Männerfiguren zwischen Revolte, Resignation und Hoffnung (1)
KÖNIG LEAR
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Edgar Selge als König Lear am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn
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Bewertung:
Pop und Protest - so heißt eine Ausstellung zum 1968er Revoltejahr im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Darin wird der politischen und kulturellen Revolution gegen die alten, überkommenen gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland gedacht. Pop und Protest bzw. Revolte gibt es auch im Deutschen Schauspielhaus Hamburg - gleich gegenüber gelegen - zu sehen.
Zum Spielzeitauftakt im Oktober revoltierte die Jugend gegen die alten Väter in Shakespeares König Lear. Den Pop gab es im November mit der Rockoper Lazarus von David Bowie und Enda Walsh.
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In der König Lear-Inszenierung von Schauspielhausintendantin Karin Beier ist die Revolte gegen den „Muff von 1000 Jahren“ sogar eine Gender-Cross-Geschichte. Bereits 2009 hatte sie in Köln Shakespeares Tragödie des alternden König Lear, der sein Reich an seine drei Töchter abtreten will, sich dabei von zweien schmeicheln lässt und die wahrheitsliebende Tochter Cordelia verstößt, nur mit Frauen besetzt. Nun treten Samuel Weiss und Carlo Ljubek im Travestie-Wettstreit als Lear-Töchter Regan und Goneril auf, wobei sie sich ein Gesangs-Battle liefern. Dagegen zieht Lina Beckmann als Cordelia klar den Kürzeren und wird von der Preisverleihung ausgeschlossen, darf aber später als Narr ihrem Vater die verdienten Leviten lesen. Edgar Selge schreitet als Lear gleich zu Beginn sein altes Reich ab. Es ist von Bühnenbildner Johannes Schütz in einen weißen Kubus gepresst worden. Darin ein bunter Lappen, den der Alte an seine verbliebenen konkurrierenden Töchter mit der Zusage, auf Kost und Logis wechselnd bei ihnen vorbeischauen zu dürfen, verscherbelt.
Soweit der bekannte Shakespeare-Plot, der auch hier in Hamburg den Rahmen bildet. Dazu die Nebenhandlung des Grafen Gloucester (Ernst Stötzner) und seiner beiden ebenfalls ums Erbe konkurrierenden Söhne Edgar und Edmund. Wobei Sandra Gerling („I’m Eddy motherfucking the first“) den intriganten Bastardsohn geben darf und der in die Flucht geschlagene Jan-Peter Kampwirth als armer Tom dem dem Wahnsinn anheimfallenden Lear als nackter weißgekalkter philosophischer Weggefährte dienen muss. Von den beiden Transtöchtern in den Sturm geschickt, bleiben dem alten Lear nur noch sein Narr und der sich verstellende Kent, den Matti Krause als Mann aus dem Volk mit den Fredericus-Rex-Strophen auch die Züge der reaktionären Gegenrevolte eines königstreuen Landsers verleiht. „Ha! Ha! Said the Clown“ spielt Yuko Suzuki dazu auf dem Klavier.
Karin Beier legt hier thematisch viele Spuren aus, die aber als Ganzes nicht so recht zueinander finden wollen. So kommt es, dass zwar der Vater-Töchter-Streit sehr viel Raum einnimmt, Lina Beckmann als Cordelia/Narr ein paar schöne Auftritte hat, wenn sie Lear als verstoßene Tochter sanft das Haar kämmt und dem irren Alten dann als Narr die schütteren Fransen hochtoupiert. Aber der Nebenstrang um Gloucesters Bastardsohn Edmund scheint hier fast der interessantere zu sein. Das gendergeswitchte Dreigestirn, ergänzt noch um den androgynen Diener Oswald (Maximilian Scheidt) im mintgrünen kurzen Schlafanzug kämpft um die Macht im Königreich. Und wenn das Trans-Trio infernale mit schwarzer Tarnfarbe im Gesicht und wallendem Federkopfputz zum Krieg gegen Frankreich bläst, da wähnt man sich fast schon im Vorprogramm zum David-Bowie-Musical Lazarus.
So richtig findet sich da auch Edgar Selge als irrlichternder Lear nicht in die große Entertainerrolle, die er noch in Karin Beiers jüngst an der Berliner Volksbühne gastierenden Houellebecq-Inszenierung Unterwerfung inne hatte, zumal ihm am Ende, wenn alles bereits am Boden liegt, Jan-Peter Kampwirth nochmal in einer Todeschoreografie als fast schon heiner-müllerndes Orakel auf der Leiche Vergangenheit tanzend in einem langen Schlussmonolog die Show stiehlt. Das Jüngste Gericht der Jungen, die keine Erbmasse, sondern Dynamit sein wollen. Das klingt verdammt nach Nietzsche.
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König Lear am Deutschen Schauspielhaus Hamburg | Foto (C) Matthias Horn
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Stefan Bock - 1. Januar 2019 ID 11123
KÖNIG LEAR (Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 27.12.2018)
Regie: Karin Beier
Bühne und Kostüme: Johannes Schütz
Kostümmitarbeit: Astrid Klein
Musik: Jörg Gollasch
Licht: Annette ter Meulen
Ton: Hans-Peter "Shorty" Gerriets und Lukas Koopmann
Dramaturgie: Christian Tschirner
Körpertraining: Valenti Rocamora i Tora
Artistik Trainer: Jevgenij Sitochin
Mit: Lina Beckmann, Sandra Gerling, Jan-Peter Kampwirth, Matti Krause, Carlo Ljubek, Maximilian Scheidt, Edgar Selge, Ernst Stötzner und Samuel Weiss sowie den Musikern Akiko Kasai und Yuko Suzuki
Premiere war am 19. Oktober 2018.
Weitere Termine: 02., 04., 05.01. / 09.02. / 09., 17., 18., 31.03. / 26., 27.06.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielhaus.de
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