Triebe
und
Hiebe
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Liliom am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Bewertung:
Es kann im Leben immer rasch, rapide rasch bergab gehen. Und man darf auch mal liegenbleiben, wenn man am Boden ist. Aber dauerhaft sollte man dies nicht tun, sondern langsam versuchen zu erspüren, was einen vielleicht doch noch trägt.
Liliom lebt ganz nach dem Lustprinzip. Er ist ungehobelt, frech, asozial und unangepasst. Er arbeitet auf einer Kirmes als Ausrufer für Frau Muskat und ihr Karussell. Hier geben sich einfache Bürger zwischen Zartheit und Brutalität dem Vergnügen, der Ablenkung möglicher Illusionen hin. Frauenschwarm Liliom trifft als Platzhirsch des Rummelplatzes auf die hübsche, karussellfahrende Julie, ein einfaches Dienstmädchen. Als er ihr offenkundig Avancen macht, reagiert Frau Muskat eifersüchtig. Seine Dienstherrin schmeißt ihn prompt raus. Liliom und Julie sitzen nun auf der Straße. Liliom übernimmt auch keine Verantwortung, nachdem er Julie geschwängert hat.
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Der ungarische Dramatiker Ferenc Molnár (1878-1952) erzählt in seinem wohl berühmtesten Theaterstück Liliom in sieben Bildern ein Sozialdrama von einer seelischen, emotionalen und finanziellen Misere eines verarmten, perspektivlosen Paares. In Sascha Hawemanns Inszenierung am Theater Bonn sticht anfangs das großartige Bühnenbild von Wolf Gutjahr hervor. Zahllose meterlange, herabhängende und herunterfahrbare Lichterketten in unterschiedlichen Farben schaffen eine glitzernde Jahrmarktatmosphäre voller Künstlichkeit. Es gibt eine fahrbare hintere Bühnenwand mit in regelmäßigen Abständen integrierten Lichtern. Sie ist als bewegliche Guckkastenbühne, die mal Räume schafft und mal beengend nach vorne drängt, sehenswert. Schlussendlich bereichern auch andere fahrbare Elemente wie ein beengender Raum als Aufenthaltsort Lilioms und Julies oder eine Jukebox den Bühnenraum.
Gleich zu Anfang liegt in der künstlich-trostlosen Jahrmarktatmosphäre nackte Brutalität in der Luft. Die Damen trippeln auf High Heels oder bewegen sich auf Rollschuhen. Nach einigem Geplänkel giften sie sich gegenseitig ohne triftigen Grund an, als würden sie so ihr Revier markieren. Die Herren der Schöpfung präsentieren sich oberkörperfrei und bringen ihr Hüftspeck zu Rhythmen von den Sex Pistols oder „Get down on it“ von Kool & The Gang zum Schwingen. Sie versuchen sich auch an einer freien Improvisation zu Scatman Johns „ski-ba-bop-ba-dop-bop“ und schaffen es, das Interesse des schönen Geschlechts zu wecken. Alle tragen selbstbewusst dunkelfarbene Tattoos wie in Rockerkreisen zur Schau. Auffällig und betont cool lässt sich dies auch als Stigma oder Insignie des Proletariats oder unterer Bildungsschichten deuten (Kostüme: Ines Burisch).
Viel wird geschrien und gezetert. Liliom und sein guter Kumpel Ficsur wühlen buchstäblich im Dreck. Sie sind lustvoll gewalttätig und gleichzeitig lethargisch in ihrer eingeschränkten Sicht auf die Welt und fehlenden Perspektiven oder Ideen gefangen.
Holger Kraft versprüht in der Titelrolle des Spielers, Schlägers und Aufreißers Liliom einen großspurig-enthemmten Machismo-Charme. Er wirkt in den stärksten Momenten wie ein abgehalfterter Anarcho-Rocker. Insbesondere seine Gewaltexzesse erscheinen einigermaßen hilf- und planlos. Ursula Grossenbacher mimt die fauchende, lüsterne und rasend eifersüchtige Frau Muskat als mondäne Schlampe, die darum kämpft Liliom dominieren zu können. Krampfhaft klammert sie sich an die Hoffnung mit Lilioms Schicksal irgendwann Frieden schließen zu können. Annina Eulings Julie bleibt bis zum Ende hin einigermaßen farblos. Doch schlussendlich darf sie einen eindrucksvoll zaghaften, bewusst Fragen offen lassenden Schlussmonolog sprechen, in dem sie Liliom leise anklagt, sie geprügelt zu haben. Heimlicher Star des Abends ist jedoch Christoph Gummert in mehreren, kleineren Rollen. Er belebt die Bühne durch tänzerisch ausdrucksstarke, sehr elegante und konzentrierte Performances. Temporeich, leichtfüßig und geradezu köstlich verkörpert er gegen Ende göttliche Betriebsamkeit.
Leider können jedoch auch Gummerts schillernde Auftritte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Vorführung insgesamt an Dynamik, Einfalls- und Pointenreichtum fehlt. Immer wieder schwächelt das Stück aufgrund von in die Länge gezogenen Schweigeminuten oder essenzlos lärmendem Geschrei der Figuren. Obwohl Unmengen von Kunstblut zum Einsatz kommen, es zahllose Papierkonfetti und auch ausgespuckte Apfelstückchen regnet, entsteht keine Spannung. Einige Einfälle wirken einigermaßen obskur, etwa wenn sich Glaswasserflaschen unter einem Waschbecken stapeln und die Figuren sie nacheinander in das Becken entleeren. Vieles wirkt hier übertrieben, kindisch oder inhaltsleer. Gegen Ende bleibt so vor allem die Frage nach einer Botschaft dieser recht klischeereichen Milieustudie.
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Christoph Gummert als tanzender Herr Gott im Himmel (vorne), assistiert von Lena Geyer und Timo Kählert als Gottesbeamte sowie Holger Kraft als Liliom (hinten) am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 25. Februar 2019 ID 11245
LILIOM (Schauspielhaus Bonn, 21.02.2019)
Regie: Sascha Hawemann
Bühne: Wolf Gutjahr
Kostüme: Ines Burisch
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Besetzung:
Liliom … Holger Kraft
Julie / Luise … Annina Euling
Marie / Gottes Beamter … Lena Geyer
Frau Muskat … Ursula Grossenbacher
Ficsur / Gottes Beamter … Timo Kählert
Erzähler, Polizist, Frau Hollunder, Wolf Beifelder u.a. … Christoph Gummert
Piano … Emanuel Tandler
Premiere am Theater Bonn: 15. Februar 2019
Weitere Termine: 26.02. / 08., 24., 30.03./ 03., 07., 13.04.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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