Die Rettung
der Rehe
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The Clickworkers am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Bewertung:
Ein europäischer Furz ist immer noch ein Furz. Im Kammertheater des Stuttgarter Schauspiels wurde nun das vierte Projekt einer Gruppe präsentiert, die sich Europa Ensemble nennt. „Europa“ ist ebenso wenig ein Gütesiegel wie „Made in Germany“. Es ist allenfalls ein Signal, dass man sich im Mainstream der gegenwärtigen Gesinnungsbekundung befindet. Kommt niemand auf die Idee, dass sich das überzogene Bekenntnis zu Europa, global betrachtet, vom Nationalismus so sehr nicht unterscheidet?
Eine Theaterkritik, die von Nettigkeit überquillt und sich scheut, einen Furz einen Furz zu nennen, weil sie die Beteiligten nicht kränken will, hat ihren Zweck verfehlt und entwertet jedes berechtigte Lob, weil sie die Unterschiede verwischt. Deshalb erklären wir ungeschützt: was das Europa Ensemble liefert, ist Amateurtheater, es unterbietet das Niveau von Schauspielschülern des zweiten Jahrgangs. Vielleicht liegt das daran, dass sich die sechs jungen Frauen und Männer aus Deutschland, Kroatien, Polen und Bosnien des Englischen als Lingua franca bedienen müssen. Wenn das der Fall ist und man die Dialoge ohnedies in deutscher Sprache übertitelt, lasse man die gequälten Akteure in ihrer Muttersprache sprechen.
In den siebziger und achtziger Jahren, als der Ökologismus, der Feminismus und die Selbsterfahrungsgruppen die sozialistischen Ansätze der Studentenbewegung ablösten, haben sich Gruppen wie das Karl Napps Chaos Theater, die Missfits oder die 3 Tornados über die eigene Bezugsgruppe, also auch über ihr Publikum lustig gemacht. The Clickworkers von Dino Pešut und Selma Spahić, die zugleich, ziemlich uninspiriert, Regie führt, ist eine Satire über gegenwärtige Lebensentwürfe und Reformen, aber sie ist nur halb so komisch wie die genannten Kabaretts und so nah an der Realität, dass sie genau so nervt wie eben diese Realität. Gegen Ende kippt das Stück, an dessen Entstehung das Ensemble beteiligt war. Die Figuren, die gerade noch in einer neuen, menschlicheren Weise, wenn auch nach dogmatischen Regeln zusammen arbeiten und miteinander umgehen wollten, verwandeln sich als Folge eines verbal beschworenen Burnouts in die Rehe, die zu retten sie sich angeschickt haben – oder sind es die Nachfahren von Ionescos Nashörnern? –, und sprechen einen poetisch-symbolistischen Text. Der ist wohl ernst gemeint und zutiefst pessimistisch. Der Katzenjammer eines Autorenpaars, für das die Idee, „dass die europäische Gemeinschaft etwas Gutes ist“ „außer Frage“ steht. Dass die Europäische Union eher eine Ursache für als ein Heilmittel gegen die Missstände ist, die die Autoren im Programmheft sehr treffend benennen, kommt ihnen offenbar nicht in den Sinn.
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The Clickworkers am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Thomas Rothschild – 8. März 2020 ID 12060
THE CLICKWORKERS (Kammertheater, 07.03.2020)
Inszenierung: Selma Spahić
Bühne und Kostüme: Selena Orb
Musik: Draško Adžić
Licht: Stefan Schmidt
Dramaturgie: Carolin Losch
Übertitelung: Agnieszka Fietz
Sprecherzieherin: Isabel Schmier
Mit: Tenzin Kolsch, Claudia Korneev, Adrian Pezdirc, Jaśmina Polak, Anđela Ramljak und Jan Sobolewski
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 7. März 2020
Weitere Termine: 08.-12.03.2020
Eine Zusammenarbeit zwischen dem Schauspiel Stuttgart, dem Nowy Teatr, Warschau und dem Zagreb Youth Theatre. Gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de
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