Minimalistische
Geisterséance
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Thomas Bernhards Alte Meister am Deutschen Theater Berlin | (C) Arno Declair
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Bewertung:
Über den österreichischen Dramatiker Thomas Bernhard (1931-1989) ist eigentlich alles gesagt. Über den Schweizer Theaterregisseur Thom Luz auch. Dass dieser nach seiner Beschäftigung mit dem Roman Der Mensch erscheint im Holozän (DT, 2016) von seinem Landsmann Max Frisch fast zwangsläufig auf Thomas Bernhards Roman Alte Meister kommen musste, ist durchaus naheliegend. Beide Autoren arbeiten mit einem besonderen Erzähl- und Sprachstil, verwenden autobiografische Elemente und philosophische Gedankenspiele zur Beschreibung menschlicher Unvollkommenheit. Trotzdem können sie, was den Menschen an sich betrifft, kaum unterschiedlicher sein.
Der fast schon menschenscheue Einzelgänger Thomas Bernhard ist ein Meister der Beobachtung und Entdeckung von menschlichen Fehlern und Abgründen. Gegeißelt in apodiktischen Schimpftiraden auch ein Meister der Übertreibungskunst. Gerne und viel sinnieren Bernhards Protagonisten in langen Monologen über den Menschen und die Kunst. Die Kunst des Überlebens im Beschreiben nicht nur des Scheiterns in der Kunst, sondern der Kunst selbst. Aber „... die ganze Kunst, wie auch immer, ist nichts gegen diesen einzigen geliebten Menschen.“ Der Verlust seines „Lebensmenschen“ ist Bernhard wichtiger als die Liebe zur Kunst, die oft genug bei ihm mehr eine Art Hassliebe ist.
So auch für den alten Musikphilosophen und -kritiker Reger in Bernhards Alte Meister. Seit 30 Jahren geht er nach einem Spaziergang jeden zweiten Tag ins Kunsthistorische Museum Wien, obwohl er weder das Spazierengehen mag noch die Kunst selbst, die er für unvollkommen hält, und sie so lange auf seiner Bank im Bordonesaal (den es dort übrigens gar nicht gibt) betrachtet, bis er die Fehler der „alten Meister“ aufgedeckt hat. Dort vor dem Gemälde Weißbärtiger Mann des Malers Tintoretto hat er seine Frau kennengelernt. Nun ist sie unerwartet vor ihm gestorben. Die Gewohnheit in der stetigen Wiederholung ist ihm einziger Lebenszweck und letztendlich Lebensrettung. „Die Kunst ist ja auch nichts anderes als eine Überlebenskunst.“ heißt es da in Alte Meister.
All das kommt auch in der Inszenierung von Thom Luz in den Kammerspielen des Deutschen Theaters vor. Nur hier eben nicht aus der Erzählperspektive des Romans, die neben der Figur des Reger auch noch den eigentlichen Erzähler Atzbacher hat, einen Privatgelehrten, der sich dort immer mit Reger trifft. Reger hat ihn unerwartet für den folgenden Tag wieder ins Museum gebeten, ohne ihm den Grund dafür zu nennen. Vor dem Treffen beobachtet Atzbacher Reger aus einem Nebensaal und gibt dessen Lebensphilosophien im Stile von „... sagt Reger“ von sich. Der Dritte im Bunde ist der Saaldiener Irrsigler, der von Reger auch als „Burgenländer Dummkopf“ bezeichnet wird.
Diesen Irrsigler gibt es bei Luz gleich dreimal in Person der in Museumswächteruniformen steckenden Schauspieler Christoph Franken, Camill Jammal, und Wolfgang Menardi, die hinter einem Gazevorhang in einem weiß-verschwommen wirkenden Museumsaal mit Lichtdecke und doppeltem Treppenaufgang agieren. Davor sitzt Pianist Daniele Pintaudi am Klavier und Katharina Matz auf einer Museumsbank, die auch deutliche Sitzabdrücke einer weiteren fehlenden Person aufweist. Hier setzt das Inszenierungskonzept von Thom Luz ein. Das Ganze wirkt wie eine Art Séance aus der Sicht von Regers verstorbener Frau, die dem Treiben der drei Museumswächter zusieht, Bruchstücke von Regers Text spricht und hin und wieder vor die durchsichtige Wand tritt, bis vom Klavier eine Art Alarmanlagenton ausgelöst wird. Die drei Irrsiglers treten wie Geisterschatten von innen vor den Gazevorhang und verschwinden wieder. Zunächst hört man nur undeutliches Gebrabbel aus dem Raum. Nach und nach sind auch Textbrocken aus Bernhards Roman zu vernehmen.
Pianist Pintaudi gibt den Atzbacher, wenn er nicht am Klavier sitzt oder mit den drei anderen durch den Innenraum tigert. Auf Kommando Stellungswechsel entsteht etwas Bewegung, ansonsten stecken die Irrsiglers auch mal die Köpfe in die Seitenwände, repetieren häppchenweise Romantext oder sprechen in einen Saallautsprecher. Das ist Minimalismus pur, der nur in den typischen Bernhardausfällen gegen Dürer, Bruckner oder Heidegger etwas Komik verbreitet. Trägt doch bezeichnender Weise Bernhards Roman auch selbst die Gattung Komödie im Untertitel.
Allerdings kommt auf Dauer wie meist bei Luz ein gewisses Marthalerfeeling auf. Seinen eh schon nie besonders ereignisreichen Inszenierungsstil fährt Luz hier fast vollständig gegen Null. Es gibt diesmal auch keine seiner bekannten visuellen Spielereinen zu sehen. Ein wenig Nebel und die Whitebox des Museumsinnenraums sind alles, was der Bilderzauberer Luz an Gestaltungsmitteln einsetzt. Das ist für den sprachgewaltigen Bernhardsound, dem Luz nur ein wenig klassisches Piano, fernen Gesang und österreichische Volksmusik entgegensetzt, einfach zu wenig. Und so verbreitet sich neben gediegener Langeweile auch ein Gefühl der Melancholie, das Bernhard so fremd sein dürfte wie ein gelungener Abend im Burgtheater.
Bernhards Weltflucht in die Kunst und deren Kritik als 80minütige sentimentale Geisterstunde und gänzlich missverstandener ziemlich stummer Schrei nach Liebe.
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Thomas Bernhards Alte Meister am Deutschen Theater Berlin | (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 15. September 2018 ID 10916
ALTE MEISTER (Kammerspiele, 14.09.2018)
Regie: Thom Luz
Musikalische Leitung: Mathias Weibel
Bühne: Wolfgang Menardi, Thom Luz
Kostüme: Sophie Leypold
Licht: Thomas Langguth
Dramaturgie: David Heiligers
Mit: Christoph Franken, Camill Jammal, Katharina Matz, Wolfgang Menardi und Daniele Pintaudi
Premiere am Deutschen Theater Berlin: 14. September 2018
Weitere Termine: 18., 22.09. / 03., 15., 19., 27.10.2018
Weitere Infos siehe auch: http://www.deutschestheater.de/
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