„Die Nacht ist nicht
allein zum Schlafen
da...“
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Grafik: Dirk Trageser
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Bewertung:
Binnen 48 Stunden waren die Karten für alle Vorstellungen ausverkauft. Reduzierte Platzanzahl auch im Freien. Ein Zustand, an den sich Theaterfans wohl unter Corona-Bedingungen gewöhnen müssen. Zwar singt das Ensemble vom Gefängnistheater aufBruch aufmunternd den Gassenhauer „Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, dass was gescheh‘...“. Allzu viel geschieht im von Events sonst überladenen Berliner Sommer momentan aber immer noch nicht wirklich. Ein von Regeln bestimmter Alltag steht gegen unbeschränkten Kulturgenuss, die Lust auf Party und Exzess.
Und auch Shakespeares berühmte Sommernachtstraum-Komödie muss da in einer etwa 100-minütigen Kurzfassung daherkommen. Für aufBruch-Verhältnisse fast eine Art Sparversion, was man auch am reduzierten Personal auf der Bühne erkennt. Die großen Chöre der Truppe sind mittlerweile legendär. Leider konnten wegen Corona nicht so viele Freigänger an der Produktion teilnehmen wie sonst. Das recht diverse Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen teilt sich die vielen Rollen redlich. Trotzdem ist es allein schon wegen der verwunschenen Natur-Location in der Jungfernheide ein Ereignis, das sich trotz Mückenalarm lohnt, zumindest für die 70 bis maximal 80 glücklichen KartenbesitzerInnen pro Vorstellung.
Wo sich echte Füchse und Waschbären gute Nacht sagen und die Natur sich die ehemals immerhin ca. 1.000 Sitzplätze umfassende Gustav-Böß-Freilichtbühne zurück geholt hat, beendet nun Shakespeares Sommernachtstraum einen über Jahrzehnte dauernden Dornröschenschlaf. Für aufBruch-Regisseur Peter Atanassow geht es in Shakespeares Bühnenbestseller aber vor allem um das Unbewusste, den Kontrollverlust, symbolisiert durch den Athener Wald. Trieb, Macht, Liebe, Hass und auch ein paar Drogen sind im Spiel. Oberon (Frank Zimmermann) tritt auf als oberster Drogenboss mit seinem Dealer-Gehilfen Puck (Para Kiala). Good Fellas der politischen Ordnung, repräsentiert durch Theseus (Patrick Berg), den König von Athen. „Money makes the world go round.“ Eine Mischung aus Gangstern im Nadelstreifen und machistischen Cowboys im Camouflage-Look. „Cocaine” röhrt ein Eric-Clapton-Verschnitt zur Gitarre, und irgendwann gibt es für alle Eselsköpfe.
Dazwischen irren nun die vier jungen Athener Flüchtlinge mehr beobachtet und gelenkt als freiwillig durch das kleine Wäldchen, in das Bühnenbildner Holger Syrbe noch zwei rote Wachtürme und einen versteckten Podest hineingebaut hat. Hermia (Maja Borm) liebt Lysander (Hans-Jürgen Simon), soll aber Demetrius (Christian Krug) heiraten, den wiederum Helena (Bianca Waechter) unerwidert begehrt. Eine verzwickte Konstellation, die durch Puck und dessen falsch eingesetztes Zauberkraut, hier mittels weißem Pulver und Rauch aus der E-Zigarette verabreicht, noch verworrener wird. Ob da jede Nacht, die man in einem Rausch verbracht, wirklich Seligkeit und Glück bedeutet, wie der Gassenhauer glauben machen will, lässt sich angesichts des Chaos durchaus bezweifeln. Dass das Ganze auch ein paar ernste gesellschaftliche Aspekte hat, will Atanassow mit eingesprengseltem Fremdtext aus dem Drama In der Einsamkeit der Baumwollfelder von Bernhard-Maria Koltès und anderem Drogengeschwängertem verdeutlichen. Lange einsam bleibt hier aber niemand.
Und auch der zweite Strang dieses drogenschweren Sommernachtstraums hat es in sich. Hier wird bekanntlich Handwerker Zettel (Mathis Koellmann) von Puck zum Esel gemacht und erlebt eine wundersam heiße Nacht mit der von Oberon ebenfalls mit dem Zauberkraut in ihn verliebt gemachten Elfenkönigin Titania (Massimiliano Baß im Fummel). Ein Muss jeder Sommernachtsaufführung ist aber das muntere Dilettieren der Handwerkertruppe, die im Wald von Athen ihr tragikomisches Schmachtstück Pyramus und Thisbe probt und dann auch auf der Hochzeit von Theseus mit der Amazonenkönigin Hippolyta (Katharina Försch) zum Besten geben darf. Und dass sich irgendwie am Ende doch alles fügt. Von oben verordnet. Fast ein bisschen wie im wirklichen Leben.
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Sommernachtstraum mit dem Gefängnistheater aufBruch | Foto (C) Graziela Diez
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Stefan Bock - 24. Juli 2020 ID 12368
SOMMERNACHTSTRAUM (Freilufttheater in der Jungfernheide, 21.07.2020)
Regie: Peter Atanassow
Bühne: Holger Syrbe
Kostüme: Melanie Kanior
Dramaturgie: Hans-Dieter Schütt
Musikalische Leitung: Vsevolod Silkin
Es spielt ein gemischtes Ensemble aus Freigängern, Ex-Inhaftierten, SchauspielerInnen und Berliner BürgerInnen: Bianca Waechter, Christian Krug, Denny, Frank Zimmermann, Hans-Jürgen Simon, Josef, Katharina Försch, Maja Borm, Massimiliano Baß, Mathis Koellmann, Matthias Blocher, Mohamad Koulaghassi, Para Kiala, Patrick Berg, Sabine Böhm und Stas
Premiere war am 22. Juli 2020.
Weitere Termine: 25., 26., 29.-31.07. / 01., 02., 05.-09.08.2020
Eine Freilufttheaterproduktion in Kooperation mit dem Kulturbiergarten Jungfernheide
Weitere Infos siehe auch: https://www.gefaengnistheater.de/
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