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Gott glaubt -

nicht...

#GENESIS von Yael Ronen


Bewertung:    



„Gott glaubt nicht, er ist!“ stellt Damian Rebgetz schon ganz zu Beginn fest, als er mit einer ebenso fulminanten wie selbstironischen Publikumsbeschimpfung vor einem eisernen Vorhang auf den Abend einstimmt – und auf einen Abschied. Das war im Oktober 2018. Geendet hatte das Experiment Lilienthal, sein Theater hat es nicht geschafft, in München einen Paradiesgarten einzurichten oder gar so etwas wie Religionsersatz zu werden: „Wenn Gott die Ursache von allem ist, dann auch von meinen Problemen.“ Um aber die und sich selbst zu verstehen, muss man sich fragen, woher man kommt, meint seine beiseite stehende Kollegin Wiebke Puls (später eine superblonde Eva), und los geht’s. #Genesis, a starting point...

*

Die Szene öffnet sich zu einem wundervollen Bühnenbild. Zwei Lichtkreise. Riesige Scheiben. Die eine liegt, die andere steht. Aus der Ferne wirken sie wie ein aufgeklappter Taschenspiegel. Was unten passiert, ist gleichzeitig von oben sichtbar, quasi aus der Sicht Gottes, der später seinen Auftritt haben wird. Doch erst mal kommt ein Spermium geschwommen. Es ist die Antwort auf die Frage, warum wir alle so scharf sind auf Schöpfungsmythen, warum wir so sehr auf Anfängen herumreiten wie dieser Abend. Weil wir daran nämlich keine Erinnerung haben. Unser Leben fängt sozusagen ohne uns an!

Die Genesis. Im Anfang war die Urschlange (Daniel Lommatzsch, elegant). Sie fühlt sich wie Gott, ohne Anfang und ohne Ende, wenn sie sich in den eigenen Schwanz beißt. Ein erstrebenswerter Zustand? Nicht unbedingt, meint sie. Sie kennt Gott schon zu lange. Ein Einsamer, daher sein Schaffensdrang. Hat nicht mal ein Zuhause, weil er schon immer überall ist. Dabei ein alleinerziehender Vater. Warum aber haben Adam und Eva keine Mutter? Ist Gott ein männliches Seepferdchen, das seinen Nachwuchs zeugt und austrägt? Er soll ja mal verliebt gewesen sein, in eine Göttin, sehr sinnlich. Bei der war klar, dass sie nicht lange in einer monotheistischen Beziehung bleiben würde. Und Gottvater, eifersüchtig und ein bisschen steif, duldete schon damals keine Götter neben sich. Hat sich lieber gleich das Sorgerecht für die ganze Menschheit geben lassen.

Oder wollte er vielleicht nicht zugeben, dass er in Wahrheit schwul ist, so wie sein Sohn Adam (Damian Rebgetz, hinreißend komisch)? Wie auch immer, die Frau, die Mutter ist weg. Adam und Eva, Lilith (Zeynep Bozbay, saugrob und furienwild) und die Schlange rätseln. Derweil beklagt sich Gott (Samouil Stoyanov, donnernd) über den Undank seiner Kreaturen: „Wer kriegt schon ein Paradies geschenkt?“ Raus mit der undankbaren Bagage. Jetzt hat Kain (Jeff Wilbusch, cool jugendlich) Migrationshintergrund und kommt aus einer kaputten Familie! Kein Wunder, dass er zum ersten Sozialfall wird. Gott aber steht darüber: „Ich bin alles, das Gute und das Böse.“ Und der Vollkommene befindet ganz nebenbei: „Das Böse hat einen zu schlechten Ruf." Was Kain auch nicht weiter hilft: Father, can you hear me?????

Eine vor allem dank des Bühnenbildes visuell überwältigende Performance, deren anspruchsvolles Thema von seiten der Figuren mit viel Humor und Witz gebrochen wird. Das gelingt nicht immer. Doch diese Aufführung überzeugt stets, wenn sie die Schauspieler stumm einfügt in phantastische Tableaus, Spiegelungen, Projektionen. Wenn sie ganz Bild ist. Die Erhabenheit der Schöpfung braucht keine Worte.

Die israelische Regisseurin Yael Ronen lässt reden und räsonnieren, plappern und palavern von Gott und der Welt, von Macht und Mythos. Dabei geht es ihr wie so oft in ihren Arbeiten um Paarbeziehungen und Geschlechterrollen. Und sie wird ihrem Ruf gerecht, eine der lustigsten Frauen im deutschsprachigen Theater zu sein. Typisch für sie, dass sie auch diesen Text während der Proben zusammen mit ihren Darstellern erarbeitet hat. Realität und Fiktion mischen sich. So ereignen sich ergreifende Momente, wenn die Schauspieler ihre Suche nach dem Ursprung und dem Vaterprinzip mit persönlichen Erlebnissen verbinden. Wiebke, in einen Pfarrhaushalt hineingeboren, hatte Gottvater zu Hause. Wann fand die Ablösung statt? Wie ist sie verlaufen? Kann man sich einander wieder annähern? Aber ja: Knockin' on heaven's door...

* *

Wir haben es derzeit übrigens auch gut. Wir brauchen an keine Türe zu klopfen, keine Klinke in die Hand zu nehmen, wenn wir trotz Corona besondere Theateraufführungen sehen wollen. Jeden Abend ab 18 Uhr stellen die Münchner Kammerspiele eine ihrer Aufführugen für 24 Stunden online. On demand. Danke, das ist toll!



Bildquelle: muenchner-kammerspiele.de

Petra Herrmann - 21. März 2020
ID 12100
#GENESIS (Kammer 4)
Mit: Zeynep Bozbay, Daniel Lommatzsch, Wiebke Puls, Damian Rebgetz, Samouil Stoyanov und Jeff Wilbusch
Künstlerische Mitarbeit: Niels Bormann
Video: Stefano di Buduo
Inszenierung: Yael Ronen
Bühne: Wolfgang Menardi
Licht: Jürgen Tulzer
Musik: Yaniv Fridel, Ofer (OJ) Shabi
Kostüme: Amit Epstein
Dramaturgie: Johanna Höhmann
Premiere an den Münchner Kammerspielen: 28. Oktober 2018
Stream v. 20.03.2020
Kamera und Schnitt: Susanne Steinmaßl


Weitere Infos siehe auch: https://www.muenchner-kammerspiele.de/


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