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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Der Wert

des Lebens


ÜBER MEINE LEICHE
von Stefan Hornbach


Über meine Leiche am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Bewertung:    



Ein junger Mann, Mitte 20, schon immer unauffällig und stets Sorgenkind gewesen, wie die Mutter später berichten wird, steht unfassbar einer Diagnose gegenüber, die sein Leben schlagartig verändert. Ein Tumor, zunächst so groß wie eine Dattel, dann eher einer Grapefruit oder Faust - gleich macht es sich in seinem Innern gemütlich. Innerhalb kürzester Zeit gesellt sich ein zweiter hinzu. Während der Arzt versucht, sich mit einer äußerst skurrilen Form von Humor – Humor reimt sich auf Tumor, zum Totlachen! - vor einer aussagekräftigen Prognose in Hinblick auf Heilungschancen zu drücken, kämpft in Friedrich das absolute Gefühlschaos. Zur Hilfe kommt ihm seine ehemalige Schulkameradin Jana, die ihm auf ihre radikale Art so manchen Blickwechsel ermöglicht.

Stefan Hornbach, selbst ausgebildeter Schauspieler und als solcher auch tätig, wagt den Perspektivwechsel. Sein Theaterstück Über meine Leiche gewann den 1. Preis des Osnabrücker Dramatikerpreises 2015 und feierte als Voraufführung des Wiener Burgtheaters im Juni diesen Jahres bei den AUTORENTHEATERTAGEN in Berlin Premiere. Nun hatte die offizielle Uraufführung in Osnabrück stattgefunden, bei der sich Marlene Anna Schäfer für die Inszenierung verantwortlich zeichnete. Unterstützt wurde sie hierbei von der Dramaturgin Marie Senf und Christin Teunert, die mit ihrem Bühnenbild auf minimalistische Weise Großes geleistet hat.

Anfängliche Verwunderung und Neugier in Hinblick auf das Bühnenbild weicht alsbald der Erkenntnis, dass es sich um eine geradezu geniale Option der Darstellung der Gedankenwelt des Hauptprotagonisten handelt. Einer aufgefächerten Camera Obscura ähnlich, jedoch völlig überbelichtet und grell, entwirft die Kulisse ein (verzerrtes?!) Abbild der Realität um Friedrich. Momentaufnahmen begleiten den Erzählstrang und schmücken diese aus, eine Linearität ist hierbei nur zu erahnen, denn Friedrichs Welt steht im wahrsten Sinne des Wortes Kopf. Meisterhaft wird ein Rahmen für das komplexe Innenleben des jungen Mannes geschaffen – mal liegend, mal stehend durchlaufen die Darsteller diese Gedankenwelt, dabei immer wieder die Ebenen wild wechselnd. Gelegentlich erscheinen sie nur kurz am Rande als Gedankensplitter, die kurz angerissen, aber nicht wirklich greifbar werden. Die eingangs erwähnte Zitrusfrucht kommt ebenfalls in mehrfacher Hinsicht zum Einsatz, denn zum einen symbolisiert sie die Größe des Tumors, zum anderen liegt hier der Gedanke an ein Jugendsprichwort nahe: „Wenn das Leben dir Zitronen gibt...“

Zur Intensivierung der Skurrilität, die die Wahrnehmung des jungen Patienten beherrscht, präsentiert sich der Arzt (Oliver Meskendahl) als wahre Witzfigur, der die fachliche Seriosität zunehmend entgleitet. Mit Clownsnase und ungestüm gestikulierend reißt er seine Witze auf Kosten des Patienten, ohne ihm wirklich zur Seite zu stehen. Der lange Weg, den der junge Friedrich nach der Feststellung des Krebs auf sich nimmt, wird gekennzeichnet durch die eher kühle und wenig mitfühlende Mutter (Christina Dom), die schlichtweg mit der Situation überfordert scheint. Ein ständiges Zufügen und Ablegen von zusätzlicher Oberbekleidung zeugt von dem Wechsel der Jahreszeiten, die während des Krankheitsverlaufs vergehen. Gewohnt stark geben sowohl Meskendahl als auch Dom ihre Rollen, ohne die Hauptprotagonisten in den Hintergrund zu drängen.

