Familienkonzert voll erschütternder Misstöne
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Sandrine Zenner als Cathleen und Gustav Schmidt als Edmund Tyrone in Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O’Neill am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Die fast leere Bühne im Bonner Schauspielhaus ist zu allen Seiten hin von roten Samtvorhängen umgeben. Auf dunklem Parkett stehen als Requisiten vereinzelt Holzbänke, Stühle und Streichinstrumente. Die vier auftretenden Figuren greifen gelegentlich zu einem Kontrabass und zu drei Geigen, vielleicht um gemeinsam den Zusammenhalt zu würdigen oder einst glanzvollen Zeiten und Weisen nachzuhängen. Doch die Töne verhallen disharmonisch oder klingen monoton nach. Glücksmomente sind hier offenbar fehl am Platz.
Eines langen Tages Reise in die Nacht ist das wohl autobiographischste Werk des Literaturnobelpreisträgers Eugene O‘Neill. Das um 1940 geschriebene Drama wurde erst im Jahre 1956 uraufgeführt, drei Jahre nach dem Tod des US-Amerikaners. O’Neill untersucht in dem Theaterstück die Psyche seiner eigenen Herkunftsfamilie. Dramatische und reale Personen stimmen sogar in der Namensgebung weitestgehend überein. Nur er selbst tauschte mit dem verstorbenen Bruder Edmund den Namen. In dem Drama wagt der vierfache Pulitzerpreisträger einen Rückblick auf den Teufelskreis der Abhängigkeitsverhältnisse zu seinen Eltern und seinem Bruder. Bevor er literarisch tätig wurde und auch dieses eigene Schicksal so künstlerisch verarbeiten konnte, hatte ihn der rastlose eigene Lebensweg in die Alkoholsucht, eine persönliche Krise und bis hin zu einem Selbstmordversuch geführt.
Die Handlung erzählt einen Augusttag in der Geschichte der vierköpfigen Familie Tyrone. Diese befindet sich gemeinsam mit dem Hausmädchen Cathleen in ihrem Sommerhaus. Die vier erholen sich von den Theatertourneen des Vaters James, bei denen ihn seine Ehefrau Mary und die beiden Söhne Jamie und Edmund regelmäßig begleiten. Die Mutter beklagt die krankhafte Sparsamkeit des Bühnenstars. Seit einem medizinischen Fehler einer Morphiumanästhesie leidet Mary unter einer schweren Drogenabhängigkeit. Der ältere Sohn Jamie verfiel dem Alkohol und meint, als Schauspieler gescheitert zu sein. Der jüngere Sohn ist an Tuberkulose erkrankt. Doch der Vater und Jamie wollen die Mutter, die gerade von einem Entzug in das Sommerhaus heimgekehrt ist, nicht ängstigen. Sie tun Edmunds Krankheit als leichte Sommergrippe ab.
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Bildlich wird die desolate Ausgangssituation gleich zu Anfang deutlich. Auf der Bühne fehlt es an Anrichten oder Tischen. Whiskey-Flaschen werden im Stückverlauf gehäuft auf den Boden gestellt. Die Figuren trinken nacheinander alle aus einem einzigen, verfügbaren Glas. Sebastian Hannaks Bühnenbild greift mit durchgängigen roten Samtvorhängen den Bühnenraum auf, der gleichzeitig ein unwirtlich leeres Wohnzimmer darstellen soll. Der Vater und seine Söhne bewegen sich oft im großen Gestus, wie auf einer Bühne. Sie wollen einander die eigene Bühnenpräsenz oder Komik beweisen, indem etwa ausgiebig Shakespeare zitiert wird.
Die Familie lebt jedoch augenblicklich ohne die Tourneebesucher an einem abgeschotteten und düsteren Ort, umgeben von einer Hecke und später auch von dichter werdenden Nebel. Der Lebensraum des Sommerhauses der Tyrones ist geprägt durch eine erstarrte und kalte Atmosphäre. Die Stadt wird nur besucht, um Alkohol oder Morphium zu besorgen.
