100 Jahre Antifa
SCHHWARZER BLOCK von Kevin Rittberger
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Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
100 Jahre antifaschistischen Kampf auf die Theaterbühne zu bringen, ist ein wagemutiges Unterfangen, dem sich Kevin Rittberger, Autor zumeist sehr politischer Theaterstücke, im Auftrag des Maxim Gorki Theater gestellt hat. Herausgekommen ist nach 1,5 Jahren Recherche unter Aktivist*innen und im Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum Berlin das Stück Schwarzer Block. Wer denkt da nicht sofort an dicke Luft bei 1.-Mai-Demos in Kreuzberg, dem Kampf um besetzte Häuser oder Straßenschlachten bei G20-Treffen. Im Stück, dem u.a. ein Zitat von Bertolt Brecht zur rückblickenden Geschichtsbetrachtung vor dem Sprung nach vorn vorangesetzt ist, geht Rittberger aber bis zu den Anfängen anarchistischen Klassenkampfs gegen rechte Gewalt zurück. Bereits in der Weimarer Republik standen sogenannte Schwarzen Scharen im Widerstand gegen den faschistischen Kapp-Putsch 1920, gegen rechten Terror von Stahlhelm-Bund, SA und SS.
Was im Titel schon recht martialisch klingt, kommt dann auch in Sebastian Nüblings Inszenierung so daher. Ein 14-köpfiges Ensemble schreitet zum theatralen Vollzug. Ein Aufwand, der sich trotz spärlicher Parkettbesetzung doch hoffentlich auch irgendwie bezahlt machen wird. Die toten Märtyrer*innen, Urväter und -mütter des Schwarzen Blocks streifen in weißen Fetzenmasken über den Vorplatz des Theaters, während das Publikum im Saal mit aufgesetzten Kopfhörern dem Geschehen via Livevideoprojektion (Robin Nidecker) auf den Eisernen Vorhang und die Saalwände folgt. Zuerst denkt man ermattet: Schon wieder gestreamtes Corona-Theater. Dann wird man aber durch die Wucht der Bilder und den räumlichen Sound regelrecht eingesogen.
Rittberger reit in seinem über 80-seitigen Langpoem, man könnte auch Requiem dazu zu sagen, Stimmen aus der Vergangenheit und Gegenwart kämpferischer antifaschistischer Aktion aneinander. Halbwegs geschichtsbewandert dürfte einem der ein oder andere Name etwas sagen, ansonsten sei hier ein „Verzeichnis der toten Antifaschist*innen“ auf der Gorki-Website, die auch den ungekürzten Stücktext anbietet, empfohlen. Es wird ausgeteilt gegen rechts wie linksliberal, gegen die SPD und KPD, Sozialfaschisten und Querfront und die Polizei als Vollzieher der jeweiligen Staatsgewalt und Lieblingsgegner sowieso. „Ihr seid nur gut bezahlte Hooligans“ ist da noch relativ nett anzuhören.
Als immer wiederkehrende, sicher nicht nur rhetorisch gemeinte Frage hört man: „Und warum eigentlich keine Einheit / Zwischen SPD und KPD“. Die Uneinigkeit der Linken steht ja nach wie vor zur Debatte. Durchaus auch erkennbar beim 100. Jubiläum der Novemberrevolution und Gründung der Weimarer Republik, das die SPD ganz für sich reklamiert hat. Über die Niederschlagung der Räterepublik kein Wort. Gekappt das Vertrauen in den Staat schon vor hundert Jahren, wie es im Stücktext heißt. „Staat, Nation, Kapital? Scheiße!“ wird von vermummten Gestalten skandiert. Das ist streitbares Material, das Rittberger noch mit Stimmen von der Polizei erstickter Antifa-Aktionen aus den 80er Jahren (u.a. der vom Wasserwerfer überrollte Günter Sare), von NSU-Opfern, dem Schreddern von Verfassungsschutzakten bis zum Verweis auf den NSU 2.0 u.a.m. anreichert.
Ob nun ästhetische oder inhaltliche Bedenken, man kann sich dem nicht so ohne weiteres entziehen. Es sei denn durch Flucht aus dem Theatersaal. Der Text stellt neben der direkten Bejahung linker Militanz beim antifaschistischen Kampf auch die indirekte Frage der Ausübung des Gewaltmonopols, wenn die Polizei nach links schlägt, während sie rechte Täter in Watte packt. Als Beispiel für den Typus Polizist gibt hier Schauspieler Aram Tafreshian in Vollmontur den mit „Einsacht netto“ unterbezahlten „Freund und Helfer“ mit rechten Tendenzen. Derweil lässt Regisseur Nübling die Lage eskalieren. Bengalos erhellen den Vorplatz. Rauch und Wasserspritzen sollen das Treiben möglichst echt aussehen lassen. Hin und wieder verirren sich auch ein paar schwarze Kämpfer*innen in den Theatersaal. Da wird mit Megafon und verzerrt ins Mikro gebrüllt. „Here comes the Bloc in Black.“ Natürlich politisch korrekt auch divers und feministisch gegen „Schwanzträger“ und „schwindsüchtige Schimmelpimmel“. Wenn das bei allem gebotenen Ernst keine Ironie ist.
Rittberger feiert den Schwarzen Block als „Antwort auf die Weigerung des Staates, menschenfeindliche Aufmärsche und menschenfeindliche Politik zu verbieten“. Die Aufzählung der Vorzüge geht vom Entglasen der Geschäfte, „deren Eigentümer zur Gesamtscheiße beitragen“ bis zur Feststellung: „Der Schwarze Blog rettet der Demokratie den Arsch.“ Ob nun Lichterkette oder Blockade, der Kampf gegen rechts ist so vielfältig, wie die Schneise (wie es im Stück heißt), die der Schwarze Block in den Geschichtsdschungel schlägt, unübersichtlich ist. Die Reduzierung allein auf die Antifa als treibende Kraft des Widerstands darf angezweifelt werden, sicher aber nicht das rechte Potential innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, das sich hier mit Schauspielerin Çiğdem Teke in einem nationalen Sein-oder-Nicht-Sein-Monolog als wiedererweckter Volksgeist im PKW den Weg durch die demonstrierenden Massen bahnt. Da ist es bis zum Reichstag nicht mehr weit.
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Stefan Bock - 8. September 2020 ID 12447
SCHWARZER BLOCK (Vorplatz des Maxim Gorki Theaters, 06.09.2020)
Regie: Sebastian Nübling
Bühne: Dominic Huber
Kostüme: Gwendolyn Jenkins
Musik: Tobias Koch
Video: Robin Nidecker
Licht: Fritz Stötzner
Dramaturgie: Ludwig Haugk
Mit: Maryam Abu Khaled, Mazen Aljubbeh, Yusuf Çelik, Karim Daoud, Dominic Hartmann, Kinan Hmeidan, Svenja Liesau, Vidina Popov, Aram Tafreshian, Hasan H. Taşgın, Çiğdem Teke, Han Mai Thi Tran, Linda Vaher und Mehmet Yılmaz
Uraufführung war am 5. September 2020.
Weitere Termine: 12., 19., 20.09. / 01., 02., 04.10.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de
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