56. Berliner Theatertreffen
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BURGTHEATER WIEN
mit HOTEL STRINDBERG
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Bewertung:
Es ist mal wieder soweit. Seit dem 3. Mai läuft die 56. Ausgabe des Berliner Theatertreffens. Bis zum 20. Mai gibt es nun wie immer die Auswahl der zehn von der 7köpfigen Theatertreffen-Jury für besonders bemerkenswert erachteten Inszenierungen aus dem deutschsprachigen Raum zu sehen. Wie immer zu wenig Provinz und zu wenig Osten, obwohl das Staatsschauspiel Dresden gleich mit zwei Inszenierungen von Sebastian Hartmann (Erniedrigte und Beleidigte) und Ulrich Rasche (Das große Heft) eingeladen ist. Die Metropolen Berlin (dreimal), München (einmal), Wien (einmal) und Zürich (einmal) dominieren, je einmal Basel und Dortmund komplettieren die 10er-Auswahl. Was aber zum ebenfalls wiederholten Mal kritisiert wurde, ist die Unterrepräsentanz regieführender Frauen.
Dem entgegenzuwirken und ein Zeichen für den deutschsprachigen Theaterraum zu setzen, hat sich das Theatertreffen unter der Leitung von Yvonne Büdenhölzer entschlossen, ab 2020 für zunächst zwei Jahre eine 50prozentige Frauenquote bei der Auswahl einzuführen. Die Zahlen sprechen da für sich. Der Anteil der Regie-Frauen liegt unter 30 Prozent, was sich in der vorliegenden Auswahl mit zwei Regisseurinnen und einem überwiegend weiblich Regieteam auch zeigt. Noch dazu inszenieren die meisten Frauen auf den Neben- oder Studiobühnen. Die Aussage, das Theatertreffen spiegele ja nur die Realität wieder, greift da natürlich zu kurz. Die Jury wird aber genauer hinsehen müssen, um die gesetzte Maßgabe zu erfüllen und das wegweisende Zeichen, dass sich die Institution erhofft, auch setzen zu können. Ob dabei viele unken, die Kunst auf der Strecke bleibt oder die eingeladenen Regisseurinnen als reine Quoten-Frauen angesehen werden, wird sich dann ja zeigen. An Spannung und Diskussionspotenzial dürfte die getroffene Auswahl dabei sicher nicht verlieren.
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In diesem Jahr dürfen die Regie-Männer also nochmal ganz unbeschnitten ran. Den Anfang machte zur Eröffnung der australische Regisseur Simon Stone ausgerechnet mit einem ganz eigenen Stück nach Motiven des als Frauenhassers verschrienen schwedischen Dramatikers August Strindberg. Stone ist bekannt für seine Klassikermodernisierungen, bei denen er bisher berühmte Dramen von z.B. Ibsen oder Tschechow mit einem eigenen Text überschrieben hatte. Nach John Gabriel Borkman und Drei Schwestern ist er nun mit Hotel Strindberg zum dritten Mal beim Theatertreffen vertreten. Dazu fledderte Stone aber diesmal kein bestimmtes Stück von Strindberg, sondern orientierte sich lediglich an Figuren, immer wieder auftauchenden Themen und der Biografie des in Frauenfragen umstrittenen Schweden. Das Programmheft legt da kleine Spuren in Richtung Der Vater oder Gespenstersonate.
Strindberg thematisierte in seinen Dramen dominante Frauen, die ihren Männern das Leben schwer machen. Der Autor reagierte damit auf Schriften von Sigmund Freud zur Psychoanalyse und zum Sexualtrieb. Der beginnenden Befreiung der Frau stand er relativ ambivalent gegenüber. Damit dürfte er auch heute noch Befürworter haben. Der moderne Mann in der Zwickmühle zwischen Verlustangst und psychischer Überforderung durch die sich emanzipierende Frau. Mit Psychologie hat es Simon Stone dann aber doch nicht so. Seine Stücke gehen eher als well-made Boulevard durch. So auch hier.
