Nachts allein im Theater
Antú Romero Nunes zeigt einen ins Internet gestellten Probenfilm als Prolog zu seiner Inszenierung ODE AN DIE FREIHEIT nach Friedrich Schiller am Thalia Theater Hamburg
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Bewertung:
Auch das gibt es noch in Zeiten von Corona. Das Thalia Theater Hamburg feierte am Samstag eine Premiere. Allerdings fand diese nicht live im Theater statt, sondern wurde als eigens gedrehter Film online präsentiert. Hausregisseur Antú Romero Nunes hat sich nach dem Schließen der Theater vor ein paar Wochen entschlossen, bei den Proben filmen zu lassen und das Ergebnis als Ersten Teil [Maria Stuart] seines Ode an die Freiheit genannten Triptychons nach Friedrich Schillers Dramen ins Internet gestellt. Statt eines abgefilmten Stücks Theater, das uns nun zumeist als Ersatz oder neue digitale Form die Abstinenz vom Live-Genuss vergessen machen will, ist hier also mehr ein filmischer Versuch über die Entstehung von Theater.
Ein Fest für zwei großartige und langgediente Thalia-Schauspielerinnen: Barbara Nüsse als Elisabeth, Königin von England und Karin Neuhäuser als deren schottische Widersacherin Maria Stuart. Schillers Trauerspiel ist eines seiner meistgespielten Dramen. Ein ungleiches Duell um Macht, Angst vor Machtverlust und Intrigenschauspiel, ein Lehrstück über Schillers ästhetische Ansichten von individueller Freiheit, Moral und politischen Zwängen. Ganz so streng wie bei Schiller geht es dann aber nicht zu. Der Blick hinter die Kulissen führt zunächst in die Garderobe, in der die beiden routinierten Darstellerinnen sich selbst schminken und frisieren. Dabei deklamieren sie schon Schillers Verse, kommentieren aber auch ihre Vorbereitungen. Hohe klassische Verse mischen sich mit den alltäglichen Verrichtungen des Theaterbetriebs. Etwas Normalität in der Krise, die zwar noch keine politische, aber doch eine die individuelle Freiheit einschränkende ist.
Zur Normalität am Theater gehört natürlich auch ein Publikum, das nicht wie nun jeden Abend daheim vor den digitalen Empfangsgeräten sitzt, sondern leibhaftig die Foyers und Theatersäle bevölkert. Hier übernimmt das stellvertretend für uns alle der Schauspieler Josef Ostendorf, der sich zunächst auf der Toilette die Hände wäscht und dann an der verwaisten Garderobe Sektflasche und Glas desinfiziert, ganz allein im Theatersaal Niesetikette einhält und sich dann doch auch so benimmt, wie so manch fleischgewordener Zuschaueralbtraum, Kichern und Handyklingeln inklusive. Ansonsten gehört der Abend und die fast leere Bühne ganz allein den beiden Diven, die in elisabethanischen Kostümen wie zum Picknick mit Fresskorb auf einer Bank Platz genommen haben. In gebührendem und nun auch von Amts wegen vorgeschriebenen Abstand versteht sich.
Nur die Kamera ist nah dran, an diesem intensiven Schlagabtausch mit Schillers Worten. Gespielt wird der Besuch Elisabeths bei der von ihr gefangen gehaltenen Maria. Bei Sekt für die eine und Dosenbier für die andere entspinnt sich ein Duell der schauspielerischen Sonderklasse, das auch Platz für den Nunes eigenen Humor lässt. Während Elisabeth Sekt schlürft und Schokolade knabbert, wird sie von der stickenden Maria einfach ignoriert. Einsame Machtpräsenz gegen Stolz und Eigensinn. Doch schenken sich beide auch im Wortgefecht nichts, treten an die Rampe und agieren in den leeren Theatersaal ganz zum Vergnügen des einzigen Zuschauers.
Ob daraus auch noch ein Vergnügen für das Publikum der noch ausstehenden aber weiterhin geplanten echten Theaterpremiere wird und wie Regisseur Nunes das Ganze mit Schillers Wilhelm Tell (den es als Teil 2 Anfang April im Netz gibt) und dem bürgerlichen Trauerspiel Kabale und Liebe zusammenbringt, macht neugierig. Als kleinen Vorgeschmack tauschen ganz unerwartet die Kontrahentinnen die Rollen. „Wer ist diese Lady? Wo sind wir hier?“ fragt Neuhäuser jetzt im Kostüm der Elisabeth. Ein Spiel, nichts weiter, und doch eines der ältesten, das uns immer wieder unmittelbar zu bannen vermag, neue Formate hin oder her.
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Thalia Theater Hamburg: Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1 | Foto (C) Armin Smailovic
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Stefan Bock - 30. März 2020 ID 12128
Maria Stuart. Ode an die Freiheit 1
Probe am Thalia Theater Hamburg in unvollständiger Ausstattung
Regie: Antú Romero Nunes
Filmkonzept & Schnitt: Martin Prinoth
Bühne: Matthias Koch
Kostüme: Victoria Behr
Musik: Anna Bauer und Johannes Hofmann
Licht: Paulus Vogt
Kamera: Lilli Thalgott, Janine Reich und Martin Prinoth
Ton: Rewert Lindeburg und Gerd Mauff
Dramaturgie: Matthias Günthe und Ensemble
Besetzung:
Maria Stuart, Königin von Schottland ... Karin Neuhäuser
Elisabeth, Königin von England ... Barbara Nüsse
Zuschauer ... Josef Ostendorf
Die Online-Premiere war am 28. April 2020.
Wiederholung am 3. April 2020
Online-Premiere Wilhelm Tell. Ode an die Freiheit 2: 4. April 2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.thalia-theater.de/
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