Der Roman Revolutionary Road des US-amerikanischen Autors Richard Yates (Bühnenfassung: Enrico Lübbe) am Schauspiel Leipzig
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Zeiten des Aufruhrs am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Bewertung:
Zeiten des Aufruhrs - das klingt zunächst ziemlich groß.
Doch die Revolutionary Road, wie der Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Richard Yates im Original heißt, führt schnell und geradlinig in die Hölle der kleinbürgerlichen Vororte (Suburbias) von New York und macht auch keinen Hehl aus der Tristesse der Scheinidylle von grünen Vorgärten und schmucken Häuschen mit leicht individuellem Touch. Sie ist dem Regisseur und Leipziger Intendanten Enrico Lübbe, der nun stolz die erste Bühnenfassung des Romans am dortigen Schauspiel präsentiert, nicht einmal als Kulisse gut. Die leere Bühne zeigt nur ein riesiges Reklameschild, das ein Glück vom Häuschen im Grünen verheißt, inklusive billiger Zugfahrpreise. Nicht nur ein rein amerikanischer Traum der dortigen Mittelschicht, auch in Deutschland geht der Trend seit langem zum Arbeiten in der Stadt und Leben auf dem Land.
Das musste man aber selbst Mitte der 1950er Jahre schon ernsthaft wollen.
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Zeiten des Aufruhrs am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Die Wheelers (ein junges Paar mit erstem Kind und Abschlüssen an der Columbia-Universität in der Tasche) wollen hier nur kurz Atem schöpfen vorm ganz großen Durchstarten, vorzugsweise im alten Europa. Das dafür notwendige Geld verdient Frank Wheeler (Felix Axel Preißler) in einer Büromaschinenfirma in New York, in der schon sein Vater kurz vor einer hoffnungsvollen Karriere stand, die dann aber doch nie starteten wollte. Frank trägt sozusagen die Träume seines alten Herrn auf, ohne auch nur entfernt vorzuhaben, in dessen Fußstapfen zu treten. Es ist ein Job, der ihn nicht interessiert. Hier wird nur schnödes Anschauungsmaterial für den Verkauf gefertigt. Das Gehirn, so sagt er, gibt man in den Bürotowern von New York vorzugsweise am Empfang ab.
Franks Frau April (Anja Schneider) hat eher künstlerische Ambitionen. Mit ihrem Mann und einer elenden Vorstadtlaienspieltruppe strandet ihr Talent an der Revolutionary Road. Hier grassiert der Virus des Scheiterns. Für den durchschlagenden Erfolg am Broadway reicht es dann wohl doch nicht aus. Ihr neues Projekt sind die mittlerweile zwei Kinder und Ehemann Frank, dem sie kurz entschlossen vorschlägt, sich Zeit zur Selbstfindung in Paris zu nehmen. Für den Lebensunterhalt will April nun ihrerseits in einem Bürojob sorgen. Der gar nicht so besonders ehrgeizige Frank muss dazu allerdings erst mit ein paar Drinks an seinem Geburtstag überredet werden, eher er ganz Feuer und Flamme auf den Tisch steigt.
Getrunken und geraucht wird hier viel. Man kennt das aus Fernsehserien wie Mad Men. Der Stil der Kostüme und Accessoires atmet ebenfalls dieses Flair. Als sparsame Requisiten dienen jedoch lediglich massenweise Flaschen und Gläser und ein paar Tische und Stühle, die Franks Büro bilden, oder die zum heimischen Esstisch zusammengeschoben werden. Was man nicht sieht, wird erzählt, bevorzugt an der Rampe, mal allein und mal mit dem ganzen Vorstadtpersonal. Zwischen den einzelnen Szenen geht bedeutungsvoll der Eiserne Vorhang rauf und runter. Dazu erklingt eine leicht melancholische Fahrstuhlmusik von Bert Wrede. Die hatte früher auch schon mal mehr Energie. Das alles erzeugt wenig Furor und legt sich mit der Zeit bleiern über die Inszenierung, die im dauernden Erzählstrom versandet. Kein Aufruhr nirgends, nicht mal im dahinrieselnden Stundenglas. Es zieht sich spürbar (Dauer: 3:40 h).
Die direkte Kommunikation erschöpft sich in kurzen Gesprächen mit Franks Arbeitskollegen Jack (sonst unter dem Tisch liegend: Hartmut Neuber), der Sekretärin Maureen (Runa Pernoda Schaefer, auch mal auf dem Tisch), mit der Frank ein kurzes Verhältnis hat, und bei Abenden mit dem befreundeten Nachbarspaar Milly (Anne Cathrin Buhtz) und Shep Campbell (Wenzel Banneyer). Sie hat sich mit vier Kindern schon mehr oder weniger ihrem Vorstadtschicksal ergeben; er ist ein Meister im Verdrängen seiner Gedanken. Ansonsten hält man Smalltalk. Worüber Yates als guter Beobachter nüchtern und genauestens berichtet, lässt Lübbe nebenbei aufsagen.