Mit Burgtheaterstars wie Caroline Peters und Martin Wuttke hat der Regisseur auch zwei Mimen von Format, die als sich mit Lust dauerstreitendes Ehepaar Alfred und Charlotte den Abend beginnen dürfen und auch weiter dominieren. In dem dreistöckigen, zum Zuschauerraum hin verglasten Bühnenkasten von Alice Babidge, der mit mehreren möblierten Zimmern besagtes Hotel darstellt, ziehen die beiden ihre Kreise. Aber auch in den anderen Zimmern herrscht reges Treiben. Thea (Barbara Horvath) erzählt ihrem das Baby hütenden Mann Arthur (Max Rothbart) ihr Tinder-Sex-Abenteuer als Gute-Nacht-Geschichte, ein psychisch labiler Sohn (Simon Zagermann) leidet unter seiner dominanten Mutter (wieder Caroline Peters), die mit dem Mann (Michael Wächter) ihrer Tochter (Franziska Hackl) schläft, und der abgehalfterte Dramatiker Jakob (wieder Michael Wächter) vergewaltigt seine ihm die Scheidungspapiere bringende Frau Sylvie (Aenne Schwarz), was der durch rockige Livemusik unterstütze donnernde Schlusspunkt unter Teil eins ist.
Nachdem der Eiserne Vorhang nach der Pause wieder hochgeht, geht auch die Lust an der Qual, Zerstörung und Erniedrigung weiter, wobei das betrunkene Paar Alfred und Charlotte sich durch die Zimmer jagt. Roland Koch ist nun als wandelndes Faktotum und merkwürdiger Hotel-Concierge unterwegs. Das hat aber außer einigem Unterhaltungswert kaum echte Tiefe. Und als Charlotte ihrem Mann eröffnet, dass er nicht der Vater der gemeinsamen Tochter ist, kulminiert mit etwas Strindberg schon der zweite Teil des Abends, an dem nur noch interessant scheint, wie es nach der Pause weiter geht. Im Netflix-Serienformat zu arbeiten wirft man Stone nicht zum ersten Mal vor. Die Shortcuts, die er hier ineinander schneidet, sind dann auch ganz einer TV-Dramaturgie verpflichtet. „Es klingt prägnant, ist aber im Grunde nichtssagend und belanglos, nur heiße Luft.“ kräht hier auch ganz passend und fast schon selbstironisch der zynische Drehbuchautor und Fachmann fürs Triviale Alfred.
Dass Stone sein jammervolles männliches Personal im dritten Teil dann zunehmend mit Zeitsprüngen und Identitätsverschiebungen in den Strindberg’schen Wahnsinn treibt, ist zwar schöne Pointe, zu der es auch noch ein Wuttke-Solo als alternder Punk-Rockstar mit einem Iggy-Pop-Song gibt. Aber wirklich überzeugen kann das als post-patriarchale Hinterfragung von Strindbergs Werk oder feministische Reflexion des altbackenen Männerkanons nicht. Witziger Gender-Clash mit Strindberg geht auch anders, wie z.B. Nicolas Stemann mit seiner Münchner Vater-Inszenierung gezeigt hat.
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Hotel Strindberg durch das Burgtheater Wien | Foto (C) Sandra Then
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Stefan Bock - 7. Mai 2019 ID 11397
HOTEL STRINDBERG (Haus der Berliner Festspiele, 05.05.2019)
Regie: Simon Stone
Bühne und Kostüme: Alice Babidge
Licht: Michael Hofer
Dramaturgie: Klaus Missbach
Musik: Bernhard Moshammer
Mit: Franziska Hackl, Barbara Horvath, Roland Koch, Caroline Peters, Max Rothbart, Aenne Schwarz, Michael Wächter, Martin Wuttke und Simon Zagermann
Premiere im Akademietheater Wien war am 26. Januar 2018.
Koproduktion des Burgtheater Wien mit dem Theater Basel
Gastspiel zum 56. Berliner Theatertreffen
Weitere Infos siehe auch: https://www.burgtheater.at/de/
Post an Stefan Bock
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