Modernisierter
Yerma-Jammer
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Yerma an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Thomas Aurin
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Bewertung:
Simon Stone hat nach Medea am Burgtheater wieder ein Stück aus seiner internationalen Arbeit an Amsterdamer und Londoner Bühnen für den deutschen Theatermarkt recycelt. Seine Inszenierung von Yerma für die Schaubühne am Lehniner Platz ist eine moderne Adaption des Theaterstücks von Federico García Lorca. Stone verlegt die Handlung über eine Bäuerin, die obsessiv schwanger werden will, vom ländlichen Spanien in eine europäische Metropole unserer Zeit. Die Titelfigur Yerma ist hier eine erfolgreiche Journalistin, die sich als Frau entgegen der Originalversion Lorcas nicht allein über die biologischen Funktionen ihres Körpers definiert und darüber nach persönlicher Freiheit giert.
Yerma, verkörpert von Burgtheater-Star Caroline Peters, die schon öfter in Stones Theater-Produktionen (Medea) besetzt war, geht hier offensiv mit ihrem Empfängnisproblem um und postet typisch für die Instagram-affine Informations-Gesellschaft ihre Gedanken darüber in einem Lifestyle-Blog. Ihr Mann John (Christoph Gawenda) setzt die eigene Freiheit und Karriere über die Liebe und den Kinderwunsch seiner Frau. Zwei Ego-Shooter der durchkapitalisierten neoliberalen Business-Welt im Ehe-Clinch. Lorcas Kritikansatz an der traditionellen „Mutterideologie“ im modernen Beziehungs-Check. Gawenda gibt den modernen Mann ganz heutig als Zwitter zwischen verständnisvoll und genervt. Da siegt letztendlich die Bequemlichkeit. Wird es kompliziert, tritt er den Rückzug an. Schon allein weil der obsessive Kinderwunsch irgendwann ziemlich ins Geld geht.
Interessant könnte hier aber vor allem der Altersunterschied zum Original sein. Yerma als späte Mutter, die ihre Empfängnis nach dem Karriereplan terminiert, wie wir es immer wieder von Promi-Müttern jenseits der Vierzig erfahren. Auch das ein zunehmendes gesellschaftliches Problem, ähnlich dem einstigen Rollen-Klischee als Gebärmaschine und Muttertier. Sehr viel weiter scheint man da auch heute noch nicht gekommen zu sein. Leider bildet die erneut als knallige TV-Soap konzipierte Inszenierung des australischen Regisseurs Simon Stone das Problem nicht wirklich ab. Einzig die Darstellungskünste des gut ausgewählten Ensembles, allen voran Caroline Peters, lassen einen so halbwegs bei der Stange bleiben. Es ist schon bemerkenswert, wie sich die Peters emotional in die obsessive Rolle der für Yerma so tragischen Empfängnislosigkeit hineinsteigern kann.
Da bleibt auch nicht viel Platz für Argumente von anderer Seite, wie etwa von der Mutter (Ilse Ritter), die als „Feministin der ersten Stunde“ der Tochter ihre Probleme mit dem Kinderkriegen und der eigenen Selbstverwirklichung recht nüchtern darlegt. Auch so ein gesellschaftliches Phänomen ist ja der Backlash alter Rollenbilder selbst unter modernen Frauen in gehobenen Jobs. Da hilft dann auch keine Quote für Managerinnen, sondern eher ein generelles Umdenken in der Gesellschaft. Für das war es bei Lorca wohl noch zu früh. Hier aber ganz offensichtlich kommt jede Hilfe zu spät. Der Druck auf Yerma vor allem angesichts leichten, ungewollten Kinderglücks ihrer Schwester Maria (Jenny König) bleibt bestehen und wächst sich zur alles erdrückenden Psychose aus. Das Kinderkriegen als „Projekt“, da kann und will die erfolgsgewohnte Karrierefrau nicht scheitern.
Das alles spielt sich wie so oft bei Simon Stone hinter Glas mit Mikroport-Verstärkung ab. Die bürgerliche Gesellschaft eingesperrt in festgefügten Lebenszielen und einer Eigentumswohnung mit Dachterrasse. Die sonst leere Bühne von Lizzie Clachan ist mit Umzugskisten des Paars, dann Wohngruppe und Leuchtgirlanden bestückt. Ein wenig spiegeln sich da auch die Jahreszeiten als untrügliche Symbole des Werdens und Vergehens. Da will es sich wer im privaten Leben schön einrichten und scheitert nicht nur an bürgerlichen Konventionen, sondern vor allem am persönlichem Druck, der eine Beziehung auseinandertreibt, die wohl schon vorher nicht wirklich funktioniert hat. Das Kind als gesellschaftlich nötiges Accessoire und Beziehungskitt.
Der spanische Dichter Lorca bezeichnete sein Werk selbst als „Tragische Dichtung“. Tragisch ist bei Stone lediglich noch die ewige Psychopathologisierung seiner Bühnen-Heldinnen. Die Frau in Rage bringt hier mal nicht die eigenen Kinder um, oder ersticht ihren unbelehrbaren Macho-Mann, sondern entleibt sich schlussendlich selbst. Showdown-Exzess, Problem ungelöst. Ein tiefschwarzer Gesellschaftsbefund, der einen mehr oder weniger unbefriedigend erscheinen mag. Dennoch emphatischer Applaus für emphatisches Spiel als Hochglanzboulevard mit Katzen-Jammer.
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Yerma an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Thomas Aurin
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Stefan Bock - 30. Juli 2021 ID 13059
YERMA (Schaubühne Berlin, 29.07.2021)
Regie: Simon Stone
Bühne: Lizzie Clachan
Kostüme: Alice Babidge
Musik und Ton: Stefan Gregory
Licht: James Farncombe
Dramaturgie: Nils Haarmann
Besetzung:
Yerma ... Caroline Peters
John ... Christoph Gawenda
Mary ... Jenny König
Victor ... Konrad Singer
Helen ... Ilse Ritter
Des ... Carolin Haupt
Premiere war am 27. Juli 2021.
Weitere Termine: 31.07. / 01., 03., 04., 05., 06., 07., 08., 10., 11., 12., 13., 14.08.2021
Eine Produktion des Young Vic Theatre London
Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de
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