Was man weiß
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Foto (C) Timmo Schreiber
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Bewertung:
Eigentlich hatte das Hamburger Ernst Deutsch Theater das Stück Irrwege des Niederländers Haye van der Heyden angekündigt. Als jedoch bekannt wurde, dass der Autor gefordert habe, Holocaust-Leugnern und Pädophilen in den Medien Gehör zu verschaffen, und die rechtspopulistische Partei PVV von Geert Wilders unterstütze, verabschiedete sich das Theater von seinem Plan und ersetzte ihn durch die schon zuvor ins Visier genommenen Dinge, die ich sicher weiß des Australiers Andrew Bovell. Zudem hat Christoph Tomanek anstelle des ursprünglich vorgesehenen Joachim Bliese die Rolle des Vaters übernommen.
Die Entscheidung gegen Irrwege reiht sich ein in die zunehmende Auseinandersetzung über die Frage, ob man Repräsentanten rechtsextremer Ansichten Öffentlichkeit verschaffen oder sie boykottieren solle. Selbst aber radikale Verfechter der Meinungs- und Redefreiheit werden das Recht auf Weigerung respektieren müssen, solchen Personen ein Forum zur Verfügung zu stellen. Es geht hier nicht um ein Verbot, sondern um die Souveränität einer Theaterleitung. Und an der gibt es nichts auszusetzen. Zumal bei einem Theater, das den Namen von Ernst Deutsch trägt. Der ist mit Sicherheit weniger mit Haye van der Heyder vereinbar als Nelly Sachs mit Kamila Shamsie, der der Nelly-Sachs-Preis wegen ihrer Unterstützung von „Boycott, Divestment and Sanctions“ gegen Israel verweigert wurde.
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Leider erweisen sich die Dinge, die ich sicher weiß als ziemlich belanglos. Es findet sich kaum ein Satz oder eine Situation, die man nicht von der Bühne, aus dem wirklichen Leben oder mehr noch aus den Fernsehserien des Vorabends kennt. Das ist, was Heiner Müller einmal das „Genau-wie-Onkel-Otto-Theater“ nannte. Unterbrochen werden die populärpsychologischen Dialoge durch Ansprachen, die die sechs Protagonisten reihum an das Publikum richten: eine späte Reminiszenz an Thornton Wilders Unsere kleine Stadt. Zu Beginn kehrt Rosie (Ruth Marie Kröger) nach ein paar Jahren in Europa zu ihrer Familie nach Australien zurück. Dort trifft sie auf die Schwester Pip (Nina Petri), die ihren Mann verlässt, auf den Bruder Mark (Rune Jürgensen), der seine Identität als Frau realisieren möchte, und den anderen Bruder Ben (Maximilian von Mühlen), der in eine Geldmanipulation verwickelt ist (dass man dabei an Arthur Millers Tod eines Handlungsreisenden denken mag, steht den Dingen eher im Weg). Maria Hartmann ist die ständig vermittelnde Mutter und Christoph Tomanek zu jung besetzt: er ist gerade sechs Jahre älter als seine Tochter Pip.
Kathrin Kegler hat der Regisseurin Adelheid Müther ein symbolisches Bühnenbild gebaut. Hinter Segmenten intakter Wände sieht man geborstene Mauern. Im Hintergrund das idyllische Foto eines Kindheitsgartens. Die vier Kinder von Bob und Fran Price haben ihn verlassen. Wie so viele Töchter und Söhne in der angloamerikanischen Dramatik vor ihnen. Das sind Dinge, die wir sicher wissen. Im Original heißt das Stück Things I Know To Be True. Wahr mögen sie sein – aber reichen sie für ein Drama? Wenig Neues aus Australien.
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Dinge, die ich sicher weiß am Ernst Deutsch Theater Hamburg | Foto (C) Oliver Fantitsch
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Thomas Rothschild - 17. Januar 2020 ID 11936
DINGE, DIE ICH SICHER WEIß (Ernst Deutsch Theater Hamburg, 16.01.2020)
Regie: Adelheid Müther
Bühne: Kathrin Kegler
Kostüme: Marie-Therese Cramer
Mit: Maria Hartmann, Rune Jürgensen, Ruth Marie Kröger, Maximilian von Mühlen, Nina Petri und Christoph Tomanek
Premiere war am 16. Januar 2020.
Weitere Termine: 17.-20., 22.-26., 28.-31.01. / 01., 03.-09., 11., 13.-16.02.2020
Weitere Infos siehe auch: https://www.ernst-deutsch-theater.de/
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