Heimsuchung
im Homeland
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BND – Big data is watching you am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Bewertung:
Traue Niemand – die Letzten könnten die Ersten sein. Ob nun erfolgreiche Fernsehserien wie Homeland, die Jason Bourne-Kinoreihe oder Filme wie The Game (1997) – atemberaubende Verfolgungsjagden, Geheimdienste, Doppelagenten und eine grenzüberschreibetende totale Überwachung liegen als fiktionales Sujet sehr im Trend. Allzu weit hergeholt scheinen die Verschwörungstheorien dieser erfolgreichen US-amerikanischen Filme dann oft auch gar nicht. Schließlich sammeln auch in realen Kontexten Regierungen, Unternehmen und Individuen Informationen zu ihren Bürgern, politischen Gegnern und Verbrauchern und bewahren diese lange auf. Es werden insbesondere im digitalen Bereich unzählige Werkzeuge benutzt, um bestimmte Aktivitäten zu überwachen. Diese Verfolgung von Kommunikation kann unmittelbare und weitreichende Folgen haben.
Der Bonner Regisseur und Schauspieler Simon Solberg thematisiert nun in BND – Big data is watching you in den Bad Godesberger Kammerspielen die Arbeit des deutschen Geheimdienstes BND (Bundesnachrichtendienst). Dabei stellt er neben allerlei fiktionale Ideen reale Ereignisse wie den islamistischen Anschlag von Anis Amri auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche am 19. Dezember 2016.
Schieberegale voller Akten säumen das im Dunkel gehaltene Bühnenbild. Diese werden immer wieder verschoben und eröffnen so stets neue Raumansichten. Tim Francke (Benjamin Berger) bewirbt sich nach seinem Informatikabschluss beim Bundesnachrichtendienst. Er wird an seinem ersten Arbeitstag mit dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt konfrontiert. Der Attentäter Amri wurde bereits von Berliner Behörden überwacht. Francke soll Indizien auswerten und den Aufenthaltsort Amris bestimmen. Fortan steht er unter Zeitdruck, hat kaum eine ruhige Minute mehr und ist regelmäßig überfordert. Francke begibt sich an wechselnden Handlungsorten auf Spurensuche. Er gewinnt Einsicht in ein System, das die Privatsphäre des Einzelnen zur Kriminalitätsbekämpfung nicht mehr achtet.
Die Geschichte erscheint mal wie eine Dokumentation, mal wie eine Abenteuersafari, ist mal Thriller, Sozialstudie oder Satire. Mögliche reale Bezüge zu tatsächlichen Ereignissen um Amri und den IS werden durch Nachrichteneinspieler und Videoprojektionen regelmäßig angedeutet, bleiben jedoch diffus und abstrakt.
Die Monologe und Interaktionen der Figuren wirken überzogen, wenn etwa überfordert geschrien anstatt taktisch vorgegangen wird. Wie bereits in Die Leiden des jungen Werther überzeichnet Solberg seine Figuren ganz gerne durch übertriebene Gestik und Mimik. So werfen Francke und seine neuen Kollegen beim BND etwa haufenweise Chips unmittelbar vor ihren Gesichtern in die Luft, anstatt diese zum Mund zu führen. Natürlich darf auch das obligatorische kumpelhafte Feierabend-Bier nicht fehlen, das gleichfalls wiederholt angedeutet wird. Witze werden ausgereizt, und die Figuren wirken selten glaubhaft. Die Darsteller tragen viele komplexe Texte zur Überwachung als Mittel der Terrorbekämpfung vor. Doch die sich entwickelnde Handlung wirkt selten authentisch und meist allzu abgefahren und artifiziell.
Es gibt regelmäßig neue Verwicklungen, ohne dass sich die Charaktere nachvollziehbar entwickeln. Reale Machenschaften der Figuren bleiben bis zuletzt unklar, und es stellt sich mehrmals die Frage, ob dies von der Regie so beabsichtigt ist. Im Großen und Ganzen fabriziert Solberg also ein wüstes Sammelsurium an Verschwörungstheorien zum Überwachungsapparat des deutschen Staates. Die Inszenierung hinterlässt jedoch mit seiner unausgegorenen und bewusst überspitzten Geschichte wenig Eindruck. Natürlich ist die Nutzbarmachung von Daten schwierig, denn man kann selbige stets unterschiedlich auslegen oder beeinflussen. Trotzdem hätte man sich gerade beim aktuellen Thema der fehlenden Privatsphäre im Überwachungsstaat mehr Sensibilität insbesondere bei der Figurenentwicklung gewünscht.
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BND – Big data is watching you am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 3. Mai 2017 ID 10004
BND - BIG DATA IS WATCHING YOU (Kammerspiele Bad Godesberg, 27.04.2017)
Regie: Simon Solberg
Bühne: Ansgar Prüwer-LeMieux
Kostüm: Linda Tiebel
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Johanna Vater und Male Günther
Mit: Benjamin Berger, Wilhelm Eilers, Glenn Goltz, Lara Waldow und Manuel Zschunke sowie den Statisten Paul Campbell, René Fiegen, Helmut Schnause, Urte Seiffert und Goswin Spieß
Uraufführung am Theater Bonn: 27. April 2017
Weitere Termine: 06., 11., 19., 23.05. / 02., 14., 18., 24.06. / 08.07.2017
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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