1 Pfund Fleisch
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(C) Shakespeare Company Berlin
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Bewertung:
Die Shakespeare Company Berlin hat Großes in der nahen Zukunft vor (s. u.)!!
Doch zunächst zum Vorgestrigen - da war nämlich letzte Vorstellung vom Kaufmann von Venedig, diese Produktion steht seit fünf Jahren auf dem Spielplan, und ich hatte sie bisher noch nicht gesehen.
Sie hebt gleich von Anfang an auf eine für das folgende Gesamtgeschehen nicht ganz unentscheidende Konstellation ab, dass nämlich Antonio (Oliver Rickenbacher), der besagte Kaufmann von Venedig, in seinen (nicht nur Geschäfts-)Freund Bassanio (Thilo Herrmann) einseitig verliebt ist und er daher - denn auch einseitige Liebe macht angeblich blind - so gut wie alles für ihn tun würde, dass es dem einseitig Geliebten gut und besser als dem einseitig ihn Liebenden (er-)geht; ja und so kam es schließlich auch:
Antonio verschuldet sich beim Juden Shylock (Stefan Plepp), der ihn angeblich nicht nur wegen seines Christseins hasst, und also stellt ihm Shylock eine fiese Falle und verlangt von ihm statt eines im damaligen Venedig üblichen Leihzinses 1 Pfund Fleisch, das er sich aus dem Körper des Verschuldeten herauszuschneiden vorbehält - zu diesem abartigen Vorgang kommt es freilich nicht, auch weil der Rechtsstaat eingreift und schlussendlich eine "Endlösung" bestimmt, die (Überraschung!) Shylock seine nicht nur wirtschaftlichen, sondern auch gesellschaftlichen Existenzgrundlagen raubt; und Shakespeares antisemitische Stück-Essenz soll dahingehend explodieren, dass man derart "abartige" Juden, und wahrscheinlich nicht nur wegen ihrer "Abart" (= 1 Pfund Menschenfleisch statt finanzieller Schuld- und Zinserstattung), einzuhegen resp. zu entrechten hätte. Das ist harter Tobak, und das Sprechtheater muss sich immer wieder fragen lassen, wie es mit Will's Antisemitismus umgeht, denn die abwägbaren Sympathien (die der Stücktext impliziert) richten sich eindeutig mehr auf Antonio statt auf Shylock. Michael Günthers Regie arbeitete das ohne großen Fingerzeig und dennoch deutlich 'raus.
Es sind schauspielerische Glanzleistungen registrierbar, unter anderem der Prinz-von-Arragon-Auftritt von Thilo Herrmann - hierfür gibt es Szenenapplaus. Aber auch Vera Kreyer (unter anderem als harrypottergleicher Rechtsgelehrter Solanio), Kim Pfeiffer (unter anderem als wegen seines biblischen Alters arg sprechbehinderter Doge) und Benjamin Plath (unter anderem als Gratiano oder Lanzelot Gobbo) begeistern ohne Ende.
Zudem musizieren Plepp auf der Klarinette, Rickenbacher auf der Wagnertuba, Plath auf der Posaune, und die andern drei trommeln dazu und/ oder singen wunderschönes A-Capella; also auch vom Musikalischen her: allererste Sahne.
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Der Kaufmann von Venedig bei der Shakespeare Company Berlin | Foto (C) Ingo Woesner
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Übrigens, das erste Mal war ich zu Richard III. (2013) - und das [außer gestern] letzte Mal zur Verlorenen Liebesmühe (2018) bei SHAKESPEARE IM GRÜNEN.
Die Shakespeare Company Berlin versteht sich so:
"Als eines der erfolgreichsten freien Theater Berlins sind wir über die Stadtgrenzen hinaus bekannt für modernes, komödiantisches und musikalisches Bühnenspektakel. Das ist lebendiges und vor allem publikumsnahes Theater, in dem unsere Spieler mit Virtuosität, Leidenschaft und entfesselter Spielfreude ihr Publikum mitreißen und begeistern. Die Shakespeare Company Berlin versteht sich als Theater-Kollektiv und trifft ihre künstlerischen, personellen sowie wirtschaftlichen Entscheidungen basisdemokratisch. Wir stellen somit einen Gegenentwurf zum Intendanten-verwalteten Theaterbetrieb dar. Seit der Gründung der Shakespeare Company Berlin im Jahr 1999 durch den Theatermacher Christian Leonard hat sich ein vielseitiges und unabhängiges Künstlerensemble entwickelt, das aus eigener Kraft einen selbstverwalteten und unabhängigen Theater- und Gastspielbetrieb aufgebaut hat. Es wird getragen von einem wachsenden Netzwerk aus Freunden, Unterstützern und natürlich dem Publikum. Seit 2011 hat die Shakespeare Company Berlin ihre Heimat im Natur-Park Schöneberger Südgelände und baut diesen Standort kontinuierlich aus. 2016 ging die Shakespeare Company Berlin einen weiteren konsequenten Schritt in Richtung Selbstverwaltung, indem 13 Mitglieder des Ensembles eine eigene Betreibergesellschaft gründeten: die Shakespeare in Grün GmbH. Diese ist seit 2017 der Veranstalter unseres Sommerspielbetriebs. Verhandlungen mit dem im Entstehen begriffenen Globe Theater in Berlin haben kein Ergebnis gezeitigt, das unserem Selbstverständnis gerecht geworden wäre. Wir haben diese daher beendet."
(Quelle: shakespeare-company.de)
Die Shakespeare Company Berlin baut sich ein neues Open-Air-Theater, in das sie wahrscheinlich diesen Herbst umziehen will.
Und hierzu fehlen ihr (nach eigenem Bekunden) mindestens noch 30.000 Euro, um den neuen Bau im Sommerbad am Insulaner "mit einer wunderschönen Holzfassade zu verkleiden", wie sie es in ihrem Aufruf zum Crowfunding schreibt.
Das entsprechende Crowfunding-Projekt "zum Mitbauen für alle Fans, Förderer und Sponsoren" ist unter der URL
https://www.startnext.com/shakespeare-theater-am-insulaner
aufrufbar.
Es sind bisher über 10.000 Euro [Stand: 19.07.2021] zusammengekommen...
Viel, viel Glück!!!!!
Bis zum Saisonschluss werden (in dem alten Domizil) noch Maß für Maß (20.-24.07.), Othello (27.-31.07 und 17.-21.08.), Was ihr wollt (03.-07.08. und 24.-27.08.) und Sommernachtstraum (10.-14.08.) zur Aufführung gelangen.
Nichts wie hin!
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Andre Sokolowski - 19. Juli 2021 ID 13034
DER KAUFMANN VON VENEDIG (Naturpark Schöneberger Südgelände, 17.07.2021)
Übersetzung Christian Leonard
Regie: Michael Günther
Musik: Toni P. Schmitt
Kostüme: Gabriele Kortmann
Beratung Maskenbild: Tamara Zenn
Maskenherstellung: Rebekka Schwark
Bühne: Miriam Braunstein
Licht & Technik: Raimund Klaes
Mit: Vera Kreyer, Kim Pfeiffer, Benjamin Plath, Stefan Plepp, Oliver Rickenbacher und Thilo Herrmann
Premiere war im Juni 2016.
Weitere Infos siehe auch: http://www.shakespeare-company.de/
http://www.andre-sokolowski.de
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