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Repertoire

Geschlechter-

rollen



Der Vater von August Strindberg an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Bewertung:    



Das Spiel mit Geschlechterrollen ist aus dem postdramatischen Theater nicht mehr wegzudenken. Dass sich Gendertheorien auch anhand des Stücks Der Vater (1887 vom späten Frauenhassers August Strindberg geschrieben) durchspielen lassen, lässt aber zumindest kurz aufhorchen. Nicolas Stemann, ab 2019 Intendant am Schauspielhaus Zürich, hatte Strindbergs Geschlechterkampfdrama, in dem eine Frau ihren Mann in Bezug auf die Erziehung der Tochter und schließlich auf die in Zweifel gezogene Vaterschaft selbst in den Wahnsinn treibt, für die Münchner Kammerspiele neu inszeniert.

Ein durchaus typischer Stemann, der in seiner Zeit als Hausregisseur an den Kammerspielen des nun ebenfalls bald scheidenden Intendanten Matthias Lilienthal kaum einmal wirklich sein Können unter Beweis stellen konnte. Sicher nicht der einzige Grund, warum das Experiment für mehr Theater mit performativen Elementen beim Münchner Publikum und schließlich auch der konservativen Kulturpolitik nicht so besonders gut ankam. Das Experiment mit Strindberg klang nun zum guten Ende der Zusammenarbeit allerdings nochmal ganz spannend und schien durchaus gelungen zu sein.

*

Das liegt sicher auch an der Besetzung des Ex-Hamburgers Daniel Lommatzsch als Rittmeister Adolf und der aus Salzburg stammenden Julia Riedler als seine Gegenspielerin und Frau Laura. Beide spielen sich zu Beginn im munteren Schlagabtausch die Wortbälle und ihre Rollen wechselnd gegen den Genderstrich zu. So ist jeder mal Rittmeister oder Laura, aber auch die Rollen des Pastors und des Soldaten Nöjd, der das Dienstmädchen Emma geschwängert hat, seine Vaterschaft aber bezweifelt, geben beide lässig im geschlechtsneutralen Overalls (Kostüme: Marysol del Castillo) auf dem Sofa, das auf der von Katrin Nottrodt mit hoch- und herunterfahrenden Stehlampenlaternen ausgerüsteten Bühne steht. Als weiteres Phallussymbol dienen die nicht nur oral genutzten Mikros.

Erst nach und nach werden die Rollen durch geschlechtstypische Kostümteile zugeschrieben. Die traditionelle und soziale Zuordnung zum biologischen Geschlecht. Dieses recht offene System behält die Inszenierung auch bei der Tochter Bertha bei, die als binäres Zwitterwesen von Zeynep Bozbay und Benjamin Radjaipour gespielt wird. Nur die beiden Live-Musiker Thomas Kürstner und Sebastian Vogel tragen als naturalistisches Alibi-Strindberg-Paar passende Kostüme aus der Biedermeierzeit, als der Mann noch die Hosen anhatte.

Der Rittmeister will seine Tochter dem Einfluss seiner Frau und der frömmelnden Großmutter entziehen und in Pension bei einem Freidenker in der Stadt geben. Sie soll Lehrerin und nicht Künstlerin werden, wie es die Mutter will. Hier entbrennt nun der Kampf zwischen Frau und Mutter, die sich ihr Kind nicht wegnehmen lassen möchte und dem Mann und Vater, der seine Tochter als sein Eigentum ansieht und allein die Entscheidungsgewalt über Familie, Finanzen und Erziehung beansprucht, zumindest so lange, wie die Vaterschaft als erwiesen gilt. An dem Punkt setzt Laura an und raubt dem Manne, geschickt Zweifel streuend, nach und nach die Gewissheit und Allmacht. Der gordische Knoten der scheinbar unvereinbaren Interessen kann nur zerschlagen werden. Der Stärkere soll den Kampf der Geschlechter gewinnen. Dauernd werden Mann und Frau gegeneinander ausgespielt, heißt es da bei Strindberg. Und während der Rittmeister noch was von der Stute und dem Zebra erzählt, versucht die Frau ihn schon hinter seinem Rücken für verrückt erklären zu lassen.

Nicolas Stemann lässt das natürlich nicht so wie von Strindberg erdacht vom Blatt spielen, die wissenschaftliche Bücherkiste des Rittmeisters, Stein des Anstoßes für seine Zurechnungsfähigkeit, entpuppt sich hier u.a. auch als Fundgrube für radikalfeministische Fremdtexte wie etwa das Scum-Manifest von Andy-Warhol-Attentäterin Valery Solanas, was von den beiden Berthas genüsslich an der Rampe vorgelesen wird. Mutter Laura sucht im Publikum nach dem Arzt, der die Entmündigung ihres Mannes vorantreiben soll. Etwas Interaktion als ironische Auflockerung des naturalistischen Psychodramas. Als musikalischer Männer-Zoten-Backlash kommt der Chor Camerata Vocale München in karierten Holzfällerhemden zum Einsatz und singt vom Studium der Weiber aus Franz Léhars Operette Die Lustige Witwe oder "Olé, wir fahr'n in Puff nach Barcelona" und anderes vom bierseligen Männer-Stammtisch. Die beleidigte Krönung der Schöpfung wird dann anschließend aus dem Hintergrund von Laura mit einem symbolischen Schnipp-Schnapp entmannt.

Damit der Abend nicht doch noch ganz ins Komödiantische abkippt, gibt Wiebke Puls den dritten Akt als eindrucksvolle Solonummer. So verschmelzen der Rittmeister und seine Frau Laura nicht nur per Videoprojektion zu einer Person. In Wiebke Puls sind die beiden Streitenden noch einmal vereint. Vielleicht auch nur im zerrütteten Geiste des Rittmeisters, der sich bei Strindberg am bitteren Ende die Zwangsjacke willenlos anziehen lässt. Der Erzeuger und Ernährer hat seine Schuldigkeit getan und kann die Herrschaft abtreten. Bei Puls ist das nochmal große psychologische Schauspielkunst und doch auch irgendwie wieder nicht. Sie spielt cholerischen Anfall mit Zerstörungswut und freiwilliges Anziehen der Zwangsjacke als Eingeständnis der eigenen Ohnmacht. Eine Niederlage durchaus für beide Seiten. Wo liegt die Schuld? Wo ist die Liebe hin? Das sind die Fragen für die Zukunft. Da bleibt auch jenseits des Machtdiskurses weiterhin noch jede Menge zu tun.



Der Vater von August Strindberg an den Münchner Kammerspielen | Foto (C) Thomas Aurin

Stefan Bock - 10. Juli 2018 (2)
ID 10797
DER VATER (Kammer 1, 07.07.2018)
Inszenierung: Nicolas Stemann
Bühne: Katrin Nottrodt
Kostüme: Marysol del Castillo
Video: Claudia Lehmann und Lilli Thalgott
Musik: Thomas Kürstner und Sebastian Vogel
Licht: Charlotte Marr
Dramaturgie: Benjamin von Blomberg
Mit: Zeynep Bozbay, Daniel Lommatzsch, Wiebke Puls, Benjamin Radjaipour und Julia Riedler sowie der Camerata Vocale München
Premiere an den Münchner Kammerspielen: 29. April 2018
Weiterer Termin: 18.07.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.muenchner-kammerspiele.de


Post an Stefan Bock

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