. 12. 2014 / 14. 1. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.thalia-theater.de/
Post an Stefan Bock
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