Marionetten
erotischer
Machttriebe
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Tropfen auf heiße Steine von Rainer Werner Fassbinder am Theater der Keller | Foto © MEYER ORIGINALS
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Bewertung:
Rhythmisches Klopfen auf Holz klingt fast so wie fallende Tropfen. Die vier jungen, nacheinander auftretenden Darsteller tragen festgeschnürte Holzapparaturen am bis auf Unterwäsche nacktem Körper. Die Bewegungen der holzbehangenen Darsteller sind mal behäbig und träge und erscheinen mal fremd gelenkt wie bei Marionetten. Die Darsteller stolzieren, tänzeln und machen kopulative Bewegungen auf der kargen, mit weißen Wänden, eingelassenen Öffnungen und zwei flimmernden Fernsehapparaten ausgestatteten Bühne. Die einzige Frau (Magda Lena Schlott) unter den auftretenden Figuren hat scheinbar die größte Klappe. Bereits zu Anfang dominiert sie ihre männlichen Kollegen und behauptet frei heraus, das Theaterstück sei noch nicht fertig geworden. Außerdem seien, wie man gewiss erkennen könne, die Figuren fehlbesetzt. Im darzubietenden Tropfen auf heiße Steine (1964) nach Rainer Werner Fassbinder stimme so manches nicht: „Oder bist du etwa viel älter als die anderen Darsteller?“ fragt sie einen ihrer Kollegen auf der Bühne. Tatsächlich sind alle Darsteller Anfang dreißig.
In Fassbinders Vorlage trifft der ältere Leopold den jungen Franz auf der Straße und nimmt ihn mit zu sich nach Hause. Franz möchte gleich wieder gehen, da seine Freundin auf ihn wartet. Leopold lenkt das Gespräch in eine andere Richtung. Er eröffnet ihm ganz neue sexuelle Perspektiven. Der ältere und der junge Mann leben bald zusammen eine eheähnliche Beziehung. Franz besorgt den Haushalt und wartet darauf, bis Leopold heimkommt. Der alsbald frustrierte Leopold entpuppt sich jedoch binnen kurzem als Tyrann, der seinen devoten Gespielen mit schlechter Laune peinigt. In einem sadomasochistischen Liebesspiel belohnt er den Jüngling sexuell für besondere erbrachte Leistungen. Doch bald klopfen die ehemaligen Freundinnen der beiden an die Wohnungstür.
Einigen der Besucher dürfte die Geschichte auch durch François Ozons Verfilmung aus dem Jahre 2000 bekannt sein. Neben den unförmigen Kostümen von Sophie Spies überrascht in Tom Müllers Umsetzung am Theater der Keller auch vieles andere. Hier werden etwa auf zwei Monitoren Filmsequenzen gezeigt, die scheinbar nichts mit der Bühnenhandlung zu tun haben. Darsteller Frank Casali hält anfangs einen Monolog, bei dem er einen möglichen Geist für die Schönheit theatraler Darbietungen würdigt. Simon Rußig ermahnt ihn daraufhin mit den Worten „du bist doch keine Hanna Schygulla“ und ruft ihn von der Bühne. Rußig verweist so auf eine der bekanntesten Darstellerinnen der Fassbinder-Filme.
Die männlichen Darsteller agieren bald, angeleitet von der Frau in der Runde, abwechselnd reihum als Franz oder Leopold. Tim-Fabian Hoffmann mimt in einem Solo sogar beide gleichzeitig. Leopold fragt zu Anfang Franz über seine sexuellen Erfahrungen mit anderen Jungen im Heim aus. Das Geflecht aus Anziehung und Erniedrigung zwischen Leopold und Franz tritt in den Hintergrund, wenn Machtmissbrauch im Hierarchieverhältnis zwischen Darsteller und Regisseur offen ausgespielt wird. Schließlich kommentiert meist eine dritte Person das gespielte Geschehen abwertend.
Regisseur Tom Müller interessiert der schillernde Mensch Fassbinder. Fassbinder war auch Theaterregisseur und –autor. Als Gegenmodell zum Staatstheater gründete er 1968 das Münchner Antitheater, in welchem er sechzehn seiner Stücke aufführte. Magda Lena Schlott markiert ihn als Regisseur auf der Bühne mit Schnäuzer und in Lederjacke. Sie verkörpert ihn als rücksichtslosen und aggressiven Machtmenschen, der keine sexuellen Grenzen kennt, wenn sie nacheinander mit den werten Kollegen liebäugelt. Plötzlich ruft sie aggressiv, wie einst wohl der legendäre Regisseur, „du blöde Sau“. Dann mokiert sie sich über das Verhalten, die Leistungen oder sogar die Stimmen der Darsteller. Später echauffiert sie sich auch über die Fassbinder-Mutter Lilo Eder, die natürlich stets zu stören vermag. Diese Szene mutet leider ein bisschen albern und übertrieben an. In einem stärkeren Zwischenspiel gibt sie als Fassbinder ein Interview, bei dem sie die selbstsicher dominierende, hochkonzentrierte Künstlerpersönlichkeit, die Fassbinder wohl auch war, heraushängen lässt.
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Insgesamt ist Tom Müllers Adaptation von Tropfen auf heiße Steine betont experimentell. Es legt einen besonderen Fokus auf den Autor der Vorlage. Fassbinder war ein Mensch, dem viele hörig und von dem viele abhängig waren. Zeitzeugen zufolge förderte oder unterdrückte er seine Kollegen auf der Bühne oder am Filmset. Er hatte Wutausbrüche, die für viele, die ihm als Regisseur ausgeliefert waren, beängstigend gewesen sein mussten. Gewalt und Unterdrückung in Liebesbeziehungen ist auch ein zentrales Thema der meist sperrigen und gesellschaftskritischen Arbeiten des maßgeblichen Vertreters des Neuen Deutschen Films. Seinem umfangreichen Filmschaffen zufolge arbeitete er zeitlebens wie ein Besessener, bevor er im Alter von 37 Jahren an Herzversagen und einer Mischung aus Schlafmitteln, Alkohol und Drogen verstarb. Das Thema beengender gesellschaftlicher Verhältnisse spielte sicherlich auch in Fassbinders exzentrischem Leben eine Rolle. Ein langzeitiger Lebensgefährte Fassbinders, Armin Meier, beging im Alter von 35 Jahren Suizid; vielleicht von Fassbinder ähnlich enttäuscht wie Franz von Leopold in Tropfen auf heiße Steine.
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Frank Casali und Tim-Fabian Hoffmann (re.) in Tropfen auf heiße Steine von Rainer Werner Fassbinder am Theater der Keller| Foto © MEYER ORIGINALS
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Ansgar Skoda - 10. Februar 2019 (2) ID 11210
TROPFEN AUF HEISSE STEINE (Theater der Keller, 08.02.2019)
Regie und Bühne: Tom Müller
Kostüm: Sophia Spies
Video: Christoph Stec
Dramaturgie: Ulrike Janssen
Mit: Frank Casali, Tim-Fabian Hoffmann, Simon Rußig und Magda Lena Schlott
Premiere war am 7. Februar 2019.
Weitere Termine: 20., 21.02. / 12., 13., 27.03. / 03., 05., 23.04.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-der-keller.de
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