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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Unbehagen

der Geschlechter



Die Räuber am Schauspiel Köln | Foto © Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Schon 753 v. Chr. erzählt die Sage von Romulus und Remus davon, wie ein aufbegehrender Jüngling seinen Bruder erschlägt. Auch in der Bibel und im Koran ist das Motiv der rivalisierenden Brüder prominent. Der Neid eines Bruders bringt den ersten Mörder der Geschichte hervor. Kain und Abel sind die ältesten Söhne der ersten Menschen, Adam und Evas. Aus der Sicht Evas wird in Gen. 4.1f. die Männlichkeit ihres Sohnes Kain betont: „Ich habe einen Mann vom Herrn erworben.“ Kain ist von Missgunst getrieben, hört nicht auf die Ermahnungen Gottes und erschlägt seinen Bruder Abel. Auch Friedrich Schillers Drama Die Räuber (1782) handelt von verletzter und protestierender Männlichkeit und von zwei bis hin zum Tode rivalisierenden Brüdern. Der jüngere Bruder täuscht den Vater und versucht den aufgrund einer hierarchisierten Rangordnung im Geschwisterverhältnis begünstigten Bruder auszustechen.

*

Am Schauspiel Köln inszeniert der Regie-Shooting-Star Ersan Mondtag Schillers Räuber nun ausgerechnet mit geschlechterverkehrt besetzten Hauptrollen. Das Spielen mit verdrehten Geschlechterrollen erweist sich im Stückverlauf als interessanter Kniff, um mit Geschlechterzuschreibungen zu spielen, die patriarchale Gesellschaft als soziokulturelles Konstrukt vorzuführen und ein männliches Selbstverständnis infrage zu stellen. Tatsächlich wird die Macht von Geschlechterrollen in mehreren Szenen verkehrt und werden so soziokulturelle Mechanismen vorgeführt.

Trotz der verdrehten Geschlechterrollen behält Mondtag Schillers oft recht pathetische Sprache in der dreieinhalbstündigen Vorführung weitestgehend bei. Der Fünfakter über Eifersucht, Intrigen, Rache, menschliche Abgründe, destruktive Gewalt und Leidenschaft wird so sprachlich recht anspruchsvoll dargeboten.

Graf Maximilian von Moor vergöttert seinen erstgeborenen Karl. Dieser setzte sich jedoch von der Familie ab und lebt im fernen Leipzig. Der jüngere Bruder Franz, dem die Vaterliebe weitestgehend verweigert wurde, bleibt daheim. Franz verleumdet Karl mit einem gefälschten Brief, um letzteren so das väterliche Erbe streitig machen. Bald glaubt Karl tatsächlich, dass er vom Vater verstoßen wurde, wenngleich er weiß, dass der Vater durch Franz gegen ihn aufgehetzt worden sein muss. Karl wendet sich von seiner Herkunftsfamilie ab, wird Anführer einer Räuberbande und glaubt fortan für humanistische Ideale zu kämpfen, ohne zu merken, dass er dabei zunehmend extremistischer wird.

Ein Vollmond leuchtet umgeben von düsteren Fichten oberhalb der Bühne. Darunter prangt eine großformatige Statue des alten Moors, die wie ein sozialistisches Monumentaldenkmal anmutet und der später um den Hals ein Galgenstrick gelegt wird. Im Halbdunkel des Dämmerlichts zeigt Mondtags Bühnenbild gleich beide Lebenswelten der Brüder parallel nebeneinander. Links befindet sich auf einer Drehbühne das biedermeiermäßig eingerichtete Herrenhaus des Grafen Moor, in dem Franz intrigiert. Rechts sehen wir die Welt von Karl und den Räubern mit einem Wasserbassin am Boden. Auf der rechten Bühnenhälfte befindet sich oberhalb der live gespielten Szenerie eine großformatige Filmleinwand, die Landschaftsbilder filmisch darstellt. Im Stückverlauf zeigt sie, wie die Räuber durch einen sächsischen Herbstwald streifen und sich mitunter auch in Schillers Versen streiten. Eingespielte Käuzchenrufe, leises Wolfsgeheul und über die Bühne wallender Theaterrauch unterstreichen die schauerliche Waldesstimmung.

