Heil Hinkel!
JOHN GABRIEL BORKMAN - Deutsches Schauspielhaus Hamburg
|
|
Bewertung:
Der Hang zum Größenwahn ist der Figur John Gabriel Borkman aus Hendrik Ibsens gleichnamigen Drama über einen gescheiterten Banker, der Gelder seiner Kunden veruntreut hatte, um damit im großen Stil zu spekulieren, mit Sicherheit eingeschrieben. Ibsen orientierte sich an einem ähnlichen Fall in der norwegischen Gesellschaft seiner Zeit sowie an Nietzsches Schriften zum Übermenschen und dem Willen zur Macht. Das sieht man nun auch der Inszenierung von THEATERETREFFEN-Liebling Karin Henkel an. Bereits zum fünften Mal hintereinander ist die Regisseurin nach Berlin eingeladen. Ihre Arbeiten geraten ihr dabei mal ernst, mal eher heiter, besser oder schlechter, ganz nach der jeweiligen Inszenierungsidee. Momentan hat es Karin Henkel mit Masken, und nach der Verwechslungskomödie Amphitryon und sein Doppelgänger aus dem letzten Jahr ist sie auch in der aktuellen Ausgabe der Leistungsschau deutschsprachiger Theater für die gute Unterhaltung zuständig.
Und das, trotzdem die Bühne in ihrer Mischung aus nordischer Weihehalle und Gruft eher eine düstere Ästhetik ausstrahlt: Eine massive Treppe führt in dem dunklen, sich nach hinter verjüngenden Bühnenkasten zu einem altarartigen Bett. Das Lager des nach fünf Jahren Haft und weiteren acht Jahren der freiwilligen Isolation vor sich hin brütenden Borkman, der in der massiven Gestalt von Josef Ostendorf allgegenwärtig ist, sich die Stufen rauf und runter schleppt und die Wände bekritzelt. Man lebt hier in der Vergangenheit, in einem Bunker mit zugemauerten Fenstern, in dem es der Frau Borkmans Gunhild zu kalt ist und ihrer Schwester und ehemaligen Geliebten Borkmans Ella die Luft zum Atmen fehlt. Beide sind in schönster Hassliebe vereint und kämpfen, nachdem sie früher oder später ihre Liebe zu Borkman verloren haben, nun um die des Sohnes Erhart.
Karin Henkel macht daraus mit ihren herausragenden Schauspielerinnen Julia Wieninger als Gunhild und Lina Beckman (die im Anschluss völlig zurecht für ihre Darstellung mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet wurde) als Ella einen verbalen und körperlichen Schlagabtausch zweier verflossener Diven auf großer Showtreppe, der in einem urkomischen Tauziehen an den Pulloverärmeln des um seine Unabhängig ringenden, doppelten Muttersöhnchens Erhart (Jan-Peter Kampwirth) - „Ich will leben!” - kulminiert. Nachdem die Jugend mit der lebensbejahenden Fanny Wilton (Kate Strong) - „Ich kann das Glück doch nicht einfach wegschicken, nur weil es zu spät gekommen ist.“ - auf und davon ist, beschwören und bewachen die beiden Kontrahentinnen gemeinsam gleich schwarzer Witwen den sterbenden Borgman.
Die eigentliche Hauptperson tritt bei dieser stark auf Klamotte gebürsteten Inszenierung fast schon etwas zu weit in den Hintergrund. Der alte Borgman träumt davon, seine Rehabilitierung aus eigener Kraft zu schaffen, noch größer als zuvor zu werden, und versucht dazu Verbündete um sich zu scharen. Das gerät ihm aber eher zum grotesken Trauerspiel. Die Jugend mit Sohn Erhart und der jungen Frida (Gala Winter) hat andere Pläne, und selbst der verträumte Schmierendichter Foldal (Mathias Bundschuh) lässt sich nicht mehr einspannen. Borkman stampft mit den Füßen, das es dröhnt, die Schwestern belauern ihn und sich mit der Axt. Es wird viel gebuhlt, georgelt und auch mal sakral gesungen. Lauter bigotte Hirngespinste von untoten Vampiren, die sich gegenseitig aussaugen, nach Jugend gieren und doch keine Erlösung finden können. An eine Wiederauferstehung ist hier nicht zu denken. Und auch als aktueller Beitrag zur Finanzkrise taugt Ibsens alte Schmonzette nur bedingt.
Die Inszenierung lebt im Grunde nur durch den überdrehten Witz und das überzeugende Spiel der DarstellerInnen, die sich diesem durchweg ironischen Konzept mit großer Lust ausliefern. Es wirkt dabei fast schon wie eine Persiflage auf den überwältigenden Borkman-Marathon des norwegischen Ibsenzertrümmerers und Praterbesetzers Vergard Vinge, der damit 2012 zum THEATERTREFFEN eingeladen war. Auch er spielte in seiner 12stündigen Ibsen-Horrorshow deutlich mit der Ironisierung faschistoider Elemente. Und es ist nach den ferngesteuerten Maskenpuppen aus Susanne Kennedys Fassbinderadaption Warum läuft Herr R. Amok? schon der zweite Bezug zum ästhetischen Kunstschockexperten beim diesjährigen THEATERTREFFEN. Der Mann macht also Schule und kommt so durch die Hintertür der ironischen Rezeption wieder auf die großen Bühnen der Stadttheater zurück.
|
John Gabriel Borkman | (C) Deutsches Schauspielhaus Hamburg
|
Stefan Bock - 10. Mai 2015 ID 8633
JOHN GABRIEL BORKMAN (Haus der Berliner Festspiele, 09.05.2015)
Regie: Karin Henkel
Bühne: Katrin Nottrodt
Kostüme: Nina von Mechow
Musik: Arvild J. Baud
Licht: Annette Ter Meulen
Dramaturgie: Sybille Meier
Besetzung:
John Gabriel Borkman ... Josef Ostendorf
Gunhild Borkman ... Julia Wieninger
Erhart Borkman ... Jan-Peter Kampwirth
Ella Rentheim ... Lina Beckmann
Fanny Wilton ... Kate Strong
Vilhelm Foldal ... Matthias Bundschuh
Frida Foldal ... Gala Winter
Premiere am Deutschen Schauspielhaus Hamburg war am 21. September 2014
THEATERTREFFEN-Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses Hamburg
Weitere Infos siehe auch: http://www.theatertreffen.de
Post an Stefan Bock
blog.theater-nachtgedanken.de
THEATERTREFFEN
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|