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Zeiten des Aufruhrs am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Einer eher intuitiv zusammengeschusterten Werbebroschüre hat es Frank dann doch zu verdanken, dass sein Chef (Matthias Hummitzsch) auf ihn aufmerksam wird, und ihm eine Aufstiegsmöglichkeit im nun in rechnergestützte Datenverarbeitung investierenden Unternehmen anbietet. Ein drittes Kind räumt Frank die Möglichkeit ein, die Pläne mit Paris nochmal zu überdenken. Ein Streit über eine von April geplante illegale Abtreibung lässt ihn sogar kurzzeitig als Sieger zurück. Frank trägt aber nicht allein nur die gemeinsamen Träume zu Grabe, er schaufelt auch ungewollt am Familiengrab. April wird bei dem Versuch, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen, verbluten.
Höhepunkt der Vorlage wie der Inszenierung sind die Auftritte des als geisteskrank geltenden ehemaligen Hochschullehrers John Givings (Michael Pempelforth). Seine Mutter, die Immobilienmaklerin Mrs Givings (Jutta Richter-Haaser), hat ein Händchen für Häuser und die Angewohnheit viel nichts zusagen. Wo sie ihren Klappstuhl aufstellt, steht ihre Klappe nicht mehr still. Mr. Givings (Andreas Herrmann) zieht es vor, das Hörgerät auszuschalten. John Givings verfügt über die Gabe eines sicheren Seismographen für Lebenslügen, die er vor allem Frank ungefragt um die Ohren haut. Er wirkt wie ein Katalysator für das Einstürzen des Weehler'schen Lügengebäudes. Das über der Bühne hängende Werbeschild fällt daraufhin aus seinen Angeln, und die Schauspieler stellen in einem surrealen Traum mit riesigen Pappköpfen Szenen aus Aprils Kindheit dar. Auch ein Verweis auf die Vorwürfe Franks, sie sei emotional gestört.
Wer die Verfilmung von Sam Mendes aus dem Jahre 2008 mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio kennt, wird hier so einiges wiederentdecken. Nur dass der Film wesentlich interessanter gebaut ist. Felix Axel Preißler verliert sich zunehmend im Nachahmen des berühmten Kinohelden, und Anja Schneider (mit Armin Petras vom Maxim Gorki Theater letztes Jahr nach Stuttgart gegangen) hat man noch nie so alleingelassen auf der Bühne gesehen. Das ist traurig und nicht nur allein dem Plot geschuldet. Hier opfert eine Frau ihr Leben für einen Mann, der das offensichtlich nicht verdient. Es stellt sich heraus, dass man sich nie wirklich gekannt hat. Sein Wunsch nach Normalität mündet im sicheren Vorstadtalltag. Ihre Illusionen enden tödlich. Enrico Lübbe übersetzt das in gediegene Betriebsroutine. So eignet sich die Inszenierung weder für eine feministische Aussage noch für eine tiefgreifende heutige Gesellschaftskritik.
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Zeiten des Aufruhrs am Schauspiel Leipzig - Foto (C) Rolf Arnold
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Man ahnt zumindest, dass Enrico Lübbe mit seiner historisierenden Inszenierung auch in diese Richtung denkt. Eine erste Übersetzung des Romans ins Deutsche erschien in den 1970er Jahren unter dem Titel Das Jahr der leeren Träume in der DDR. Eine Zeit, die in der Bundesrepublik durch das Ende der Träume der 68-Revolte geprägt war. Man zog sich ins Private zurück. Zurzeit erlebt die Gesellschaft einen vergleichbaren konservativen Rollback. Die traditionelle Rollenverteilung ist wieder im Kommen. Für diese revolutionäre Erkenntnis muss man aber nicht erst ins Theater gehen.
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Stefan Bock - 8. Dezember 2014 ID 8310
ZEITEN DES AUFRUHRS (Schauspiel Leipzig, 06.12.2014)
Regie: Enrico Lübbe
Bühne: Raimund Orfeo Voigt
Kostüme: Bianca Deigner
Musik: Bert Wrede
Dramaturgie: Torsten Buß, Alexander Elsner
Licht: Carsten Rüger
Mit: Wenzel Banneyer, Anne Cathrin Buhtz, Andreas Herrmann, Matthias Hummitzsch, Hartmut Neuber, Michael Pempelforth, Felix Axel Preißler, Jutta Richter-Haaser, Runa Pernoda Schaefer und Anja Schneider
Uraufführung war am 6. Dezember 2014
Weitere Termine: 10. + 27. 12. 2014 / 18. 1., 13. + 20. 2., 14. 3., 5. 4., 20. 6. 2015
Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspiel-leipzig.de/
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