Klaus im
Knast
|
|
Bewertung:
Bei Palmasola handelt es sich um eine bolivianische Gefangenensiedlung, etwa zehn Kilometer von der Hauptstadt Santa Cruz entfernt. Sie besteht aus hunderten von Hütten, ist mit einer doppelten Mauer und einem Stacheldraht umzäunt und wird von außen (!) bewacht, was umgekehrt bedeutet, dass den etwa 6.000 Gefangenen - Verbrechern und Untersuchungshäftlingen, also oftmals Menschen, die seit Jahren ohne jedwede strafrechtliche Verurteilung hier ausharren - ein autonom scheinendes Miteinanderleben zugestanden wird; kurzum, sie sind sich in dem Riesenknast selbst überlassen. Ja und wie das so bei Sozialitäten ist, gibt es dann Reiche, Arme, "Gute", "Böse", alles halt, was so die Menschheit bietet. Einige männliche Gefangene, sofern sie sich das geldlich leisten konnten, lebten gar mit ihren Familienangehörigen, Frauen und Kindern, in der Knackistadt; und Drogen- oder Waffenhandel und Erpressungen, Bestechungen, all sowas stand dann auf der Tagesordnung...
"Innerhalb Palmasolas herrscht ein Regiment aus Bandenbossen. Die Ordnung wird von einer 'Disciplina' genannten Truppe aus Gewaltverbrechern aufrechterhalten, der ein sogenannter 'Präsident' vorsteht. Hinzu kommen Auftragsmörder. Schmuggler schleusen alles in die Stadt, was von den Insassen gewünscht wird und bezahlt werden kann. Drogen sind in Palmasola weit verbreitet.
[...]
Am 14. März 2018 drang die bolivianische Polizei mit zweitausend Mann und einem Aufgebot von Antiterroreinheiten in die Haftanstalt ein. Ziel war, die Gefangenenregierung um deren Präsidenten Victor Hugo Escobar alias 'El Oti' zu entmachten. Es kam zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den Inhaftierten und den Polizeieinheiten mit vielen Toten und Verletzten. 'El Oti' wurde nach La Paz in das Gefängnis Chonchocoro verlegt, wo er wenige Tage später an den Folgen einer Messerstecherei starb.
Seit dem Militärpolizeieinsatz vom 14. März 2018 ist im PC4, dem Gefängnisdorf für männliche Insassen, das Zusammenleben mit Frauen und Kindern nicht mehr gestattet. Im PC2, dem Frauentrakt, leben weiterhin Kinder bis zum zwölften Lebensjahr."
(Quelle: Wikipedia)
|
Palmasola - ein Rechercheprojekt von Christoph Frick und KLARA Theaterproduktionen Foto (C) David Campesino
|
*
Das [s.o.] ist der historische wie aktuelle Hintergrund, quasi der "Stoff" zum Stück (besser noch: Dokumentar-Stück), das die Schweizer Truppe KLARA Theaterproduktionen (Regie: Christoph Frick) zusammenbaute und mit dem sie sehr erfolgreich tourt; jetzt machte Palmasola in Berlin Station.
Der Trick das theatralisiert gehabt zu haben, ist verblüffend kess:
Nicola Fritzen outet sich, noch vor Beginn des eigentlichen Stücks, als unfreiwillig-freiwilliger Drogenhändler Klaus, der (unfreiwillig-freiwillig) fast wie durch Zufall in die Fänge einer nicht konkret benannten europäischen (gar schweizerischen?) Drogen-Mafia gerät, die ihn als Drogenkurier - heißt, dass er vorher jede Menge kleine Rauschgiftkapseln schluckt - anheuert. Der Transfer fliegt freilich auf, weil Röntgenkameras nach Klaus' Grenzübertritt einhelligende Durchblicke verschaffen und er so gesehen auffliegt und... vorübergehend in dem Palmasola-Knast ein Stückchen seiner Lebenszeit verbringt. Ja und dort lernt er dann all seine Freunde & Feinde kennen, die ihm einen respektablen Eindruck dahingehend geben, wie es in der legendären Knaststadt menschlich (und auch unmenschlich) so zugeht; Fritzens bolivianische Schauspielerkolleginnen und -kollegen Jorge Antonio Arias Cortez, Omar Callisaya Callisaya, Mario Tadeo und Urzagaste Galarza steuern aufs Authentischste das ihre hierzu bei.
Schockierend, sportlich imponierend (vor-)gespielt.
Emotional, das selbstverständlich auch.
|
Andre Sokolowski - 5. Februar 2022 ID 13441
PALMASOLA (Ballhaus Ost, 04.02.2022)
Regie: Christoph Frick
Bühne: Susanne Affolter und Christoph Frick
Ton: Susanne Affolter
Video: David Campesino
Musik: Bo Wiget
Dramaturgie: Carolin Hochleichter und Jhonnatan Torrez
Produktionsleitung: Maxine Devaud
Technik: Lorenzo Ariel Muñoz
Mit: Jorge Antonio Arias Cortez, Omar Callisaya Callisaya, Nicola Fritzen, Mario Tadeo und Urzagaste Galarza
Europa-Premiere in der Kaserene Basel war am 11. Oktober 2019.
Weiterer (Berliner) Termin: 05.02.2022
Eine Produktion von KLARA Theaterproduktionen in Koproduktion mit Kaserne Basel, Theater Tuchlaube Aarau und Goethe-Zentrum Santa Cruz
https://www.klara-theater.ch/produktionen
https://www.andre-sokolowski.de
Freie Szene
Neue Stücke
Premieren (an Stadt- und Staatstheatern)
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Anzeigen:
Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN
Rothschilds Kolumnen
BALLETT | PERFORMANCE | TANZTHEATER
CASTORFOPERN
DEBATTEN & PERSONEN
FREIE SZENE
INTERVIEWS
PREMIEREN- KRITIKEN
ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski
URAUFFÜHRUNGEN
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|