Schwatz-
und
Rumsteh-
Theater
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Der Menschenfeind am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Bewertung:
Molières Komödie Der Menschenfeind (im Untertitel „der verliebte Melancholiker“), uraufgeführt am 4. Juni 1666, ist aktuell gesehen durchaus ein Stück zur Wertedebatte, aber auch zum hehren Ideal der absoluten Wahrhaftigkeit und Kompromisslosigkeit gegen allen Mainstream, Heuchelei und Opportunismus. Der bekennende Misanthrop Alceste hält Moralpredigten und Schmähreden gegen die höfischen Schranzen und zieht sich so deren Feindschaft zu. Seine Unangepasstheit und Drang zur Wahrheit stößt aber in Bezug auf die recht lebenslustige und am höfischen Treiben regen Anteil nehmende Célimène an Grenzen. Seinen Vorschlag zur Weltflucht aufs Land lehnt die Angebetete allerdings ab, so dass Molière das Publikum hier mit einem relativ offenen Ende stehen lässt.
Was zu Zeiten Ludwig XIV. noch ein bürgerlicher Affront war, reißt heute kaum noch jemanden aus dem Theatersessel. Wohl auch ein Grund dafür, dass nach länger zurückliegenden Pleiten an der Schaubühne mit einem sich Würstchen in den Allerwertesten schiebenden Lars Eidinger, oder einer dagegen recht gediegenen Videoparty am Deutschen Theater, das zu Beginn der Khuon-Ära eine Kriegenburg-Inszenierung vom Thalia Theater Hamburg übernahm, das Stück in Berlin niemand mehr angefasst hat. Nun hat erneut am DT Anna Lenk die Komödie vor einen schwarzen Vorhang gesetzt.
Ein leider recht barock anmutendes Schwatz-und Rumsteh-Theater in der recht häufig gespielten Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Ein Strauß recht schön gereimter Bonmots, mit dem die Regisseurin allerdings nicht allzu viel anzufangen weiß, außer ihre Schauspieler hin und wieder bedeutungsvoll gucken oder gestikulieren zu lassen, wobei sie sich auch mal elastisch in die Seile hängen, aus denen besagter Vorhang besteht. Ein Gebilde, das die gummiartige Dehnbarkeit der Charaktere durchaus ganz gut beschreibt. Ansonsten dient das Bühnenbild von Florian Lösche nur für slapstickartige Aufritte und Abgänge. Man ist hier trotz dunkel gehaltener Kostüme durchaus auf Komödie aus. Mit Lichtshow und Musikeinspielungen zwischen den Szenen wird effektvoll gespielt.
Das ist dann aber eigentlich auch schon alles, was an diesem Abend erwähnenswert ist. Ansonsten erschöpft sich die vom Blatt gespielte Inszenierung in langatmigen Rededuellen über das Thema Moral und Anstand bzw. ob es nicht besser wäre, was man denkt, für sich zu behalten, und anderen nach dem Munde zu reden. Ein bisschen Klatsch, Neid und Intrige gehören auch dazu. Dem Ganzen steht Alceste (Ulrich Matthes) strikt ablehnend gegenüber. So beleidigt er den Möchtegernpoeten Oronte (Timo Weisschnur im albernen Jogginganzug) beim Vortrag eines schlechten Gedichts und lässt sich im vollen Brustton der Überzeugung auch nicht vom geduldigen Freund Philinte (Manuel Harder) von seinen rigiden Moralvorstellungen abbringen.
Ulrich Matthes gibt sich sichtlich Mühe, ist aber als großtönender Wahrheits- wie Moralapostel doppelt fehlbesetzt. Clou der Inszenierung ist, ihn selbst als Scheinheiligen zu entlarven. So gockeln die Verehrer der ziemlich taffen Célimène (Franziska Machens) in ihrer Überzeugung von sich selbst um die Wette, was für einige Lacher gut ist, den flachen Abend aber nicht wirklich retten kann. Judith Hofmann vor Jahren selbst noch Célimène gibt nun die hochgeschlossene Konkurrentin Arsinoé, Lisa Hrdina Célimènes Cousine und Ersatzgeliebte Éliante. Jeremy Mockridge und Elias Arens chargieren als Clowns-Duo Acaste und Clitandre durchs Stück, das am Schluss einen bedröppelt stehengelassenen Misanthropen aber immer noch kein schlüssiges Ende hat.
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Der Menschenfeind am DT Berlin | Foto (C) Arno Declair
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Stefan Bock - 30. März 2019 (2) ID 11314
DER MENSCHENFEIND (Deutsches Theater Berlin, 29.03.2019)
Regie: Anne Lenk
Bühne: Florian Lösche
Kostüme: Sibylle Wallum
Musik: Camill Jammal
Licht: Matthias Vogel
Dramaturgie: Sonja Anders
Mit: Ulrich Matthes (Alceste), Manuel Harder (Philinte), Franziska Machens (Célimène), Lisa Hrdina (Éliante), Judith Hofmann (Arsinoé), Timo Weisschnur (Oronte), Jeremy Mockridge (Acaste) und Elias Arens (Clitandre)
Premiere war am 29. März 2019.
Weitere Termine: 04., 16., 20.04.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/
Post an Stefan Bock
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