Der Wald
vor lauter
Bäumen
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Dirk Schoedon als Rudolf und Rita Feldmeier als Elena Gombrowski in Unterleuten an der Komödie am Kurfürstendamm | Foto (C) Franziska Strauss
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Bewertung:
Dunkelheit dominiert den Bühnenhintergrund. Auch die Zuschauer werden über Vieles im Dunkeln gelassen - in Tobias Wellemeyers recht überspannter Inszenierung von Juli Zehs Unterleuten an der Komödie am Kurfürstendamm. Seitlich deuten Eingänge Wohnhäuser an. Hauptelemente im Bühnenbild von Alexander Wolf sind zahlreiche meterhohe Baumstämme, die in die Bühnendecke übergehen. Sie erinnern ein bisschen an die Systemgastronomiekette Hans im Glück, die auch mit Baumstämmen als Deko im Rauminneren wirbt. Zu Beginn des Stückes urinieren einige Herren der Schöpfung geflissentlich gegen diese Stämme. Auch später erweisen sich viele auftretende Figuren als grobe und platt gezeichnete Dörfler, die auch mal körperlich aufeinander losgehen, einander mit dem Messer bedrohen oder mit Rauch von brennenden Autoreifen die Nachbarschaft terrorisieren. Ein zentral platziertes Verkehrsschild weist auf die nahegelegene A24 mit den Zielen Hamburg und Berlin sowie auf Wittstock, wo aktuell die Landesgartenschau stattfindet, hin.
Geschildert wird demnach die Lebenswirklichkeit in der fiktiven Gemeinde Unterleuten, irgendwo in der Provinz der ehemaligen DDR. Die Menschen dort hängen der alten Zeit nach, in der das Leben im Dorf noch funktionierte, jedenfalls anders funktionierte als nach der Wiedervereinigung. Die riesigen Ländereien der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) gehören nun zum großen Teil Rudolf Gombrowski, einem ehemaligen Funktionär der LPG. Zu einem noch größeren Teil gehören sie dem Spekulanten Konrad Meiler aus dem Westen der Republik, der sie zu einem Spottpreis aufkaufte. Der beabsichtigte Bau von Windkraftanlagen durch den Betreiber Bodo Schaller verspricht dem Besitzer der Grundstücksflächen, für die sich entschieden wird, sehr gute Renditen. Es beginnt ein Kampf um den Zuschlag, der mit allen Mitteln ausgetragen wird.
Die Ambitionen und Hintergründe der zahlreichen Figuren verwirren den Zuschauer alsbald. Die Dorfbewohner intrigieren in einem sogenannten „Windmühlenkrieg“ und werben um Allianzen. Oft glauben sie sich im Recht, wenn sie dabei ihre Nachbarn rücksichtslos hinters Licht führen. Große Worte werden laut in den Raum geworfen. Mal wird an die Klimakatastrophe gemahnt. Dann wird „Gerechtigkeit“ als Wunsch eingefordert. Der Fordernde bedauert, dass die übrigen Dorfbewohner heute wie eine „Bürgerherde“ ohne „Anstand, Gemeinschaftssinn, Aufrichtigkeit und Vernunft“ handelten. Eine Hauptfigur des Dramas, Linda Franzen, fragt den einflussreichen Gombrowski neckisch, ob man für ein persönliches hehres Ideal auch stehlen, lügen, betrügen, töten und fremdgehen dürfe? Dieser erklärt kurzerhand alte Geschichten und offene Rechnungen zu Altlasten und Sondermüll. Er meint, Freiheit fange da an, wo einem die Leute alles zutrauen. Doch ist Unterleuten ein rechtfreier Raum und sind Körperverletzungen simple Dorfangelegenheiten?
Lautes Geschrei der Figuren und viel Sprechen zum Publikum hin sollen wohl während der Vorführung die suboptimale Akustik im Saal kaschieren. Die Figurenführung erscheint etwas beliebig und einfallslos. Insbesondere Dirk Schoedon in der Hauptrolle des Gombrowski spricht leider zu monoton und wenig akzentuiert. Auch Juliane Götz wirkt als junge Mutter mit Baby im Arm recht blass und deplatziert, insbesondere da sie die ganze Zeit ein grünschillerndes, rückenfreies Abendkleid trägt, was in ihrer Rolle sehr unpassend erscheint. Vielleicht soll so jedoch auch angedeutet werden, dass sie schwärmerisch ökologisch ambitioniert ist. So erklärt sie bei einer Versammlung, dass den Vögeln die Seelen der Toten gehören. Auch Katrin Hauptmann zeigt viel nackte Haut, wenn sie die Linda Franzen als Vamp zeichnet. Es sind Highlights des Theaterabends, wenn Hauptmann in ihrer Rolle zweimal temporeich kleine Solo-Tanznummern vorführt. Nur leider passt diese Darstellung nicht wirklich zum Inhalt des vorgeführten Stückes, in dem Linda einen Pferdehof aufbauen möchte. Vieles ist nicht nachvollziehbar, etwa wenn sich Linda mit ihrem Freund Frederik über die Opfer der Loveparade in Duisburg streitet. Frederik behauptet auch, er habe „komische Gefühle“, wenn Linda versucht den Investor Meiler und den Vogelschützer Gerhard Fließ in Sicherheit zu wiegen, gleichzeitig aber doch ihren Vorteil aus einem Grundstückverkauf ziehen möchte. Sie kontert daraufhin, wie könne man „groß reden“ und „klein handeln“ und warum müsse ausgerechnet sie einen „Moral-TÜV“ bestehen. Das chaotische Personentableau scheint nicht nur hier mehr als nötig auf Boulevard gebürstet.
Eine deutlich liebevollere, pointiertere und mit weniger Darstellern auch übersichtlichere Inszenierung von Juli Zehs voluminösen Roman zeigte 2017 das Theater Bonn in der Regie Jan Neumanns, mit der Wellemeyers Adaptation in keiner Weise mithalten kann.
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Unterleuten an der Komödie am Kurfürstendamm | Foto (C) Franziska Strauss
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Ansgar Skoda - 6. Mai 2019 ID 11395
UNTERLEUTEN (Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater, 04.05.2019)
Bearbeitung: Ute Scharfenberg
Regie: Tobias Wellemeyer
Bühne: Alexander Wolf
Kostüm: Ines Burisch
Musik/Sounddesign: Marc Eisenschink
Mit: Dirk Schoedon, Christoph Hohmann, Juliane Götz, Katrin Hauptmann, Johannes Heinrichs, Ilona Schulz, Marianna Linden, Roland Kuchenbuch, Esther Agricola, Matthias Zahlbaum, Josip Culjak, Julian Mehne, Jan Kersjes und/oder Elisabeth Bellé/Charlotte Hübner/Marla Gohl/Matilda Lindbergh
Berliner Premiere an der Komödie am Kurfürstendamm: 28. April 2019
Weitere Termine bis 19.05.2019
Eine Produktion des Hans Otto Theaters, Potsdam
Weitere Infos siehe auch: https://www.komoedie-berlin.de
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