Einstürzende
Erwartungen
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Scott Jennings und Julie Shanahan in Palermo Palermo am Tanzhtheater Wuppertal Pina Bausch | Foto © Ursula Kaufmann
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Bewertung:
Die Zuschauer sehen eine fast zugemauerte Bühne. Wenige Minuten später kippt die Steinmauer geräuschvoll nach hinten. Alles bricht ohne Vorwarnung krachend in sich zusammen. Hohlsteine zerbersten zu Einzelblöcken, Staub wirbelt auf. Wenige Wochen vor der 1989er Uraufführung von Pina Bauschs Palermo Palermo im Opernhaus Wuppertal fiel die Berliner Mauer. Doch die Idee zum Mauerbild kam ihr und Peter Pabst gar nicht aus aktuellem oder politischem Anlass. Es sollte für die von verfallenden Altbauten, Armut und Kargheit geprägte Landschaft der titelgebenden Hauptstadt der italienischen Insel Sizilien stehen. Pina Bausch und ihr Ensemble hatten als Vorarbeit für diese Choreographie – einer Koproduktion mit dem Teatro Biondo Stabile in Palermo – ebendiese Stadt besucht. Sie schöpften für die Produktion Bilder aus der alltäglichen Erfahrungswelt und den Erlebnissen vor Ort. Die Tänzerinnen und Tänzer laufen in Palermo Palermo zu u.a. traditioneller Musik aus Sizilien und Süditalien und Kompositionen von Niccolò Paganini teils schwankend auf hochhackigen Schuhen oder barfuß über das wüste Trümmergelände. Auch die Bewohner Palermos passten sich an die teils beschwerlichen Umstände ihres Ortes an.
Fast 30 Jahre nach der Uraufführung sind noch viele prominente Gesichter der Ursprungsbesetzung im Ensemble vertreten. So eröffnet die Australierin Julie Shanahan den Abend mit irritierenden Szenen. Sie mimt eine verzweifelte Frau, die wiederholt wie in hysterischer Panik ihre Tänzerkollegen Scott Jennings und Fernando Suels Mendoza herbeiruft: „Take my hand! Hug me! Kiss me!“ Ihre Anweisungen changieren zwischen flehentlich und herrisch. Obwohl ihre Forderungen sich lauter und schneller werdend steigern, entzieht sie sich den herbeieilenden Tänzern stets in ebenso heftigen Bewegungen. Später fordert Shanahan die beiden Männer auf, sie mit matschigen Tomaten zu bewerfen und sagt auch hier, wohin geworfen werden soll. Auch später werden Tomaten spritzen und zerplatzen, wenn Andrey Berezin in einer anderen Szene auf sie mit einem Revolver zielt. Eine Verschwendung von Lebensmitteln ist wiederholt Thema. Einen prominenten Sprechauftritt hat die Spanierin Nazareth Panadero. Mit einer Packung Spaghetti bewaffnet, verkündet sie genüsslich insistierend, dass dies alleine ihre Spaghetti seien, die sie nicht teilen werde: „Das sind meine! Die gehören alle mir!“ Wenige Szenen später wird diese Spaghetti ihr Kollege Dominique Mercy zerbrechen, indem er sie gegen seinen Oberkörper bohrt, dort wo sein Herz sitzt.
Es gibt einige sehenswerte Ensembleszenen. Geschlossen und jeweils mit einem Pappkarton gewappnet schreiten die Tänzer so einmal über die Bühne und werfen in synchronen und feierlichen Gesten ausgediente Plastikverpackungen auf den Boden. Hier verweist die Vorführung wahrscheinlich auf das große Abfallproblem in der sizilianischen Hafenmetropole. In einer Szene gegen Ende haken sie sich unter und balancieren Äpfel auf ihren Köpfen. Einmal werden sechs Klaviere auf der Bühne platziert, auf denen dann sechs Pianisten die Einleitung zu Tschaikowskys b-Moll-Klavierkonzert erklingen lassen. Auch die fließenden Übergänge zur Pause und zum Ende hin überraschen und irritieren. Trotz ausdrücklicher und mehrfacher Pausenankündigung tanzen auf der Bühne auch während der Pause noch wechselnde, sich nach Sekunden ablösende Paarkonstellationen in hektischen, energiegeladenen Bewegungen (bemerkenswert virtuos u.a.: Milan Kampfer, Rainer Behr). So soll vielleicht der Freizeitcharakter des gemeinschaftlichen Tanzes der Italiener in Palermo betont werden. Blühende Kirschbaumäste werden nach etwa zweistündiger Performance aufwendig vom Bühnenhimmel herabgelassen. Verkünden sie den Frühling oder einen Neubeginn? Das Stück ist da plötzlich bereits zu Ende und lässt den einen oder anderen fragend zurück.
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Palermo Palermo besteht aus einem wilden Durcheinander kurzer, teils irritierender Solo-Nummern. Getanzt wird leider eher sparsam. Obwohl es einige große Momente und Ensembleszenen hat, ist es sicherlich keines der besten Stücke Pina Bauschs.
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Palermo Palermo am Tanzhtheater Wuppertal Pina Bausch | Foto © Ursula Kaufmann
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Ansgar Skoda - 3. April 2019 ID 11323
PALERMO PALERMO (Tanztheater Wuppertal, 30.03.2019)
Inszenierung / Choreographie: Pina Bausch
Bühne: Peter Pabst
Kostüme: Marion Cito
Musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert
Probenleitung: Ruth Amarante
Mitarbeit: Michael Strecker
Mit: Emma Barrowman, Rainer Behr, Andrey Berezin, Matthias Burkert, Michael Carter, Çağdaş Ermis, Jonathan Fredrickson, Scott Jennings, Milan Kampfer, Eddie Martinez, Dominique Mercy, Blanca Noguerol Ramírez, Breanna O’Mara, Nazareth Panadero, Franko Schmidt, Azusa Seyama, Julie Shanahan, Julie Anne Stanzak, Oleg Stepanov, Julian Stierle, Fernando Suels Mendoza, Christopher Tandy, Tsai-Wei Tien, Stephanie Troyak, Ophelia Young und Tsai-Chin Yu sowie den Musikern André Enthöfer, Matthias Burkert, Christoph Iacono, Tim Kienecker, Johann Kirschniok, Ed Kortlandt und Franko Schmidt
Uraufführung im Opernhaus Wuppertal war am 17. Dezember 1989.
Weitere Infos siehe auch: http://www.pina-bausch.de
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