Schaulaufen
bis zum bitteren
Ende
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Der Menschenfeind am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Bewertung:
Eitle Gecken frönen lasziv, affektiert und selbstgefällig dem Hedonismus. Von lustvoller Selbstpreisgabe künden bereits die Kostüme, die sich in Ausgefallenheit, Sexiness und knalliger Schrillheit wiederholt übertrumpfen. Die gebürtige US-amerikanische Kostümbildnerin Cary Gayler entwarf wahre Hingucker in irren Formen und Farben, die nicht zuletzt auch als Dragqueen-Outfits beim Cologne Pride Anklang finden dürften.
Der französische Dramatiker Molière schrieb Der Menschenfeind 1666 für das Palais Royal Ludwig XIV. in Paris. Molière porträtierte in seiner Komödie die leblose, bornierte, oberflächliche und in Konventionen erstarrte höfische Gesellschaft des 17. Jahrhunderts. Der Autor spielte bei der Uraufführung selbst die Titelrolle des Alceste. Am Theater Bonn inszeniert Regisseur und Autor Jan Neumann den Menschenfeind nun nach der Übersetzung Hans Magnus Enzensbergers von 1979. Dessen Neufassung wurde wiederum vom Ensemble durch aktuelle Bezüge in der vergnügungssüchtig-hedonistischen Jetztzeit der Selfie-Sucht und Schickeria verortet.
Schauspieler mischten sich noch vor Beginn unter das Publikum. Sie wenden sich auch als Figuren immer wieder an ihre Zuschauer. Die Figur des Dichters Alceste legt als Außenseiter im achtköpfigen Ensemble die Inszenierung wiederholt als Inszenierung offen, während die anderen Figuren das Publikum als Party-Gäste miteinbeziehen, sie zum Tanz auffordern oder auch in der Theaterpause mit ihnen liebäugeln.
Alceste erscheint als kompromissloser Idealist auf einer Party seiner Geliebten Célimène. Er trägt im Verlauf der Vorführung verschiedene Outfits, die Muster aus rohem Fleisch abbilden. Sie betonen so seine nackte Dünnhäutigkeit gegenüber der ausgelassenen Partygesellschaft. Temperamentvoll, idealistisch und einigermaßen exzentrisch spricht der Poet in klassischen Endreimen. Er wettert gegen gesellschaftliche Heuchelei, unehrliche Floskelhaftigkeit und eine Entwertung des Gesagten.
Als sein Widerpart brilliert die schöne Célimène, die als Gastgeberin glamourös und selbstbewusst mit einer gewinnenden, unverbindlich-oberflächlichen Art auftritt. Die junge Diva, eine kokette und wankelmütige Witwe, weiß sich stets ins rechte Licht zu setzen. Sie wird wie ein Star von ihren Verehrern umschwärmt. Regelmäßig kämpft sie mit Verve gegen Alcestes Aversionen an, während er kompromisslos harsch gegen die allgemeine Oberflächlichkeit ihrer Partygesellschaft wütet.
Luftballons und Konfettikanonen, Wind- und Nebelmaschinen und ein Bad mit goldenen Bällen dienen als bewegte Kulisse vor schwarzfarbigen Hintergrund. Später tragen die Darsteller Masken, wie im venezianischen Karneval. Dies betont auch die ausdruckslose Ungerührtheit angesichts gesellschaftlicher Intrigen mit durchaus zerstörerischem Ausgang.
Neumanns Inszenierung ist aufgrund der leidenschaftlichen darstellerischen Leistungen von Daniel Stock als Alceste und Annika Schilling als Célimène besonders im ersten Teil vor der Pause ein furioser Hochgenuss. Auch das übrige Ensemble reißt mit und agiert energiegeladen, etwa wenn die Figuren sich auf der Party ausgelassene Schlagabtausche liefern oder zu Medleys von Schlagern wie Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ tanzen. Während Lena Geyer als Éliante insbesondere im zweiten Teil leider etwas zu blass, backfischartig-bieder und auch von der Stimmmodulation her zu wenig wandlungsfähig erscheint, setzen Lydia Stäubli als Arsioné, Christian Czeremnych als Philinte und Bernd Braun als Oronte durchaus packende Akzente. Nicht nur für leicht erregbare Misanthropen, die wie Alceste kein gutes Haar auch an jedweder Journaille lassen, also sehr sehenswert.
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Der Menschenfeind am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu
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Ansgar Skoda - 11. Dezember 2018 ID 11096
DER MENSCHENFEIND (Schauspielhaus, 06.12.2018)
Inszenierung: Jan Neumann
Bühne: Matthias Werner
Kostüme: Cary Gayler
Musik: Johannes Winde
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Carmen Wolfram
Besetzung:
Alceste … Daniel Stock
Célimène … Annika Schilling
Arsioné … Lydia Stäubli
Éliante … Lena Geyer
Philinte … Christian Czeremnych
Oronte … Bernd Braun
Acaste … Klaus Zmorek
Clitandre … Benjamin Morik
Premiere am Theater Bonn: 1. Dezember 2018
Weitere Termine: 14., 25., 31.12.2018 // 05., 13., 19., 23.01.2019
Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de
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