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Rosinenpicken (503)

Schutzbefohlen

im Atombunker



Ute Eisenht als Ester - Königinn von Persien im Atombunker Köln Kalk | Foto (C) Kölner Offenbach-Gesellschaft / Kay-Uwe Fischer

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In Zeiten des Kalten Krieges wog man sich tatsächlich in der Annahme, bei einem plötzlich sich ereignenden Atomschlag jede Menge Leute vor ihm retten zu können, indem man sie in eigens hierfür konstruierte und gebaute Atombunker "in Sicherheit" zu bringen trachtete, um sie dortselbst für eine zeitlich begrenzte Dauer zu versorgen - bis die Luft (überm Atombunker) dann wieder rein wäre. Eine schier törichte Idee, wie wir als allseitig Atomschlagaufgeklärte heute wissen. Nein, es gäbe/gibt für solche eintretenden Fälle selbstverständlich keinerlei lebenserhaltungsmäßigen Atomschlagschutz; und je nachdem wie groß ein solcher Einschlag wäre, würde höchstwahrscheinlich nur noch (und von wem dann eigentlich?) der jeweils festzustellende Pulverisierungsgrad von menschlicher Materie (und womöglich auch im Bunker, wohl gemerkt) ermittel- oder meesbar sein... Ein wahrlich trostloser Gedanke, finden Sie nicht auch?

Aber die Hoffnung stirbt nun mal zuallerletzt.

*

Im alten Persien (um an dieser Stelle einen sportlichen Gedankensprung zu wagen) hatte man zu seiner Zeit ganz andere Probleme; beispielsweise galt es (nachzulesen im Buch Esther, Hebräische Bibel oder/und Altes Testament) die dortselbst ansässigen Juden vor den blutrünstigen Nachstellungen des unter dem Perserkönig Ahasveros diensttuenden "Kanzlers" Haman lebensrettend zu bewahren, dieser wollte nämlich per Erlass so was wie eine Endlösung sprich Ausrottung geschehen lassen, dass der Iran sozusagen endlich judenfrei würde - ja und obgleich der Perserkönig, was er aber zu der Zeit nicht/noch nicht wissen konnte, mit der Jüdin Ester verheiratet gewesen war; und weil er sie nun einmal auf das Unsterblichste liebte, auch nachdem sie ihm dann ihre wahre Herkunft eingestand, ging jener blutrünstige Plan von seinem judenhasserischen "Kanzler" letzten Endes doch nicht auf, und alles wurde nochmal gut...


"Zum Purimfest ist es seit alters her jüdischer Brauch, zu singen, zu tanzen und sich zu verkleiden – ganz ähnlich wie im Karneval. Ausgelassen gefeiert wird das Überleben des jüdischen Volkes im persischen Exil. Die Heldin und Retterin ihres Volkes ist Esther, der das gleichnamige Singspiel von Isaac Offenbach gewidmet ist. [...]

Isaac Offenbach hat dabei nicht nur das Theaterstück für eine Aufführung zum Purimfest 1833 in Köln, sondern auch die Musik dazu komponiert und es im Familienkreis inszeniert, vermutlich zuhause in der Kölner Glockengasse. Ein Stück häusliches Musiktheater, das ernste Themen humoristisch behandelt. [...]

Nur mit detektivischem Spürsinn war das wertvolle Manuskript des Singspiels wieder aufzufinden, das vermutlich Jacques Offenbachs jüngste Tochter Julie Grünewald mit in die USA nahm. Heute befindet sich das Werk in der 'Offenbach Collection' der Bibliothek des Hebrew Union College Cincinnatti/New York. Die Bibliothek hat das Manuskript online gestellt und so der Kölner Offenbach-Gesellschaft ermöglicht, das Stück im Offenbach-Jahr aufzuführen."

(Quelle: Kölner Offenbach-Gesellscaft)



* *

Der künstlerische und v.a. intellektuelle Alleskönner Thomas Höft hatte nun die grandios zu nennende Idee, das mit jüdischem (Überlebens-) Witz geradezu gesegnete Singspielchen Ester, Königinn von Persien im noch immer andauernden Jubiläumsjahr zum Zweihundertsten von Jacques Offenbach - auch oder weil besagtes Stückchen von Jacques' Vater Isaac stammt - in dem ehemaligen Zivilschutzbunker an der Kölner U-Bahn-Station "Kalk Post" aufführen zu lassen à la Schutzbefohlen im Atombunker; und somit schließt sich flugs der Kreis zu den zwei obig angeritzten Themata.

Die etwas über eine Stunde währende Performance wurde als (spätestens seit dem FUGIT-Projekt in der Domstadt ausprobierten also funktioniert habenden) Mitmachtheater absolviert. Auch war ein Teil der damaligen FUGIT-Mitstreiter wieder dabei, allen voran Adrian Schvarzstein, der als Bunkerwart für die wegweisenden und ordnenden Bewegungsabläufe des Publikums agierte; außerdem war seine zauberhafte Stimme ur-urplötzlich aus den noch weit tieferen Gefilden des bespielten Untergrunds zu hören.

Die gerade mal drei notenmäßig wie auch textlich festgestellten Nummern jener Isaac'schen Ester (Lied der Ester, Lied des Narren und "So leben wir") fanden in Ausführung durch Sopranistin Ute Eisenhut, Bariton Marek Reichert sowie Geigerin Christine Moran als auch Gitarrist Izhar Elias adäquateste Entsprechungen.

Genial wohl auch diese Idee, das gesellschaftspolitische Endzeitgeschehen, also außerhalb des die Juden schützenden Bunkers, durch heutigende "Originalzitate" von Radio Teheran zu kommunizieren; die antisemitische Propaganda schien diesbezüglich auf Hochtouren zu laufen, und der Höft brillierte als antijudenerlassproklamierender "Kanzler" Haman - harter Tobak; kam dann auch nicht unbedingt bei allen Un-Beteiligten so komisch an wie es gedacht gewesen schien...

Alles in allem freilich:

Ein "besinnlicher" und mehr noch theatraler Wurf der absoluten Sonderklasse!!!!!



Gruppenbild für Ester - Königinn von Persien im Atombunker Köln Kalk | Foto (C) Kölner Offenbach-Gesellschaft / Kay-Uwe Fischer

Andre Sokolowski - 18. November 2019
ID 11827
ESTER - KÖNIGINN VON PERSIEN (Atombunker Köln Kalk, 16.11.2019)
Ein interaktives Musiktheaterstück

Regie: Thomas Höft
Ausstattung: Suzanne Harkämper
Mit: Ute Eisenhut (Sopran), Marek Reichert (Bariton), den Schauspielern Claudio Levati, Santiago Rovira und Adrian Schvarzstein sowie Christine Moran (Violine) und Izhar Elias (Biedermeiergitarre)
Premiere war am 13. November 2019.
Eine Eigenproduktion der Kölner OffenbachGesellschaft


Weitere Infos siehe auch: https://www.koelner-offenbach-gesellschaft.org/


http://www.andre-sokolowski.de

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