Die Familienmitglieder, deren Schicksale eng miteinander verwachsen scheinen, sorgen sich umeinander. Die Eltern und ihre beiden Söhne sind wie aneinander geschweißt voneinander abhängig, ähnlich einer Zirkusfamilie. Doch die Liebe und Sorge weicht stets auch Angriffen und Schuldzuweisungen. Man lebt in der Erinnerung und in der Vergangenheit, die man jedoch so nie zu bewältigen vermag. Es gelingt der Familie kaum, minutenlang eine heile Welt herzustellen. Vorwürfe und Neid werden laut. Doch die Figuren hören einander selten wirklich zu. Man verachtet, verdammt, vergibt, bedauert und liebt die nächsten Anverwandten, je nach Gemütslage. Auch die Schuld am eigenen Versagen und Scheitern wird den lieben Angehörigen in wechselnden Konstellationen angelastet. Alle sind Täter und gleichermaßen Opfer. Erinnerungen verwischen, doch ein realistischer Blick gen Zukunft wird auch nicht gewagt. Unerreichbar scheint die Hoffnung oder der Glauben an ein Glück.
Martin Nimz inszeniert O‘Neills Vorlage in der Übersetzung von Michael Walter mit ruhiger Hand recht konventionell. Wolfgang Rüter verkörpert den geizigen und eitlen Vater James Tyrone als Patriarchen, der seine Söhne demütigt und sich nicht eingestehen möchte, dass seine glanzvollen Zeiten als Bühnenstar gezählt sind. Sophie Basse mimt die drogenabhängige Mary vorzeitig gealtert mit weißhaariger Perücke. Ihre Unsicherheiten und Stimmungsschwankungen lassen sie mal versunken, mal hysterisch und oft völlig neben sich stehend erscheinen. Mimisch und gestisch verleiht sie dem Schmerz, der Einsamkeit und der Verlorenheit ihrer Figur effektvoll Ausdruck. Auch Sören Wunderlich verkörpert als Jamie Tyrone nuanciert das leidvolle, desorientiert-entfremdete und hoffnungslos-haltlose Verharren im beengten Lebensraum der aufgezwungenen Gemeinschaft. Gustav Schmidt lässt als jüngerer Sohn Edmund in einigen aufmüpfigen Schlagabtauschen aufhorchen. Für einen schwer an Tuberkulose erkrankten Jüngling bewegt er sich zum Ende hin auffallend behände, um seinen Überlebenswillen dann doch im Whiskeyrausch zu ertränken. Sandrine Zenner setzt schlussendlich in der Rolle der Cathleen mit einem darstellerisch bemerkenswert ausdrucksvollen Monolog, der das Schicksal der Familie selbstbewusst kritisiert, Akzente.
Sparsamkeit scheint nicht nur bei der Auswahl der Requisiten gegeben. Eine klassische Dramaturgie ist in dem Kammerspiel nicht möglich, da man vergebens nach möglichen Wendepunkten der permanent bergabgehenden Handlung sucht. Trotzdem fehlt es Nimz‘ Inszenierung deutlich an Nuancenreichtum oder Spannungsmomenten. Die ewig vorgeführte Trinksucht und das dauernde Hin und Her der Angriffe und Reue nutzen sich alsbald ab. Wenig subtil darf man dann im zweiten Teil des darstellerisch durchaus differenziert dargebotenen Theaterabends in den unteren Rängen im Theaterrauch verschwinden.
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Eines langen Tages Reise in die Nacht von Eugene O’Neill am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 28. Januar 2019 ID 11175
EINES LANGEN TAGES REISE IN DIE NACHT (Schauspielhaus, 24.01.2019)
Inszenierung: Martin Nimz
Bühnenbild: Sebastian Hannak
Kostüme: Jutta Kreischer
Video: Thorsten Hallscheidt
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Male Günther
Besetzung:
James Tyrone … Wolfgang Rüter
Mary Tyrone … Sophie Basse
James Tyrone Jr. … Sören Wunderlich
Edmund Tyrone … Gustav Schmidt
Cathleen … Sandrine Zenner
Premiere am Theater Bonn: 18. Januar 2019
Weitere Termine: 01., 16., 20., 24.02./ 10., 21.03.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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