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nachDRUCK # 6

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Uraufführung

Es gibt keine

Gerechtigkeit



Lydia Stäubli in Chronik eines torkelnden Planeten am Theater Bonn - Foto (C) Thilo Beu

Bewertung:    



Ein Gespinst an Assoziationswegen eröffnet bereits das Bühnenbild (Bühne: Mascha Mazur). Aufgehäufte Kleiderberge erinnern an Massenermordungen in Konzentrationslagern der NS-Diktatur, ähnlich bedrückend etwa wie die integrierten Kleiderberge im Bühnenbild von Thomas Dannemanns Warten auf Godot-Inszenierung 2011 am Schauspiel Köln.

Auch Patrick Wengenroths Uraufführung seiner frechen Revue Chronik eines torkelnden Planeten am Theater Bonn lebt vom spannungsvollen Zusammenspiel vielschichtiger Texte mit anspielungsreichen Bildern. Wengenroths Collage lässt 100 Jahre deutsche Zeitgeschichte mit einer Fülle an Querverweisen Revue passieren. Während auf der Bühne Suppe gekocht wird oder traurige Clowns auf Kleiderhaufen Purzelbäume schlagen, tragen die Darsteller zugleich Auszüge aus einer Vielzahl an Werken von Ödön von Horváth über Golo Mann bis hin zu Christoph Schlingensief und Günter Wallraff vor. In Anlehnung an diese Werke stellen sich die Figuren philosophische Grundsatzfragen des Lebens und der Ängste und Nöte der heutigen Epoche: Ist es etwa ehrenvoll, wenn Soldaten ihren Kriegsdienst als Lebenserfüllung und Lebensaufgabe empfinden? Während sich an dieser Frage offensichtlich die Geister scheiden, erteilen die Figuren auf der Bühne einer anderer Frage - nämlich jener, ob es eine Gerechtigkeit im Leben gibt – eine klare Absage: Nein, die gibt es nicht. Im Zusammenhang mit dieser Frage provoziert Wengenroths Revue bewusst. Natürlich gibt es seit Anbeginn der Menschheit Unrecht, doch seither gibt es auch menschliches Bemühen um Gerechtigkeit und Definitionen von Recht.

Bereits die kokette Eröffnung des Abends von Darstellerin Lydia Stäubli stimmt auf ein streitbares und gewagtes Theatererlebnis ein. Denn zu Beginn der Vorführung beklagt Stäubli ihre Reibereien mit Autor und Regisseur Wengenroth und warnt die Zuschauer, es werde auf der Bühne neben Theaterrauch, Schlagergesang auch allerlei anderes Unschönes geben, das sie zu verhindern versuchte. Sie oder die von ihr dargestellte Figur hofft, die Zuschauer als Verbündete zu gewinnen, die jetzt zusammen mit ihr den Theaterabend durchstehen – denn der Regisseur sei ja mit den 40 Kilogramm Büchern, die er seiner Inszenierung zugrunde legte, wieder abgereist und sitze nun in Berlin wahrscheinlich betrunken vor der Glotze. Die im Programmheft angekündigten zwei Stunden Vorführungszeit stimmen leider auch nicht, erklärt Stäubli, es seien ganze acht (!) - zum Glück gibt es dann doch nur eine dreieinhalbstündige Revue, die von ungewöhnlichen, oft auch grotesken Einfällen nur so strotzt.

Johannes Mittl begleitet beschwingt mit sanftem Gesang und stimmungsvollen Klavierspiel-Performances der Figuren, welche etwa Lieder von Anna Depenbusch über Bettina Wegner bis hin zu der Band Die Türen meist in geänderten Fassungen vortragen (musikalische Leitung & Arrangements: Matze Kloppe). Während die Songs noch von eingängigen Refrains und poetischen Momenten leben, nimmt die Revue ungeahnte Komplexität an, wenn Ulrike Meinhof (Ursula Grossenbacher) und Angela Merkel (Glenn Goltz) einander im fiktiven Dialog begegnen. Doch Themenkomplexe werden oft nur angerissen, und die Hintergründe des Grundsatzgesprächs müssen sich die Zuschauer selbst erschließen. Etwas langatmig und vergeistigt mutet schließlich ein Interview an, das ein Reporter (Samuel Braun) mit Hannah Arendt (Grossenbacher) führt. Nachdem er die beiden mehrfach joggend umrundet hat, wirft Goltz schließlich in der Rolle des Clowns auf dem Klavier aufgereihte Schokoküsse in eine Plastiktüte und reicht alleine mir davon einen. Da meine Sitznachbarn den Schokokuss nicht haben wollte und er sich sonst in meinen Fingern schmilzend aufgelöst hätte, esse ich ihn, und meine Schmatzgeräusche werden hörbar, während sich Braun als Bühnenpoet in einer Hymne an die Liebe ergeht. Auf den Rücken des vornüber gebeugten Braun setzt sich schließlich Stäubli, während sie temporeich die Sinnhaftigkeit menschlicher Gefühle hinterfragt.

In Chronik eines torkelnden Planeten werden Dingen bildhaft neue Bedeutungen verliehen und Bedeutungen in Frage gestellt. Insgesamt ein geist- und anspielungsreicher Abend, nach dem einigen Besuchern noch lange der Kopf rauchen dürfte.



Samuel Braun in Chronik eines torkelnden Planeten am Theater Bonn - Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 20. März 2015
ID 8516
CHRONIK EINES TORKELNDEN PLANETEN (Theater Bonn, 14.03.2015)
Regie: Patrick Wengenroth
Bühne & Kostüme: Mascha Mazur
Musikalische Leitung & Arrangements: Matze Kloppe
Licht: Lothar Krüger
Dramaturgie: Nina Steinhilber
Mit: Samuel Braun, Glenn Goltz, Ursula Grossenbacher, Andrej Kaminsky, Lydia Stäubli und Johannes Mittl (Musiker)
Premiere war am 8. Februar 2015
Weitere Termine: 8., 30. 4. 2015

Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de

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