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Freie Szene

Kindesmord in Birsfelden

TWIN SPEAKS vom Theaterkollektiv vorschlag:hammer - ausschließlich erlebbar auf Telegram

Bewertung:    



"Ausgehend von einem fiktiven Mordfall und frei nach David Lynchs ikonischer Fernsehserie Twin Peaks hat sich das Theaterkollektiv vorschlag:hammer in die Schweizer Kleinstadt Birsfelden begeben und dort mit den Bewohner*innen einen Krimi entwickelt und gedreht.

Eine Leiche wird am Ufer des Rheins gefunden. Eine lokale Ermittlerin und ein Kollege aus der Großstadt sind vor die Aufgabe gestellt, den Täter oder die Täterin unter den Bewohner*innen der Kleinstadt zu finden. Oder ist er*sie doch ein mystisches Es? Und wie geht es Angehörigen und Freund*innen mit dem Todesfall?

Die Inszenierung befragt den Ort Kleinstadt und das Krimigenre, kommt ins Jugendzentrum, Fitnessstudio oder Senior*innenwohnheim, um dort eine Vielzahl an Menschen kennenzulernen, springt von der Filmebene in den Chat und zurück und hangelt sich so humorvoll, trauernd und spannungsvoll von Cliffhanger zu Cliffhanger."


(Quelle: staatstheater-hannover.de)

*

Eigentlich wollte ich mich gestern Abend - ganz spontan - auf der Website des Staatstheaters Hannover, insbesondere des dortigen Schauspiels, etwas umschauen; einen Tag vorm offiziellen Ende des neuen Corona-Lockdowns (am 17. April) livestreamt es, als ein Beispiel nur, die anstehende Woyzeck-Premiere mit Sebastian Nakajew in der Titelrolle. Aber auch so gab/ gibt es regelmäßig Online-Angebote, die den Zuschauerinnen und Zuschauern vermitteln sollten, dass es - trotz der anhaltenden Pandemie - Theater in der einen oder andern Art und Weise überhaupt noch gibt.

Ja und dazu gehören halt auch (Online-) Gastspiele. In diesem Falle war es Twin Speaks von vorschlag:hammer, einem in Duisburg ansässigen freien Theater-Kollektiv, dessen Arbeiten "visuell-athmosphärisch" oder "körperorientiert" sind. Dabei adaptiert es "sowohl frei bereits existierende Stoffe", oder es entwickelt "recherchebasierte Inszenierungen zu immer neuen Themenfeldern". Lies sich ziemlich spannend in der Vorhersage - daher also:

Nichts wie hin!!



Twin Speaks von vorschlag:hammer | Bildquelle: staatstheater-hannover.de


Voraussetzung fürs Mitspiel war, dass man die App von Telegram herunterlädt und sich auf ihr ein eigenes Profil einrichtet - hatte ich dann auch gemacht [und hoffentlich kann ich dieses Profil auch wieder ungehindert löschen; nicht dass, wie bei Facebook, wochenlang die eigene Profillöschung hinausgezögert würde].

Dann trat ich der innenzirkeligen Gruppe bei; am Anfang wies sie sich mit 40 Mitgliedern, von denen 7 online waren, aus.

Ja und dann ging es 20 Uhr, wie angekündigt, los.

Die vorschlag:hammer-Hauptstars der bevorstehenden Chat-Performance stellten sich der Reihe nach (aus ihren Bullaugen zu uns herüber) vor:

Stephan Stock (als Michael Birsfelder, der Vater seines ermordeten Sohnes Andreas), Kristofer Gudmundsson (als aus der Stadt in die Gemeinde Birsfelden abgesandter Sonderermittler Sven Kristofersson) und Gesine Hohmann (als die in Birsfelden geborene und dort lange Zeit zugebracht habende Komissarin Rita G Senf).

Doch es gab auch jede Menge Neben-Hauptstars, die sich aus den mitspielenden Einwohnern Birsfeldens in authentischer Gewichtung rekrutierten - und da fielen mir sofort die mitermittelnde Ex-Kommissarin Vreni Näf oder die stumm und abweisend agierende hochwunderliche (und gleichsam auch hochverdächtige) Frau aus dem Dartclub oder die sich als Andreas' Freund & Feind gleichsam geoutet habenden Kinder und Jugendlichen aus der Sekundarschule Birsfelden oder der bildhübsche (und allein aus diesem Grund schon nicht unter Verdacht stehende) Fitnesstrainer oder das genial sich als allwissende Ortskrähen manifestiert habende Seniorinnenquintett (!!!!!) auf.

Über zwei Stunden währte die skurril und allgewaltig sich mitteilende Online-Gesamtaktion.

Drei Episoden der hochmerkwürdigen Kindesmordsgeschichte [s.o.] wurden nach und nach dann abgehandelt - per Video, per Videokommentar, per Sprachnachricht, per Chatnachricht etc. pp. - - alles, was man dann heutzutage zum Herstellen, Pflegen und Beenden individueller Körperloskontakte braucht.

Rein technisch eine absolute Meisterleistung!

In den beiden Pausen war Gelegenheit, mich mit der Gruppe, der ich vorher beigetreten war, untereinander auszutauschen; und so gab ich hie und da meine Vermutungen, wer denn der Mörder von Andreas Birsfelder gewesen sein könnte, spekulativ denn preis.

Am Schluss war klar, dass es am Schluss natürlich keinen echten Mörder gab - warum oder wieso, entschloss sich mir schlussendlich freilich nicht, doch Spaß gemacht hatte die beispiellose Angelegenheit ganz ohne jede Frage.

Das an sich ja völlig körperlose Kommunikationsformat sollte - wenigstens bis zum endgültigen Ende der hoffentlich bald zu Ende gehenden Coronapandemie - ruhig beibehalten werden, auch zur ablenkenden Einhegung von depressiven Covid19-Schüben.


Andre Sokolowski - 24. März 2021
ID 12831
TWIN SPEAKS (Telegram, 23.03.2021)
Von und mit: Gesine Hohmann, Stephan Stock, Kristofer Gudmundsson, Bernhard la Dous, Malu Peeters, Paula Reissig und Birsfelder Bürger*innen
Video: Paula Reissig
Sounddesign: Malu Peeters
Co-Editing: Lara Rodriguez Cruz
Assistenz: Nico Caccivio
Produktion: produktionsDOCK
Eine Produktion von vorschlag:hammer in Koproduktion mit dem ROXY Birsfelden und dem Schlosstheater Moers
Live auf Telegram am 23. März 2021, ab 20 Uhr


Website vom vorschlag:hammer


http://www.andre-sokolowski.de

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