Oberender und die Autoren
Wer schreibt, bleibt.
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Thomas Oberender, der sich als Intendant nicht weniger profilieren muss als ein Autor oder ein Regisseur, hat vor einiger Zeit im Deutschlandradio eine seiner zahlreichen apodiktischen Behauptungen in die Welt gesetzt: „Heute sind diese Institutionen Orte, in denen Autoren arbeiten, und diese Autoren nennen sich Regisseure.“ Und weil Oberender offenbar die Autorität zugebilligt wird, die er den Autoren im überlieferten Verständnis abspricht, wird dieser Satz überall wiederholt.
Welche Institutionen er genau meint, hat der Berliner Festspielchef nicht ausgeführt. Das deutsche Theater kann es nicht sein. Denn dort wird nach wie vor (auch) Euripides und Shakespeare gespielt, Schiller und Kleist, Ibsen und Tschechow, Horváth und Handke – allesamt Autoren, die, jedenfalls heute, nicht als Regisseure an irgendwelchen Institutionen arbeiten. She She Pop hat Dürrenmatt oder Dea Loher ebenso wenig beseitigt wie Lady Gaga die Rolling Stones.
Der langjährige Leiter des Verlags der Autoren Karlheinz Braun hat auf nachtkritik.de, freilich mit entgegengesetzter Wertung, also nicht triumphal, sondern bedauernd, in die gleiche Kerbe geschlagen, wenn er erklärte, "dass die Autoren oft nur noch St・kvorlagen schreiben, weil sie wissen, dass die Regisseure daraus nur ihre eigenen Stücke realisieren, und wer gibt sich schon dafür her?".
Nun gibt es gute Gründe, die Verdrängung von Autoren durch Regisseure zu beklagen. Nicht etwa, weil Veränderungen auf dem Theater nicht zulässig wären. Sondern weil diese Regisseure in den allermeisten Fällen ihre Fähigkeiten grandios überschätzen. Sie sind leider keine Autoren, und oft sind sie nicht einmal gute Regisseure. Niemand hat Probleme damit, die Regisseure Molière, Nestroy, Brecht, Kantor, Tabori, Mnouchkine, Pollesch als Autoren anzuerkennen (und umgekehrt). Aber die Hochstapler, die Oberender zu Autoren hochstilisiert, sind Amateure, die ihre Unfähigkeit, sich mit einem begabteren Autor intellektuell und schöpferisch auseinanderzusetzen, hinter eigener Laientätigkeit verbergen. Sie gleichen dem Stammtischredner, der sich für einen Politiker hält, wenn er die Regierung kritisiert oder lobt.
Zum Glück schreiben Autorinnen und Autoren, die diesen Namen verdienen, an Oberender vorbei weiterhin Stücke und nicht nur, wie Brauns begründeter Pessimismus befürchtet, nur noch Stückvorlagen. Sie heißen Jelinek und Walser, Turrini und Mitterer, Hürlimann und Bärfuß, Stockmann und Schimmelpfennig, Setz und Palmetshofer, Schmalz und Arzt, Hübner und Mayenburg, Pohl und Köck, Steinbuch und Rinke, und aus dem nicht-deutschsprachigen Ausland kommen noch jede Menge hinzu. Und wer alt genug ist, erfahren zu haben, dass die kulturellen Entwicklungen nicht geradlinig sind, darf zuversichtlich sein, dass Autoren, die sich Autoren nennen, einen Schwätzer überleben werden, der sich Intendant nennt.
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Thomas Rothschild - 3. November 2019 ID 11782
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