Sophia Burtscher mimt den Franz mit blonden Locken zwischen unschuldiger Zierlichkeit und lauernder Burschikosität im langen, apart wallenden, violett schimmernden Empirekleid. Mit ihrer kraftvollen Wut hält Franz lange hinterm Berg, bevor er effektvoll herumgiftet. Lola Klamroth gibt einen ruppig-stolzen und machohaft-martialischen Karl mit langem blondem Haar, der stets sich selbst geflissentlich der eigenen Mannhaftigkeit versichert: „O, sei ein Mann.“ Erst trägt sie eine bodenlange, grüne Robe, später eine beige Hose und hohe, schwarze Stiefel. Das Objekt der Begierde der beiden Brüder ist Amalia, die Karl daheim zurückgelassen hat. Jonas Grundner-Culemann spielt sie im eleganten Herrenanzug. Sie weint dem fernen verflossenen Karl mehrfach hinterher, ist gegenüber der zuletzt gewaltsamen Annäherung durch Franz nur bedingt gewappnet und wird schlussendlich nackt vorgeführt. Ines Marie Westernströer hadert ausdrucksstark als intriganter Hermann nach seinem Pakt mit Franz mit dem Gewissen, während Bruno Cathomas als schwacher Vater im hellen, schmutzig eingefärbten Nachthemd gleich zu Anfang eine bemitleidenswerte Figur abgibt.

Das zwölfköpfige Bühnenensemble wird wiederholt durch vier altmodisch in schwarz gewandete, im Hintergrund bleibende Frauen unterstützt, die mal melodiösen, mal recht dissonanten A-capella-Gesang beisteuern. Bald belebt das Quartett auch Verse aus dem Schillerschen Räuberlied mit neuen Facetten stimmungsvoll: "Stehlen, morden, huren, balgen/ Heißt bei uns nur die Zeit zerstreun./ Morgen hangen wir am Galgen,/ Drum lasst uns heute lustig sein."

Der Schluss wartet mit einem eingespielten Videomonolog auf, in dem Thelma Buabeng als Pastor Moser eine Zigarette nach der anderen qualmt. Dabei rezitiert sie einen Text der Publizistin und Philosophin Carolin Emcke, die 2016 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt. Die Polemik der Autorin richtet sich gegen menschenfeindliches Verhalten, das Rechtfertigen von Gewalt und Hass und kritisiert selbsternannte Freiheitskämpfer. Die intensive, atmosphärisch spannungsreiche, ein wenig überladene und diffus anmutende Vorführung endet so nach deutlichen Längen etwas didaktisch mit einem Plädoyer für eine Versöhnung zwischen einander bisher feindlich gegenüberstehenden Gruppen.



Die Räuber am Schauspiel Köln | Foto © Birgit Hupfeld

Ansgar Skoda - 27. März 2019 (2)
ID 11306
DIE RÄUBER (24.03.2019, Depot 1)
Inszenierung und Bühne: Ersan Mondtag
Kostüme: Josa Marx
Video: Florian Seufert
Musik: Max Andrzejewski
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Beate Heine
Text: Carolin Emcke
Besetzung:
Maximilian … Bruno Cathomas
Karl ... Lola Klamroth
Franz … Sophia Burtscher
Amalia … Jonas Grundner-Culemann
Spiegelberg … Nikolay Sidorenko
Schweizer … Simon Kirsch
Razmann … Johannes Meier
Schufterle … Nicolas Lehni
Roller … Elias Reichert
Kosinsky … Elias Reichert
Hermann … Ines Marie Westernströer
Pastor Moser … Thelma Buabeng
Sängerinnen: Marie Daniels, Zola Mennenöh, Taya Chernyshova, Thea Soti, Mascha Corman und Rebekka Ziegler
Streich-Quartett: Susanne Zapf und Grégoire Simon (Violine), Allan Nilles (Viola) sowie Isabelle Klemt (Violoncello)
Premiere am Schauspiel Köln: 15. März 2019
Weitere Termine: 27.03./ 05., 13., 18., 26., 30.04.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel.koeln


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