So überzeugt Janosch Schulte auch in seiner zweiten Hauptrolle am Theater Osnabrück und beweist, dass er ein wahrer Gewinn für die Bühnenwelt ist. Fein nuancierte Mimik und Gestik lassen jede Gefühlswallung sichtbar werden. Hier spiegeln sich Leid und Verzweiflung, Hoffnung und Wut. Er spielt nicht nur den schicksalsgebeutelten jungen Mann, er IST Friedrich. Schulte zeigt sich in einem Moment von Krankheit gezeichnet, im nächsten Moment steht er dann unerwartet selbstbewusst für seine Position ein und fordert Respekt. Eine interessante Entwicklung ist zu beobachten, denn der junge Mann scheint trotz aller Widrigkeiten an seiner Situation zu wachsen. Hierbei steht im Thomas Halle zur Seite, der sein zukünftiges ICH gibt und dem Kranken immer wieder provokant, aber durchaus zweckdienlich den Spiegel vorhält.

Die ehemalige Mitschülerin Jana, gekonnt facettenreich gespielt von Marie Bauer, agiert als Antagonistin. Sie erscheint als überhebliche und selbstsichere junge Frau, die Ferdinand schon in Kindertagen Angst einflößte. Ein näherer Blick lässt diese Fassade jedoch bröckeln und zeigt, dass sie eine stark verunsicherte Person ist, die den Herausforderungen des Lebens nicht gewachsen ist. So pflegt sie eine gewisse Todessehnsucht aufgrund ihrer Hassliebe zu ihrem weltlichen Dasein, die sie aber nicht in die Tat umzusetzen vermag. Gerade dieser eigensinnige und schwierige Charakter ist es aber, der schließlich zu einer fruchtbaren Annäherung zwischen Friedrich und Jana führt. Neben zahlreichen konfliktgeladenen Begegnungen erkennen beide, was sie aneinander haben und richten sich gegenseitig auf, um ihren Schwierigkeiten zu entfliehen.

Über meine Leiche ist ein großes Stück Regietheater, das die Komplexität des Gefühlschaos eines vom Schicksal gebeutelten jungen Menschen pointiert und überaus sensibel zu fassen vermag. Mal sarkastisch, mal tragisch-komisch stellt sich die Frage nach einem korrekten Umgang mit der Diagnose. Wenngleich die Darstellung anrührend ist, erscheint sie geradezu unprätentiös und verzichtet auf pathetische Anwandlungen. Friedrich will kein Mitleid, er wünscht sich schlichtweg eine reelle Chance auf eine Zukunft. So beteuert er, dass er keine Angst vor dem Tod habe, sondern sich die Befürchtung manifestiere, etwas zu verpassen. Dieses Stück ist eine einzigartige Entdeckungsreise, dessen Ziel einzig und allein das Bewusstsein des Werts des Lebens ist – Prädikat wertvoll!




Über meine Leiche am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Sina-Christin Wilk - 30. Oktober 2016
ID 9648
ÜBER MEINE LEICHE (emma-theater, 29.10.2016)
Inszenierung: Marlene Anna Schäfer
Bühne/Kostüme: Christin Treunert
Dramaturgie: Marie Senf
Mit: Marie Bauer, Christina Dom, Thomas Halle, Oliver Meskendahl und
Janosch Schulte
Uraufführung am Theater Osnabrück war am 29. Oktober 2016
Weitere Termine: 2., 10., 18., 26. 11. / 1., 6., 16., 18., 20. 12. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de


Post an Sina-Christin Wilk

scriptura-novitas.de

Uraufführungen



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